"Palestrina" an der Staatsoper: Thielemann mit höchster Sensibilität

"Palestrina" an der Staatsoper: Thielemann mit höchster Sensibilität
Die Wiederaufnahme der Oper von Hans Pfitzner erntet großen Jubel.

Von Helmut Christian Mayer

Es ist wohl eines der merkwürdigsten Stücke in der Operngeschichte. Denn in Hans Pfitzners „Palestrina“ (UA 1917) gibt eigentlich fast überhaupt keine Handlung, geschweige denn eine Liebesgeschichte. In dieser oratorienhaften Oper geht es ausschließlich um den Sinn der Kunst und das Mysterium der künstlerischen Inspiration. Sie ist eines der großen Künstlerdramen, das den romantisch stilisierten, geniehaften Schöpfungsakt in den Mittelpunkt stellt.

Vor dem Hintergrund des Trienter Konzils wird die Legende des Renaissance-Komponisten Palestrina, der in einer schöpferischen Ekstase innerhalb einer Nacht jenes Meisterwerk schafft, mit dem er eine ganze Musiktradition vor dem Untergang bewahrt, erzählt. Jetzt erfolgte an der Wiener Staatsoper eine Neueinstudierung einer Inszenierung von Herbert Wernicke (auch sein eigener Bühnenbildner) aus 1999 mit Christian Thielemann am Pult.

Zu sehen ist ein großer Konzertsaal mit Notenpulten und Instrumenten, worin sich die gold-beigen Farben der Wiener Staatsoper spiegeln. Dahinter eine riesige Orgel, himmeltürartig aufklappbar, für die Erscheinung der Engel. In diesem Raum ohne Renaissance-Gepränge komponiert Giovanni Pierluigi Palestrina an einem kleinen Tischchen. Im zweiten Akt wird der Raum zum Sitzungssaal für das Konzil mit den hohen geistlichen Würdenträgern. Geprägt sind die Bilder überwiegend von semikonzertanter, oratorienhafter Statik.

"Palestrina" an der Staatsoper: Thielemann mit höchster Sensibilität

Ein weiterer Grund dafür, dass das Werk eher selten aufgeführt wird, ist die Tatsache, dass das mit Pausen gut vierstündige im ersten Akt etwas langatmige Stück zur Realisierung allein 39 solistische Rollen, Chor und großes Orchester bedarf: Michael Spyres ist zwar ein optisch zu junger Palestrina, singt ihn wortdeutlich mit leuchtenden Tönen und Linienklarheit. Erfreulich sind auch die frischen, jubelnden Stimmen von Patrizia Nolz (Silla) und Kathrin Zukowski (Ighino).

Etwas mehr stimmliche Präsenz hätte man sich von Wolfgang Koch als Kardinal Borromeo gewünscht. Kernig hört man Michael Nagy (Morone), charakterscharf Michael Laurenz (Novagerio). Für den wirkungsvollen Kurzauftritt aus der Seitenloge ist Günther Groissböck als Papst Pius IV eine Luxusbesetzung. Ideal aus der großen Besetzungsriege singen auch Wolfgang Bankl (Madruscht), Adrian Eröd (Graf Luna) sowie Clemens Unterreiner (Ercole Severolus). Homogen hört man den Staatsopernchor.

"Palestrina" an der Staatsoper: Thielemann mit höchster Sensibilität

Die Diskrepanz zwischen dem intimen Rahmen des 1. und 3. Aktes einerseits und dem weitläufigen, weltlichen Gepränge des Konzilaktes wird wunderbar von Christian Thielemann, der mit Krücken erscheint, am Pult des Wiener Staatsopernorchesters gestaltet. Die Verwendung von Kirchentonarten und die Anleihen der frühen Polyphonie, die teils keusche, trotz teilweiser Sprödigkeit hymnische Musik, die den Schöpfungsakt der Messe durch schwelgerische Züge verklärt, wird mit höchster Ausdruckskraft und Sensibilität musiziert.

Großer Jubel!

Kurier-Wertung: 4,5 Sterne

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