ORF-Talk zur Mindestsicherung: "Sie sind der Experte für eh alles"

Blickkontakt gab es selten zwischen Manfred Haimbuchner (li.) und Peter Hacker
Manfred Haimbuchner und Peter Hacker zeigten, dass man am Gegenüber nicht nur vorbei reden, sondern auch vorbei schauen kann.

(*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*)

Beim Thema Soziales geht es zwischen SPÖ und FPÖ ums Eingemachte. Daher war es naheliegend, dass sich Vertreter beider Parteien am Sonntagabend bei der „Im Zentrum“-Diskussion zum Thema Mindestsicherung gegenübersaßen.

Dem ORF ist aber noch eine zusätzliche Verschärfung eingefallen: Es traf der oberösterreichische Landeshauptmann-Stv. Manfred Haimbuchner von der FPÖ auf den roten Wiener Sozialstadtrat Peter Hacker. Hintergrund: Während das oberösterreichische Mindestsicherungsmodell von der Regierung als eines der Vorbilder für die Reform herangezogen wurde, wird jenes aus Wien von Türkis-Blau besonders scharf kritisiert. Dementsprechend hart wurde auch diskutiert.

Hacker brachte gleich zu Beginn den Hauptkritikpunkt der SPÖ: Die Regierung erzähle seit Monaten die Geschichte, „dass sie einen großen Kampf gegen Ausländer, die das Sozialsystem missbrauchen, kämpft“. Die Faktenlage sei aber eine andere: „Die Realität ist, dass 60.000, vielleicht sogar 70.000 Kinder in Hinkunft weniger Geld bekommen werden“.

FPÖ stellt sich sozialer als die SPÖ dar

Haimbuchner sah das diametral anders: Es werde ein gerechteres System geschaffen, das für sozialen Frieden sorgt“, damit Kinder auch in Zukunft vom Sozialsystem profitieren können. Alleinerziehende und Behinderte würden mit Ausnahmeregelungen geschützt. Und dann ging es – nach nur fünf Minuten – bereits los mit Untergriffen. Die SPÖ habe es als Regierungspartei „nicht zustande gebracht, dass der Vermögenszugriff viel später zutrifft.“ Das passte zu einem aktuellen Strache-Zitat, das zu Beginn eingespielt wurde: "Wir beenden die soziale Kälte der SPÖ."

Die Botschaft hinter solchen Sätzen lautet sinngemäß: Wer braucht noch die SPÖ, wenn doch die neue Regierung viel sozialer agiert?

Bei der nächsten Attacke musste sich Haimbuchner wohl gedacht haben: 'Irgendwas mit Kindern'. Denn der FPÖ-Mann behauptete, beim Bahnstreik in der Vorwoche hätte die rote Gewerkschaft „Kinder von zwölf bis zwei in der Kälte stehen lassen“.

Naturgemäß sachlicher formulierten die geladenen Experten ihre Thesen. Sozialwissenschaftlerin Laura Wiesböck wies darauf hin, dass viele Österreicher trotz eines Vollzeitjobs unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen. Ein höheres Lohnniveau sei daher anzustreben.

Franz Schellhorn von der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria sah beim neuen Sozialgeldmodell einen richtigen Ansatz, wenn versucht werde, Anreize für die Rückkehr ins Erwerbsleben zu schaffen. Eine große Reform - etwa mit einer Umstellung auf Sachleistungen - habe die Regierung allerdings verabsäumt. Die Forderung nach ausreichenden Deutschkenntnissen sehe er positiv, allerdings müsse dann auch ein entsprechendes Angebot an Kursen da sein, alles andere „wäre zynisch“.

Haimbuchner sagte, es werde mehr Sachleistungen geben. Statt eines konkreten Beispiels gab es ein abgewandeltes Dostojewski-Zitat: „Geld ist gedruckte Freiheit.“ Was bei Dostojewski nicht steht: Eine Freiheit, „die man sich auch zuerst einmal verdienen muss“, wie Haimbuchner anfügte.

Hacker kramte in Vorbereitung einer Replik bereits in seinen Unterlagen, was Haimbuchner für sich nutzen wollte: „Ich glaube, das ist die Liste der Finanzskandale der SPÖ Wien“. Gäbe es die Wiener Situation nicht, hätte man das Sozialgeld gar nicht reformieren müssen, behauptete Haimbuchner. Und ergänzte, dass in Wien die meisten Mindestsicherungsbezieher beheimatet sind.

"Unerträglich, mit Ihnen zu diskutieren"

Hacker war jetzt on fire. Er fand es „unerträglich, mit Ihnen zu diskutieren“. Statt bei der Sache zu bleiben, würde Haimbuchner automatisch mit Pamphlets agieren. Hacker: „Wir können auch diskutieren über ‚Wo war mei Leistung‘ - der Typ steht jetzt schon seit zehn Jahren vor Gericht.“

Zum Glück ging es nicht mit den Leistungen eines Walter Meischberger (vormals FPÖ) weiter. Hacker kehrte zur Sache zurück und erklärte, dass acht von zehn Beziehern der Mindestsicherung sogenannte „Aufstocker“ sind, die sehr wohl arbeiten, aber ihr geringes Einkommen auf jene Schwelle heben würden, die vom Gesetzgeber als Grenze zur Armut definiert worden sei.

Besonders wichtig war ihm, folgenden Unterschied zwischen Rot und Blau herauszuarbeiten: „Wir wollen, dass die Kinder unabhängig davon, ob Mama und Papa gut arbeiten, viel arbeiten oder wenig arbeiten, gleiche Chancen haben. Und Sie nehmen Kindern diese Chance.“

Aneinander vorbeischauen

Haimbuchner bewies wiederum, dass man in einer Diskussion nicht nur aneinander vorbeireden kann, sondern auch aneinander vorbei schauen. Es war körperlich fast unangenehm, als die ORF-Kamera die verschiedenen Versuche Haimbuchners zeigte, Hackers Blick möglichst nicht zu treffen.

Bilder: Haimbuchner und Hacker

ORF-Talk zur Mindestsicherung: "Sie sind der Experte für eh alles"

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ORF-Talk zur Mindestsicherung: "Sie sind der Experte für eh alles"

Am Ende des Tages: "Wertewandel"

Die weiteren Streitpunkte zwischen Rot und Blau waren aufgelegt. Haimbuchner kritisierte die „Fehlentwicklung der vergangenen zehn Jahre“. Hacker konterte: „Die Fehlentwicklung in ihrem Bundesland hat gerade der EuGH korrigiert.“ Damit spielte Hacker darauf an, dass der Europäische Gerichtshof kürzlich Teile des oö. Mindestsicherungsmodells gekippt hat.

Haimbuchner hielt dem die Behauptung entgegen, dass eine „Mehrheit der Österreicher“ dieses Modell unterstütze. Es sei ein „Urteil wider die Vernunft“, aber „selbstverständlich zu respektieren und umzusetzen“. Dennoch werde man „an dem Wertewandel weiterarbeiten, weil sich Arbeit am Ende des Tages wieder lohnen“ müsse.

Indes argumentierte Wiesböck ebenfalls gegen das Regierungsmodell. Es werde in der Öffentlichkeit viel zu wenig zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Arbeitslosigkeit unterschieden. "Die aktuellen Regierungsmaßnahmen bekämpfen nicht Arbeitslosigkeit, sondern Arbeitslose und führen zu verstärkter Armut und einer Aushöhlung von ArbeitnehmerInnenrechten", sagte WiesböckEine WIFO-Studie habe zudem gezeigt, dass stärkerer ökonomischer Druck nicht zu höherer Arbeitsmarktintegration führe. Diese werde durch Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen begünstigt.

Haimbuchner blieb dabei: „Wenn ich Teil dieser Gesellschaft werden will, mich integriere, wenn ich die deutsche Sprache erlerne oder eine besondere Qualifikation vorweisen kann, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe, bekomme ich die volle Mindestsicherung.“

Wiener Stadtrat als "Oppositionspolitiker"

Dann wurde auch Hacker untergriffig. Als er behauptete, der VfGH habe auch Teile der oö. Mindestsicherung aufgehoben und dahingehend korrigiert wurde, sagte er: „Das kommt ja noch, das ist ja klar.“ (Der Verfassungsgerichtshof beschäftigt sich gerade mit der Deckelung im oö. Modell, Anm.)

Haimbuchner: „Und Sie wissen, was da rauskommen wird?“

Hacker, äußerst rüde: „Nur weil sie sich ned auskennen, wissen Sie es nicht. Jeder, der sich auskennt, weiß, dass das stattfinden wird.“

Haimbuchner: „Und Sie sind der Experte für eh alles.“

Hacker: „Lassen’s mich ausreden, ich hab‘ jetzt wirklich lang zuhören müssen.“

Das Wiener SPÖ-Regierungsmitglied, das von seinem FPÖ-Gegenüber zwischendurch einmal als „Oppositionspolitiker“ bezeichnet wurde, agierte am Sonntagabend tatsächlich wie ein solcher.

Hacker: "Werden wir in Wien nicht umsetzen"

Hacker wies noch darauf hin, dass die Soziallandesräte Mitte Dezember nach langem Warten einen ersten Termin mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) bekommen haben. Nachdem die Regierung vor dem Gipfel mit ihrem Mindestsicherungsmodell vorgeprescht sei, prognostiziert er, dass in puncto Kürzung von Leistungen für Kinder mit einigen Ländern noch harte Verhandlungen bevorstünden. Die gestaffelt niedrigeren Leistungen für jedes weitere Kind bezeichnete er als „zum Genieren“ und „unerhört“, „das werden wir in Wien sicher nicht umsetzen.“


Neuregelung der Mindestsicherung beschlossen

Geradezu versöhnlich im Vergleich zu den beiden Polit-Streithähnen zeigte sich der Wirtschaftsliberale Schellhorn. Er brach zum Schluss eine „Lanze für den Sozialstaat in Österreich“, dieser interveniere mit sehr viel Geld, aber seiner Meinung nach „auch sehr erfolgreich“. Österreich habe zwar eine ungleichmäßige Vermögensverteilung, dafür eine relativ gleichmäßige Einkommensverteilung.

Haken tut’s laut Schellhorn im Bildungsbereich. Hier liege „das größte Armutsrisiko“. Wenn man auf die Situation in manchen Wiener Bezirken blicke, müsse er sagen: „Es sollte in einem Wohlfahrtsstaat wie Österreich nicht davon abhängig sein, wo man zur Welt kommt. Da muss es für alle gleiche Chancen geben.“

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