Vergessen Sie die Oper!

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Hübsch beißt die Farce zu: Friedrich Cerhas "Onkel Präsident" wurde in München gefeiert.

Das Musiktheater hat ein Gute-Laune-Problem: Der Humor ist längst zur Schwachstelle geworden. Zwischen operettigem Schenkelklopfer-Klamauk und dem Nacherzählen von festkomponiertem Humor gibt es kaum etwas zu lachen. Und es kommt auch nichts nach: die Neue Musik gibt sich am liebsten gänzlich witzbefreit.

Vergessen Sie die Oper!
APA8329838 - 20062012 - WIEN - ÖSTERREICH: Komponist Friedrich Cerha am Mittwoch, 20. Juni 2012, während eines Interviews mit der Austria Presse Agentur (APA) in Wien. Cerha erhält am 22.06.2012 den "Ernst von Siemens Musikpreis 2012" in München. APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER
Was für eine Wohltat also, dass der Grandseigneur der österreichischen Neuen Musik eine musikalische Farce, eine lustige Oper komponiert hat:Friedrich Cerha, 87 Jahre alt, hat für „Onkel Präsident“ das als Billy-Wilder-Film bekannt gewordene Molnàr-Stück „Eins, zwei, drei“ hergenommen. Und daraus eine sanfte, souveräne Abrechnung mit dem Alte-Buben-Netzwerk gemacht, das die Wirtschaftswelt beherrscht. Die Uraufführung in München wurde am Samstagabend ausgiebig gefeiert.

Hinterlistig

Ja, die in Büroräumen leichthändig ersonnenen Schweinereien sind die eigentlichen Tragödien unserer Tage, das kann man täglich den Nachrichten entnehmen. Aber so ernst darf man das nicht nehmen, und Cerha tut das glücklicherweise auch nicht.

Auch hat die Oper, jetzt als Genre, ihr Überspanntheitskonto ohnehin längst ausgeschöpft. Da tut es gut, wenn statt großem, gesamtkunstwerklichen Gefühlsrausch die souveräne Farce hinterlistig zubeißt. Cerha schwingt auf Kinofilmlänge entspannt und altersweise die feine Klinge, vielleicht sogar nur die Spitze eines Brieföffners, setzt dann ab, und der Stich ist eigentlich kaum zu sehen, aber am völlig richtigen Ort gelandet: In der Investorenarchitektur, die die Städte umzingelt, in den Büros derjenigen Chefs, die wirtschaftliche Macht für persönliche Einflussnahme einsetzen.

Eindrücke aus "Onkel Präsident"

Vergessen Sie die Oper!

PRINZENREGENTENTHEATER IN MÜNCHEN: "ONKEL PRÄSIDEN
Vergessen Sie die Oper!

PRINZENREGENTENTHEATER IN MÜNCHEN: "ONKEL PRÄSIDEN
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Christian Zach
Vergessen Sie die Oper!

Christian Zach
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Christian Zach
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Jochen Klenk
Vergessen Sie die Oper!

Jochen Klenk
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Jochen Klenk
Vergessen Sie die Oper!

Jochen Klenk
Vergessen Sie die Oper!

Jochen Klenk
Vergessen Sie die Oper!

Jochen Klenk
Vergessen Sie die Oper!

Jochen Klenk
Vergessen Sie die Oper!

Jochen Klenk
Vergessen Sie die Oper!

Jochen Klenk
Vergessen Sie die Oper!

Jochen Klenk

Klar ist: Von Gefühlen lässt man sich kein Geschäft verderben. Die Gefühle gehören in diesem Fall dem verwöhnten Gör Melody Moneymaker (Susanne Ellen Kirchesch), mit dessen Eltern der Firmen-Präsident (viel umjubelt: Renatus Mészár) gerne Geschäfte macht. Doch Melody verliebt sich in einen rastagelockten Fahrradboten – mit Folgen! – , und das geht natürlich gar nicht.

Kaufrausch

Also muss „Onkel Präsident“ aus der unstandesgemäßen Liaison eine standesgemäße Ehe machen. Das geht schnell, schließlich kann man alles kaufen: akademische Grade, Adelstitel, Ansehen, Karriere. Schon tanzt der Aufsichtsrat an und nickt für den Fahrradboten den Einstieg zum Aufstieg als Generaldirektor ab, schon lässt sich der Rektor am Handy einen akademischen Grad abkaufen. Eine Stunde nur braucht der „Onkel Präsident“, um den Eltern des Mädchens den Fahrradboten Josef Powolny (sehr gut: Paul Schweinester) als „Generaldirektor, Generalkonsul und Senator Graf Schrullenhuf-Wullersdurff“ vorstellen zu können.

Die von Josef Köpplinger flott inszenierte Komödie schnurrt bis auf wenige Timingprobleme unterhaltsam ab. Cerha hat seinen Spaß auch mit dem Operngenre selbst: Solisten langweilen sich, während andere Arien singen, Mészár diskutiert mit dem Dirigenten Marco Comin über Verbesserungen am Stück und die Höhe der Gage. Rundherum hat Cerha (Libretto gemeinsam mit Peter Wolf) eine Rahmenhandlung geschrieben: Ein Komponist überlegt, ob es noch lohnt, eine Oper zu schreiben – „es gibt über 40.000 Opern!“, ruft der Komponist (Robert Holl). Das alles ist verschmitzt und hübsch und ohne große Wellen.

Auch die Musik braucht die Aufgeregtheit nicht mehr, mit der die Neutöner einst im miefigen Nachkriegsösterreich für ästhetische Frischluft sorgen wollten. „Onkel Präsident“ ist Neue Unterhaltungsmusik, die niemanden verschreckt. Die mit Freude die alte Opernliteratur zitiert. Die rumpelt, säuselt und auch mal langweilt, wie es der typische Büroalltag eben tut. Die sarkastisch grummelnde Tragödien aufbaut, die natürlich nicht ernst gemeint sind. Hier grenzt musikalischer Humor an liebevolle Selbstironie Cerhas, ein leichtes Vergnügen.

Am Ende dann ist der Komponist immer noch unsicher, ob sich eine Oper lohnt – und wird augenzwinkernd bestätigt: „Vergessen Sie die Oper“, ruft ihm der Onkel Präsident zu. „Vergessen Sie die Oper!“ Und da ist man natürlich längst vom Gegenteil überzeugt: „Onkel Präsident“ wird 2014 an der Wiener Volksoper zu sehen sein. Vergessen Sie nicht, da hinzugehen.

KURIER-Wertung: **** von *****

Aus München: Georg Leyrer

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