Sein Gesicht wirkt seit jeher, als wäre es aus Mount Rushmore herausgemeißelt – und irgendwie ist Günter Tolar ja auch ein Präsident. Im wörtlichen Sinne: der große Vorsitzende mehrerer Generationen gleichgeschlechtlicher Orientierung – und darüber hinaus der gesamten LGBTQIA+ (die Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual & Transgender, Queer, Intersexual und Asexual).
Der gebürtige Oberösterreicher, der ursprünglich Lehrer für Deutsch und Musik werden sollte, aber nach der Schauspielausbildung als Kabarettist und ORF-Moderator (Wer dreimal lügt, Rätselbox, Made in Austria) eine Riesenkarriere vor oft 3,5 Millionen Zuschauern absolvierte, setzte am 17. Dezember 1992 alles aufs Spiel. Das Interview mit dem (am 9. Juli) 85-jährigen, der jüngst den „Queer Legend Award“ erhielt und der heute, Mittwoch, mit dem „Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich“ staatlich gewürdigt wird.
KURIER: Was geschah 1992?
Günter Tolar: Mein Lebensgefährte (Norbert, 46) hatte sich mit HIV infiziert und vor die U-Bahn geschmissen. Darüber schrieb ich mir einen Roman („Sein Mann. Liebe, Aids und Tod“, Edition Va Bene) von der verwundeten Seele. Das wurde vom feinfühligen Journalisten Georg Kindel zum Aufmacher von News. Was mein Outing für ein Beben im ganzen Land auslöste, konnte niemand absehen. Aber es wurde letztlich der positivste Spießrutenlauf meines Lebens.
Ihr Topjob beim ORF schien zunächst in akuter Gefahr.
Generalintendant Bacher drohte mir schriftlich – wegen widerlicher Zurschaustellung meines Intimlebens und damit unternehmensschädigenden Verhaltens – dienstrechtliche Konsequenzen an. Programmchef Marboe verwahrte sich gegen eine Fristlose. Er sagte: „Seids deppert? Der ist unser bester Mann!“ Der Betriebsrat kündigte für den Fall meines Rauswurfs gar einen Generalstreik an. Wir dürfen nicht vergessen: Es war grad einmal zwei Jahre her, dass die WHO (Weltgesundheitsbehörde) „Homosexualität“ von der Liste der Krankheiten gestrichen hatte ... Am erstaunlichsten war für mich der Zuspruch von den härtesten Machos unter den Kollegen: „Was bist? Schwul bist? Na, und – des steh’ ma locker gemeinsam durch!“ Schwul sein war zwar nicht mehr strafbar, aber gesellschaftlich noch ziemlich geächtet. Kurios, dass von den sogenannten Normalen nahezu ausnahmslos positive, von der Community überwiegend negative Reaktionen kamen: „Der will sich nur wichtigmachen, der hat keine Auftritte mehr, der schadet uns!“ Aus der Phase des Durchdrehens, aus dem Tal der Depressionen erwachte ich mit neuem Mut. Ich wollte kein Märtyrer sein, nur ja nicht als Opfer aus der ganzen Sache rausgehen. Ich wusste nur: Ich muss was machen, ich werde was machen.
Wie reagierte die Kirche?
Ich erinnere mich an eine Diskussionsrunde mit einem Hardliner-Bischof, der mir sein Mitgefühl versicherte. Er wisse, was es heißt, ausgegrenzt zu sein, habe er doch als Kind eine Hasenscharte gehabt. Da wurde ich heftig: Schwulsein ist keine Behinderung! Kardinal Schönborn schrieb im damals neuen Katechismus das Kapitel über Homosexualität: Man möge versuchen, uns wieder auf den rechten Weg zu bringen. Ich als Irrtum, als Abirrung? Da hab’ ich zum Pfarrer gesagt: Ich pfeif’ auf euer Mitleid! Ich habe mich keinen Schritt von Gott entfernt, nur aus dem Schoß dieser Kirche.
Was empfehlen Sie als Strategie gegen Homophobie?
Nicht auslachen, nicht abqualifizieren. Setzen wir uns zusammen, reden wir. Etwa: „Ich glaube, meine Homosexualität ist nicht mein Problem – es ist Ihr Problem, dass ich schwul und glücklich bin.“
Worauf sind Sie heute stolz?
Ich kann mit diesem Wort nichts anfangen. Ich bin viel lieber zufrieden. Am meisten damit, dass schwul heute kein Schimpfwort mehr ist. Früher einmal hat man die Hand vorgehalten, wenn man gesagt hat: „Der ist schwul“ – heute hält man die Hand vor, wenn man sich über Schwule abfällig äußert. Aus einer Beleidigung wurde eine Eigenschaft. Das war vielleicht das Wichtigste, das ich je erreicht habe.
Was ist der Sinn des Lebens?
Uff. Ich weiß ja nicht einmal, was der Sinn meines Lebens ist – oder vielleicht doch: Es gibt Wichtigeres als mich. Und mein Rat an Verzweifelte: Nicht aufgeben! Glaube ja nicht, du bist der Einzige.
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