Paolo Conte: "Das Leben ist eine Stilfrage"

epa01422043 Italian singer Paolo Conte,70, plays the piano during his concert at the 43rd edition of the San Sebastián International Jazz Festival in San Sebastian, Spain, 23 July 2008. EPA/JAVIER ETXEZARRETA
Im Interview gibt sich der als „Bärbeiß“ verschrieene Künstler sanft und poetisch.

Da da dada dada da ... Certi capivano il Jazz... Die ersten Takte aus Paolo Contes Hymne an den Jazz: „Sotto le Stelle del Jazz“ – unter den Sternen des Jazz.

Die berühmte Liebeserklärung hat der 76-jährige selbstverständlich mit im Gepäck, wenn er am 24. Juni nach Wien kommt. Auch sein „Azzurro“ wird er anklingen lassen, das sich in der Interpretation des Cantautore, des singenden Autoren, so ganz anders anhört als in der Version von Adriano Celentano, für den Conte das Lied einst geschrieben hat.

Obwohl ihn die Liebe zum Jazz schon als Bursche packte – mit dem Vortragen der eigenen Kompositionen hat sich der gelernte Anwalt Zeit gelassen. „Ich hielt mich nie für einen Sänger“.

Der KURIER traf Paolo Conte vor dem Wien-Konzert in Turin, wo er ein Heimspiel gab: Conte lebt nach wie vor im nahe gelegenen Asti, seiner Geburtsstadt.

KURIER: Macht es für Sie einen Unterschied, daheim oder im Ausland aufzutreten?
Paolo Conte:
Mir ist es lieber, anderswo zu spielen. Hier sind einfach zu viele Leute, die mich gut kennen. Das macht mich dann immer besonders verlegen. Weiter weg ist mir lieber.

So weit weg wie möglich?
Nein, also: Ich habe ein wunderbares Publikum hier in Italien. Und auch in Frankreich, Deutschland und Österreich. In Wahrheit sind die Zuhörer einander überall sehr ähnlich. Abgesehen von der Sprache.

Stört es Sie nicht, wenn Sie vor Leuten singen, die Sie nicht verstehen?
Doch, schon, aber ich glaube, dass das Publikum sensibel genug und in der Lage ist, mir auch über die Sprachbarriere hinweg zu folgen.

Stimmen Sie zu, dass es besonders seitens des deutschsprachigen Publikums eine Faszination für italienische Musik gibt?
Das weiß ich nicht. Das müssen Sie die Leute fragen. Aber ich bin kein typischer Repräsentant italienischer Musik. Mein Stil entspricht ja auch nicht dem, was allgemein in der italienischen Musik gemacht wird.

Schon, aber Sie haben Lieder geschrieben, die zu Klassikern des italienischen Chansons geworden sind.
Ja, klar, Azzurro usw ... Dennoch: Ich glaube nicht, dass ich dem Typus des italienischen Schlagersängers entspreche. Ich habe so viel Verschiedenes gemacht. Ich verkörpere sicher nicht das typische Italo-Klischee.

Es ist schwierig, Ihr Genre zu benennen. Sie mäandern zwischen Jazz, Chanson, Blues ... Wie würden Sie es denn beschreiben?
Ich habe die richtige Definition dafür bei den Franzosen gefunden: „Confusion mentale fin de siècle“ (etwa: „Geistige Konfusion der Jahrhundertwende“). Mit dieser Beschreibung bin ich recht zufrieden. Denn ich weiß ja selbst nicht genau, was ich eigentlich mache. Ich liebe jegliche Musik, mir gefällt alles. Ich bin ein Mann, der im 20. Jahrhundert gelebt hat, und ich habe so vieles gehört, so viel erlebt, ich habe alles gehortet, wie einen Schatz. Ich habe Düfte, Gefühle, Emotionen gespürt, die natürlich mit der Zeit verschwinden, aber ich versuche, sie in meinen Lieder festzuhalten. In der Musik und auch in den literarischen Teilen der Lieder.

Zum Jazz haben Sie aber doch eine besondere Beziehung?
Jazz war ein großes Abenteuer für uns, als wir jung waren. Wir haben dieses Wunder, das nur selten im Radio zu hören war, für uns entdeckt: Für mich war das wirklich eine fantastische musikalische Revolution. Ich wollte alles darüber wissen, habe mir Schallplatten und Bücher besorgt, es war eine unaufhörliche Jagd.

Vergangenes Jahr ist mit Lucio Dalla ein großer Kollege gestorben. Fehlt er Ihnen?
Ich mochte seine Musik sehr. Und er war ein sehr großzügiger Mensch.

Für Dalla haben Sie nie geschrieben, aber für viele andere Interpreten, Celentano zum Beispiel. Warum haben Sie so lange gewartet, selbst zu singen?
Ich hielt mich nie für einen Sänger. Ich habe ja auch nicht die Stimme dazu. Es gefiel mir, für andere zu schreiben, aber irgendwann kam der Moment, wo ich verstanden habe: Die Leute wollen, dass der, der schreibt, selbst Zeuge seiner Musik ist.

Sie schreiben meist in der Nacht?
Ich schreibe, wenn die Ideen kommen. Aber es stimmt: In der Nacht gibt es bestimmte Vibrationen, die meiner Kunst auf die Sprünge helfen.

Sie sagten einmal, Jazz sei eine Stilfrage. Sehen Sie das heute noch so?
Ja. In Wahrheit ist das ganze Leben eine Stilfrage.

Apropos Stil: Haben Sie Hoffnung für die aktuelle italienische Regierung?
Ich gebe keine Prognosen ab. Ich weiß nichts. Aber ja, Hoffnung haben wir alle.

Es gibt noch – mehr oder weniger – Karten für die Konzerte beim Jazz Fest Wien: In größerer Zahl in der Stadthalle für Bobby McFerrin & Band und sein Spiritual-Projekt „Spirit You All“ (17. 6.), für Paolo Conte (24. 6.) sowie für die Sommertournee des jazz-affinen Musikers und Komikers Helge Schneider (27. 6.).

Nur noch Restkarten gibt’s (und eventuell Stehplätze wie auch für die anderen Acts in der Oper) für den Gitarristen George Benson (6. 7.) in der Staatsoper.

Bereits deutlich eingeschränkt ist auch das noch verfügbare Ticket-Angebot bei Bryan Ferry & Orchestra (1. 7.), für die Rhythm-and-Blues- und Country-Sängerin und Gitarristin Bonnie Raitt im Doppelkonzert mit „Victim of Love“-Soulsänger Charles Bradley (2. 7.) sowie die norwegische Sängerin Rebekka Bakken (4. 7.) und ihre dezente Balladenästhetik in der Staatsoper.

Ein Geheimtipp: Bei der Bank Austria sind derzeit auch noch Karten für die Plätze in den besseren Kategorien erhältlich.

Noch nicht herumgesprochen haben dürfte sich hingegen das Gastspiel von Bobby Womack (3. 7.; Oper). Verwiesen sei auch noch auf ein weiteres Doppelkonzert zum Finale der Opern-Schiene am 7. 7.: Randy Crawford & Joe Sample von den Crusaders. Außerdem China Moses, die äußerst agile Tochter von Dee Dee Bridgewater, die mit Blues und R ’n’ B, live begleitet vom Raphael Lemonniere Quartet, garantiert für Stimmung sorgen wird.

Nicht zu vergessen: Den Jazz-Aficionado wird die Künstler-Parade des ECM-Labels live im Porgy & Bess erfreuen: Die Pianistin Eliane Elias mit Quartet (3. 7.), Stephan Micus solo (4. 7.), der Trompeter Tomasz Stanko und sein New York Quartet (5. 7.), Iva Bittová solo (6. 7.) und das Elina Duni & Colin Vallon Trio (9. 7.).

Info: Karten 01/408 60 30 oder 01/588 85

www.viennajazz.org

www.lotusrecords.at

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