"Only Lovers Left Alive": Edle Vampire, gebildet wie britische Dandys

Only Lovers left alive
Wie ein traurig-schöner Pop-Song: Jim Jarmuschs neuer Vampirfilm mit Tilda Swinton.

Nach mehreren Jahrhunderten auf dieser Erde ist die Depression nicht mehr aufzuhalten. Probeweise setzt sich Adam die Pistole an die Brust. Sein Weltekel ist groß. Er verabscheut die Menschen, die er nur „die Zombies“ nennt.

Adam selbst ist Vampir. Ein schöner Vampir mit dem düsteren Goth-Look eines Rockmusikers aus den 80er- Jahren. Wäre nicht seine Ehefrau und Geliebte, die sofort von Tangier aufbricht und an seine Seite in Detroit eilt, wer weiß, was geschehen würde.

Jim Jarmusch hat schon des Öfteren meisterliche Genre-Variationen vorgenommen. Man denke nur an seine Western- und Samurai-Verfremdungen wie „Dead Man“ oder „Ghost Dog“. Trotzdem schien ein Vampir-Film in seinem Oeuvre nicht unbedingt naheliegend.

Brit-Stars

Tatsächlich unterläuft Jarmusch gekonnt gängige Formeln, verzichtet weitgehend auf den Horror-Aspekt des Genres und stilisiert stattdessen seine Blutsauger zu kultivierten Dandys. Verkörpert von so charismatischen Brit-Stars wie der unvergleichlichen Tilda Swinton und dem unterkühlten Tom Hiddleston trinken sie roten Saft nur aus geschliffenen Gläsern und versagen sich (meist) den Biss in den schmutzigen Menschenhals. Sie tragen elegante Handschuhe, lieben Lord Byron und die Musik von Motown. Sie sind elitäre Snobs, picken sich aus den Jahrhunderten die jeweils schönsten Artefakte und mixen freizügig ihre Vorlieben für Hoch- und Subkultur.

Obwohl Jarmusch seine Bilder tendenziell sparsam ausstattet, sind sie in „Only Lovers Left Alive“ komplett angeräumt. Voll geklebte Wände mit literarischen Vorbildern aus jeder Epoche, endlose Bücherregale, kostbare Musikinstrumente in den Gängen. Jede Einstellung atmet aus jeder Pore den Kosmos ihres Regisseurs. Adam macht herrlich dröhnenden Noise-Musik (wie übrigens auch Jarmusch selbst) und unternimmt mit Eve lange Autofahrten durch das nachtschwarze Detroit. Traumtänzerisch bewegen sich die Vampire durch eine schwebende Welt der Dunkelheit, in Detroit, in Tangier, immer umhüllt von der lakonisch-komische Melancholie ihres Schöpfers.

„Only Lovers Left Alive“ lebt von seiner Atmosphäre, seiner Stimmung, so wie ein traurig-schöner Pop-Song oder wie ein lyrisches Gedicht. Diesem Sog muss man sich einfach überlassen, wie einst Johnny Depp, als er in „Dead Man“ in ein Boot stieg und sich davontreiben ließ.

KURIER-Wertung:

INFO: Only Lovers Left Alive. USA 2013. 123 Min. Von Jim Jarmusch. Mit Tilda Swinton, Tom Hiddleston, John Hurt.

"Only Lovers Left Alive": Edle Vampire, gebildet wie britische Dandys
"Only Lovers Left Alive": Edle Vampire, gebildet wie britische Dandys
Tilda Swinton und Tom Hiddleston als Vampir-Liebespaar in Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“.
"Only Lovers Left Alive": Edle Vampire, gebildet wie britische Dandys
Liebe seit Jahrhunderten: Tilda Swinton & Tom Hiddleston.
"Only Lovers Left Alive": Edle Vampire, gebildet wie britische Dandys
Only Lovers left alive
"Only Lovers Left Alive": Edle Vampire, gebildet wie britische Dandys
Only Lovers left alive

Alles, was Jim Jarmusch liebt, hat er in seinen neuen Film „Only Lovers Left Alive“ gepackt (Kinostart: 25.12.). Platten, Bücher, Stromgitarren, alte Musikinstrumente, Rockstars, Lord Byron, Christopher Marlowe, Motown-Musik, Tangier, Sonnenbrillen und erlesene Außenseiter. Möglichst alles, was die letzten Jahrhunderte an Schönheit so hergeben. Darüber lässt er einen fantastischen Soundtrack schweben.

Tilda Swinton, für die Jarmusch den Film geschrieben hat, und Tom Hiddleston spielen Adam und Eve, ein hoch gebildetes Vampir-Liebespaar, das traumwandlerisch durch die nachtschwarze Industrie-Ruine Detroit wandert. Schwermütig trinken sie Blut aus Flachmännern und gleichen ihre Befindlichkeit mit dem des kulturellen Zustandes ab.

Ein Gespräch mit Jim Jarmusch über Handschuhe und Sex, Lou Reed und YouTube.

KURIER: Was reizt Sie an Vampiren und am Vampir-Genre?

Jim Jarmusch: Vampire sind Außenseiter, und von Außenseitern fühle ich mich immer angezogen. Vampire können nur bei Nacht leben, sie müssen unentdeckt bleiben, sie sind sehr zerbrechlich. Außerdem sind sie keine Monster wie etwa Zombies, die tot sind und Fleisch fressen. Vampire sind einfach nur verwandelte Menschen.

Sie verzichten auf Genre-übliches wie Kreuze und Knoblauch. Ihre Vampire tragen dafür Handschuhe?

Jede Vampir-Mythologie hat irgendwelche Dinge dazu erfunden. Kreuze, heiliges Wasser, Knoblauch, sogar die Vampir-Zähne: Die wurden erstmals in mexikanischen Vampirfilmen in den 1950ern verwendet. Nosferatu hatte noch keine Reißzähne – und heute ist es das erste, was einem zu Vampiren einfällt. Ich habe mir also gedacht, ich erfinde auch etwas dazu – und daher tragen meine Vampire Handschuhe. Warum? Weil es cool aussieht. Und wenn Adam dann Eve die Handschuhe auszieht, ist das in gewisser Weise die einzige Sexszene des Films.

Ihre Vampire haben auch eine tolle Haarpracht.

Ja, ich wollte, dass ihr Haar halb menschlich und halb tierisch ist. Einerseits sind sie ja unheimlich kultiviert, andererseits aber animalisch – immerhin trinken sie Blut. Ich habe deswegen menschliche Haare mit Ziegen- und Yak-Haar gemischt.

Adam ist von Beruf Musiker, wie Sie ja auch. War er Ihnen als Figur besonders nahe?

Schon, aber nicht nur er – auch die Figur der Eve mit ihrem Interesse für Bücher. Es wäre verkürzt, Adam als ein Porträt von mir zu betrachten. Aber ich teile seine Traurigkeit über das menschliche Verhalten, obwohl ich nicht ganz so eine negative Weltsicht habe. Adam ist eine romantische Drama-Queen – ich hoffe, das bin ich nicht (lacht).

Ihre Vampire wandern durch die Jahrhunderte, erinnern sich an früher. Sind Sie Nostalgiker?

Überhaupt nicht. Ich blicke nicht gern zurück, ich schau’ mir auch keinen der Filme, die ich gedreht habe, noch einmal an. Niemals. Es geht mir auf die Nerven, wenn die Leute herumsitzen und sich beschweren, wie sehr sich New York verändert hat. Und wie schlecht dort alles geworden ist. Damit haben sie zwar recht. Aber was soll das Gerede: „Du hättest New York in den 80ern sehen sollen“? Die 80er sind vorbei, also was soll’s. Nostalgie ist nicht mein Ding.

Gibt es Musik, die Sie besonders schätzen? Sie kannten ja beispielsweise Lou Reed, der kürzlich gestorben ist.

Jede Dekade hat ihre großartige Musik, wobei ich mich immer mehr für die Randphänomene und weniger für den Mainstream interessiere. Aber weil Sie gerade Lou Reed erwähnen: Als die Musik seiner Band „The Velvet Underground“ in den späten 60er-Jahren herauskam, hielten das die meisten Leute für den letzten Dreck. Damals sangen alle über Frieden und kalifornischen Sonnenschein, und die „Velvets “ sangen über Junkies und Transvestiten. Heute wissen wir, wie immens wichtig sie waren. Mein Leben haben sie jedenfalls verändert und das vieler anderer auch.

In Ihrem Film thematisieren Sie mehrfach YouTube. Warum?

Ich liebe YouTube. Wenn ich mir 1989 hätte träumen lassen, was ich dort alles finden kann: Einen Vortrag von John Cage über Schwammerln, ein Interview mit Samuel Beckett, Bilder von Elizabeth Taylor im Badeanzug ... Ich schau’ deswegen kaum noch fern, sondern programmiere mein eigenes TV.

Jim Jarmush: Lakonisch & Kult

Jim Jarmusch (60) zählt seit den 80er-Jahren mit lakonischen Generationenporträts wie „Permanent Vacation“ (1980) und „Stranger Than Paradise“ (1984) zu den Hauptvertretern des US-Independent-Kinos. Spätestens seit „Down by Law“ (1986) gilt er als Kult-Regisseur. Weitere wichtige Arbeiten: „Dead Man“ (1995), „Ghost Dog“ (1999), „Broken Flowers“ (2005)

"Only Lovers Left Alive": Edle Vampire, gebildet wie britische Dandys

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