Ob es der Grashalm besser hat, wenn er abgemäht wird?

epa03624063 German author David Wagner (front) is congratulated on winning the Leipzig Book Fair Prize for fiction at the Leipzig Book Fair, in Leipzig, Germany, 14 March 2013. The prize has been awarded since 2005 to exceptional new German language works. It is awarded in three different categories and is worth 15,000 euros in each. EPA/JAN WOITAS
Mit dem Roman über eine seltene Krankheit und die rettende Lebertransplantation gewann David Wagner heuer den Preis der Leipziger Buchmesse

Ich wache auf und freue mich, dass ich noch da bin. Ich freue mich so sehr, als hätte ich nicht mehr damit gerechnet, noch da zu sein. Ich freue mich wie verrückt.“

Das Buch heißt „Leben“ – obwohl (weil?) der Tod so nah ist.
Auf dem Umschlag steht nicht, ob es sich um einen Roman handelt oder um sonst etwas. Sollte ja wirklich egal sein. „Leben“ müsste wohl reichen. Alle wollen das. (Es ist ein Roman.)

Autobiografie

Und man wird nirgendwo die Anmerkung finden, der Schriftsteller selbst sei fast gestorben, weil das Immunsystem seine Leber für fremd hält und Antikörper produziert, die eine Entzündung verursachen. Schon als Kind hatte David Wagner eine Leber wie nach fünfzig Jahren Alkohol.

Darüber redet im Buch der Icherzähler. Aber spätestens seit der 41-jährige Deutsche heuer im März den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen hat, weiß man:
Der Text ist autobiografisch. (Es seien aber auch Stimmen enthalten, die er erfunden habe – so wird David Wagner in den Interviews immer betonen.)

Der Anruf

Doch die geplatzten Krampfadern in der Speiseröhre – sie haben in seinem eigenen Hals geblutet.
Und er war es, der den Anruf entgegen genommen hat: „Herr W., wir haben ein passendes Spenderorgan für Sie. Der Krankenwagen ist unterwegs.“

Es ist Spitalsalltag, der beschrieben wird. Es ist absurdes Theater mit Krankenschwestern, die regelmäßig auf der Bühne erscheinen und nach der Beschaffenheit des Stuhls fragen.

Ob es der Grashalm besser hat, wenn er abgemäht wird?
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Es sind Gedanken über die Müdigkeit (sind sie der Schmerz der Leber?) und über den Vorteil, bloß ein Grashalm zu sein, der – wenn er abgemäht wird oder einfach vertrocknet – nichts hinterlässt, keine kleine Tochter, kein Gepäck, keinen Schatz an Wissen.
Es ist ein Auseinandersetzen mit Fragen wie: Wer musste sterben, damit er leben kann? Ist nicht jeder schon einmal fast gestorben? Und ist das ein Zeichen des Erwachsenseins?

Traurig klingt das alles nicht, melancholisch allerdings sehr.
Oft funkeln David Wagners Sätze wie die Sternchen, die man sieht, wenn man einen Schlag auf den Kopf bekommen hat. Dieses Buch ist ein ordentlicher Schlag – mit der Wirkung, dass es besser ist, jetzt unverzüglich mit der Arbeit aufzuhören; und sich zu freuen.

KURIER-Wertung: **** von *****

Info: David Wagner: „Leben“ Rowohlt Verlag. 288 Seiten. 20,60 Euro.

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