1961 war dem 23-jährigen Startänzer die Flucht aus der Sowjetunion gelungen, als er sich spektakulär und viel beachtet während eines Gastspiels in Paris abgesetzt hatte. Nur drei Jahre später studierte er in Wien den berühmtesten aller Ballettklassiker zur Musik von Piotr I. Tschaikowski ein, so wie er ihn aus der Überlieferung seiner Lehrer in St. Petersburg, dem Uraufführungsort der legendären Choreografie Marius Petipas und Lew Iwanows, in Erinnerung hatte. Premiere war am 15. Oktober 1964.
Authentizität
Geschichte schrieb die Wiener Version nicht nur durch die Authentizität der Fassung, die in der Sowjetunion nach Nurejews Flucht Änderungen erfuhr, sondern auch durch die Interpretation der männlichen Hauptrolle Prinz Siegfried durch Nurejew selbst. In Wien ist diese Choreografie, seit zehn Jahren in der Ausstattung Luisa Spinatellis, das Herzstück der bedeutendsten Tanzcompagnie des Landes. Dass man das große Handlungsballett um das Märchen von der unglücklichen Liebe eines Prinzen zu einer von einem Zauberer in einen Schwan verwandelten Frau noch in so großer Besetzung und mit dem Orchester der Wiener Staatsoper (Leitung: Paul Connelly) sehen kann, ist in der gegenwärtigen Theaterlandschaft keine Selbstverständlichkeit.
In der 256. Aufführung am vergangenen Freitag gab es ein lange erwartetes Rollendebüt. Davide Dato, seit 2016 Erster Solotänzer, verkörperte erstmals in seiner an Erfolgen reichen Karriere Prinz Siegfried. Die Verbindung von lyrisch-melancholischen Momenten zu virtuosen Soli, die er technisch bestens beherrscht, geht in den ersten beiden Akten noch nicht auf. Seine Partnerin Kiyoka Hashimoto strahlt als Odette/Odile viel Souveränität aus, gefällt im Changieren zwischen der verzauberten jungen Frau mit den weißen und schwarzen Schwanenwesen. Géraud Wielick, der zweite große Rollendebütant des Abends, überzeugt als gnadenlos böser Zauberer Rotbart, der Prinz Siegfried am Ende in die tödlichen Fluten stürzt. Das Corps de ballet hat seit der Aufführungsserie vor der Sommerpause sichtlich an der stilistischen Homogenität gearbeitet, Luft nach oben bleibt genau so wie beim großen Pas de cinq im ersten Akt.
KURIER-Wertung: 3 1/2 Sterne