Österreichs Beiträge zur Berlinale: Heimat, Horror und Hotel

Österreichs Beiträge zur Berlinale: Heimat, Horror und Hotel
Marie Kreutzers „Der Boden unter den Füßen“ und steirischer Geistergrusel feiern in Berlin Premiere.

Man muss nicht mehr an Gott glauben, um Berge versetzen zu können. Es reichen riesige Bagger. Mit ihren gnadenlosen Schaufeln schieben sie Tonnen an Erde vor sich her und walzen ganze Hügelketten platt. Wo sich gestern noch ein Berg erhob, steht morgen schon das Shoppingcenter. „Die Erde ist eine grausame Geliebte“, sagt der kalifornische Bagger-Fahrer über seine anstrengende Verschubarbeit: „Aber wir geben nicht auf.“

„Erde“ nennt Nikolaus Geyrhalter sein neues, gewohnt formschönes Doku-Porträt, das auf der Berlinale im Forum seine Premiere feierte. Die Erde im Anthropozän, also im Zeitalter des Menschen und seiner gewaltsamen Eingriffe, beobacht Geyrhalter mit manchmal fast ins Abstrakte kippender Bildgewalt. Ob mit Planierraupe, Tunnelsprengung oder Drillbohrer: Unerbittlich fressen sich die Maschinen in den Boden, werden Materialschichten abgebaut, Steine weggesprengt.

„Wir gewinnen immer“, heißt es einmal in „Erde“ – doch um welchen Preis?

Zur Halbzeit der Berlinale ist die österreichische Präsenz im Programm stark. Neben Geyrhalters Drillbohrer am Brenner, beißen sich auch blutlustige Zombies durch die steirische Landschaft, und zwar nach einer Vorlage von Elfriede Jelineks monumentalen Gespensterroman „Die Kinder der Toten“. Das amerikanische Künstlerpaar Kelly Copper und Pavol Liska vom Film- und Performance-Kollektiv Nature Theater of Oklahoma inszenierte (in Kooperation mit dem Steirischen Herbst und produziert von Ulrich Seidl) grimmigen Anti-Heimat-Horror: Fröhliche Menschen hocken in einem obersteirischen Gasthof, prosten sich leutselig zu und kleben sich Palatschinken ins Gesicht. Doch hinter ländlicher Folklore lauern Perversion, Gemeinheit und eine (Nazi-)Vergangenheit, die sich in Form von Untoten zurückmeldet.

Österreichs Beiträge zur Berlinale: Heimat, Horror und Hotel

Copper und Liska drehten auf körnigem Super-8-Material und beschwören in ihren weichen Bildern das Stummfilmerbe des expressionistischen Films herauf. Doppelgänger verfolgen „in der langsamsten Verfolgungsjagd des Kino“ die Untoten, Wiedergänger weigern sich, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Dazwischen irrt eine Gruppe syrischer Poeten durch die Landschaft und überzeugt mit seinen Kochkünsten sogar den Schnitzelwirt. Eine treffsichere Kombination aus Witz, Horror und Trash wird zur brachialen Herausforderung.

Karrierebewusst

Als erster und einziger österreichischer Beitrag im Hauptwettbewerb der diesjährigen Berlinale profilierte sich Marie Kreutzers schlank inszeniertes Drama „Der Boden unter den Füßen“. Nach ihren zuletzt leichtfüßigen Milieu-Komödien wie „Was hat uns bloß so ruiniert“, wechselt Kreutzer nun überzeugend ins ernste Fach. In „Der Boden unter den Füßen“ erzählt sie von der karrierebewussten Unternehmensberaterin Lola, deren diszipliniertes Leben zwischen Geschäftstreffen und Fitnesstraining durch die psychische Krankheit ihrer Schwester aus den Fugen gerät. Während sie sich durch kühle Professionalität den Karrieresprung aus der deutschen Provinz ins attraktive Australien erhofft, beginnen die Hilferufe der bedürftigen Schwester aus der Psychiatrie an ihrer beruflichen Performance zu nagen. Immer öfter unterlaufen ihr Fehler, verwirren sich Einbildung und Wirklichkeit. Die Angst, Schwächen zu zeigen, zieht sich bis in die Liebesbeziehung zu ihrer Vorgesetzten (streng: Mavie Hörbiger).

Valerie Pachner beeindruckt immens durch ihr feines Schauspiel, das den fragilen Zustand zwischen rigider Selbstkontrolle und langsamer Auflösung sichtbar macht. Pia Hierzegger als schizoide Schwester spielt den emotionalen Klotz am Bein der zielstrebigen Lola. Doch während anfänglich das schwierige Verhältnis der beiden Frauen nicht immer die Handlungsbalance hält, konzentriert sich Kreutzer im Verlauf stärker auf Lolas zerbrechliche Befindlichkeit und nimmt dadurch mehr Fahrt auf. Die zunehmenden Irritationen schnüren der jungen Frau die Luft ab und machen die Kälte ihrer Arbeitswelt und die Heimatlosigkeit anonymer Hotelzimmer in aller Dringlichkeit spürbar.

Unweigerlich drängt sich beim Ansehen von „Der Boden unter den Füßen“ der Vergleich mit Maren Ades’ tragisch-komischen Arthouse-Hit „Toni Erdmann“ auf, wo ebenfalls eine junge Karrieristin von einem Familienmitglied in ihrem Berufsleben gestört wird.

Bei Kreutzer gibt es allerdings keine ironischen Zwischentöne, die interpretatorische Freiräume schaffen; stattdessen wird ein klares Psychogramm erzählt.

Valerie Pachner selbst wies im KURIER-Gespräch jeden Bezug zu „Toni Erdmann“ zurück. Kein anderer Film hätte sie in ihrem Spiel als Lola inspiriert, sondern die „starren Bäume vor der Psychiatrie in Steinhof“.

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