"Verbotene Liebe": Als Homosexualität in Österreich noch ein Todesurteil war
Im März 2014, kurz, bevor Conchita Wurst als Botschafterin der Vielfalt den Song-Contest-Sieg nach Österreich holte, veröffentlichte Peter Fässlacher einen Text mit dem Titel „Reden ist Gold“. Er handelte von seiner Identität als schwuler Mann und warum er diese nicht länger verstecken wolle.
Damals war der Villacher bereits Sendungsverantwortlicher und Moderator der ORF-III-Sendung „Kultur heute“ und hatte sich kurz zuvor seinen Kollegen anvertraut. Er startete einen Podcast, der die vielen Facetten von Liebe behandelt. „Ich habe mir lange Zeit eingeredet, dass mein Privatleben niemanden etwas angeht“, sagt der 35-Jährige. „Doch je älter man wird, desto mehr merkt man, dass das nicht stimmt. Wenn man ständig etwas verschweigt, macht das auf Dauer etwas mit einem.“
Dass Homosexuelle sichtbar und ohne strafrechtliche Konsequenzen leben und lieben können, ist in Österreich noch nicht lange selbstverständlich - Kaiserin Maria Theresia verhängte 1768 sogar die Todesstrafe auf gleichgeschlechtliche Sexualkontakte (siehe unten). Das zeigt die Dokumentation „Verbotene Liebe“, die am Samstagabend erstmals in ORF III zu sehen ist. Fässlacher hat sie gestaltet – und bereits im Vorfeld Erstaunliches festgestellt. „Ich war sicher, dass ich im Archiv Dokus zur Geschichte der Homosexualität aus den 80ern oder 90ern finden würde. Doch einen historischen Abriss gab es nicht.“
Wiener Wort-Ursprung
Fässlacher wühlte sich durch Archive und Geschichtsbücher, sprach mit Juristen, Aktivisten, Historikern, Künstlern. „Viele Aspekte der Geschichte sind in der breiten Bevölkerung gar nicht so bekannt. Zum Beispiel weiß kaum jemand, dass ein Wiener Schriftsteller das Wort ,homosexual’ erfunden hat, auf das ,homosexuell’ zurückgeht. Die Doku füllt eine Lücke, die lange Zeit gar nicht als solche wahrgenommen wurde.“
Maria Theresia
verhängt 1768 die Todesstrafe für „Unkeuschheit wider die Natur“. Ihr Sohn Joseph II. hebt sie auf, Kaiser Franz Joseph verschärft das Strafmaß (fünf Jahre Kerker) wieder
Karl Maria Kertbeny
1868 erwähnt der Wiener Schriftsteller in einem Brief
erstmals den Begriff „homosexual“
Das NS-Regime
lässt Tausende homosexuelle
Männer verfolgen und im KZ ermorden
1971 wird schwule Liebe in Österreich entkriminalisiert. 12 Jahre später taucht der erste Aids-Fall auf – ein großer Dämpfer für die Bewegung
Conchita Wurst
gewinnt 2014 für Österreich den Song Contest und setzt ein Zeichen gegen Diskriminierung
2019 Die „Ehe für alle“ tritt in Kraft. 997 gleichgeschlechtliche Paare heiraten noch im selben Jahr. Seit 2016 dürfen homosexuelle Paare Kinder adoptieren
Besonders berührte ihn ein Brief von 1963, in dem ein 21-Jähriger beschreibt, wie sich sein Freund in der Gefängniszelle erhängt hat. „Er wurde eingesperrt, weil zu dieser Zeit noch das Totalverbot für Homosexualität galt und die beiden erwischt wurden. Der Brief endet mit: ,Ein trauriger Kamerad aus Österreich’.“
Kaiser Franz Joseph legte den Grundstein für den berüchtigten Paragrafen 129, der Sexualkontakte zwischen Gleichgeschlechtlichen unter Strafe stellte. Er sollte 120 Jahre, bis zur Ära Kreisky, aufrecht bleiben. „Als er fiel, war das der erste große Schritt in Richtung Gleichstellung“, erzählt Fässlacher. Doch gerade, als die Liberalisierung Fahrt aufnahm, erschütterten erste Fälle einer tödlichen Immunschwächekrankheit das Land – Aids.
Nur nicht ausruhen
Auch Günter Tolar (81) kommt in „Verbotene Liebe“ zu Wort. Er war der erste Prominente, der sich Anfang der 90er zu seiner Homosexualität bekannte. „Er hat damals auch erzählt, dass sein Lebensgefährte Aids hatte und sich suizidiert hat. Die Krankheit war noch ein Todesurteil und mit viel Scham verbunden“, sagt Fässlacher.
Einzelne Persönlichkeiten wie Tolar – sei es Alfons Haider, der vor 10 Jahren bei „Dancing Stars“ mit einem Tanzpartner antrat, oder Life-Ball-Schöpfer Gery Keszler – trugen viel zur Entstigmatisierung bei. Die Regenbogenparade oder das Aushängen der bunten Flagge auf öffentlichen Gebäuden sorgen für Sichtbarkeit und erinnern daran, dass heutige Freiheiten hart erkämpft wurden. „Oft hört man Sätze wie: ,Warum müssen sich die immer so in den Vordergrund drängen’. Gerade die österreichische Geschichte zeigt, dass man sich auf Errungenschaften nicht ausruhen darf. Gleichstellung passiert vor allem in den Köpfen der Menschen.“ So ist Blutspenden für homo- und bisexuelle Männer nach wie vor verboten, die so genannte „Konversionstherapie“ hingegen noch immer erlaubt.
Dass sein Film am Abend des Song Contest ausgestrahlt wird, ist kein Zufall. Warum der ESC zu einem Lieblingsevent der LGBTQ-Gemeinde wurde? „Da geht es darum, miteinander Grenzen zu überwinden und zu feiern. Der Song Contest schafft ein Gefühl, das viele lange nicht kannten: nicht ausgegrenzt, Teil einer Gemeinschaft zu sein.“
Tipp: „Verbotene Liebe – Von der Todesstrafe bis zur Ehe für alle“ am 22. 5., 20:15, ORF III.
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