Opernstar Anna Netrebko: "Ich bin keine Heimatverräterin"

Anna Netrebko
Spricht im Interview mit der "Zeit" über die Vorwürfe gegen sie, über Putin und den Donbass.

Opernstar Anna Netrebko hatte nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine "Angst vor dem Einsatz von Atomwaffen". Das sagte die austrorussische Sängerin im Interview mit der Zeit. "Das alles kann noch sehr schlimm werden", meinte die Sängerin, die selbst Angst hatte, "dass ich – fälschlicherweise – auf eine Sanktionsliste gesetzt werden könnte oder dass mir mein österreichischer Pass entzogen werden könnte und ich alles verlieren könnte". Netrebko war wegen ihrer anfangs zögerlichen Haltung gegen den Krieg in die Kritik geraten, hat sich aber inzwischen distanziert.

Warum sie so lange gebraucht hatte, um sich gegen den Krieg auszusprechen, erklärt sie so: "Die ersten Informationen waren widersprüchlich. Ich brauchte wirklich Zeit, um das für mich einzuordnen. Beruflich habe ich beschlossen, dass es das Beste ist, zwei bis drei Monate Pause zu machen und alles zu verarbeiten. Es war keine Zeit, in der ich singen konnte", sagte sie. Sie verstehe aber, warum sie im Moment so angegriffen werde: "Ja, ich verstehe es. Deshalb versuche ich, Missverständnisse aufzuklären. Ich versuche, ruhig zu bleiben. Und ich habe sehr viele Menschen, die mich unterstützen. Freunde, Familie, einen neuen Manager."

Affärengerüchte zu Putin "fand ich am Anfang noch lustig"

Gerüchte wie jenes, dass Netrebko mit Wladimir Putin eine Affäre gehabt habe, fand sie "am Anfang lustig". Aber "jetzt ist das nicht mehr lustig. Bis vor Kurzem ignorierte ich solche Gerüchte einfach." Das Foto aus Anlass einer Spende, die Netrebko an das Opernhaus im von prorussischen Rebellen besetzten Donezk geleistet habe, sei in St. Petersburg entstanden, betont Netrebko. Dass sie darauf eine Fahne der Rebellen halte, sei aus der Situation entstanden: "Er fragte, ob er ein Foto mit mir machen könne, zog plötzlich eine Flagge aus seiner Tasche und sagte: Ich habe ein Geschenk für Sie. Darauf war ich nicht vorbereitet. Ich wusste nicht, was man mir in die Hand drückte, das war mein Fehler." Sie sei "nie in ein Kriegsgebiet gereist, nie".

Die politische Situation habe ihr Leben verändert: "Meiner Stimme geht es gut, aber sonst hat sich für mich alles geändert. Nichts wird wieder so sein, wie es einmal war."

Sie habe derzeit "keine Pläne, in Russland zu singen, auch nicht beim White Nights Festival in St. Petersburg, weil ich denke, dass es nicht der richtige Zeitpunkt ist. Aber um es klar zu sagen: Ich liebe es, in meinem Land aufzutreten, und ich freue mich darauf, wieder dort zu singen, sobald die Umstände es erlauben. Ich habe dort das Singen gelernt, ich habe dort meine Karriere begonnen, und ich schätze es sehr, für mein Publikum in Russland zu singen."

Am meisten wünsche sie sich, dass "wir wieder Frieden haben". Sie aber "kann es nicht allen recht machen. Aber gut, ich kann damit leben. Und, ja, ich will auf diesen beiden Stühlen sitzen, auch auf dreien, wenn es sein muss. Eines Tages werden die Menschen verstehen – ich bin keine Heimatverräterin, und ich bin auch nicht gegen die Ukraine. Ich versuche, ein Mensch zu bleiben."

 

Kommentare