Denn: „Diesmal habe ich andere Zugangspunkte zu diesem Stück. Man muss hier immer zwischen Komödie und Tragödie pendeln. Aber man braucht immer eine Leichtigkeit. Ich glaube, es wäre fatal, wenn ,Figaro’ schwer ist und nicht schwebt. Es ist wie eine Operette mit Melancholie drinnen.“
Doch wie lustig ist dieses Werk eigentlich? Kosky: „Wir lächeln immer, weil das ist archetypischer Slapstick. Erst Europa hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Trennung zwischen Tragödie und Komödie vollzogen. Bei ,Figaro’ stecken hinter jedem Lachen auch ein bisschen Tränen. Und hinter jeder Träne steckt auch ein bisschen Lächeln.“
Und das trotz der seltsamen Beziehung zwischen Graf und Gräfin? „Natürlich ist die Beziehung zwischen Graf und Gräfin katastrophal, aber wir spielen hier nicht August Strindberg. Ja, man kann die Gräfin so zeichnen, als wären wir in Strindbergs ,Totentanz’. Aber dann macht die Musik keinen Sinn. Die Balance zu finden, was ist ernst, was ist komödiantisch – das mag ich sehr. Ich mache das sehr oft in meinen Inszenierungen. So wie Ernst Lubitsch in seinen Filmen. Ich bin ein großer Lubitsch-Fan. Mich interessiert das, was hinter der Oberfläche Trauriges lauert.“
Doch gibt es für die Figuren ein Happy End? „Es wird zwischen Graf und Gräfin kein Happy End sein. Nur für den Moment, weil die Musik das sagt. Das Problem in dieser Beziehung ist, dass sie einander lieben. Würde der Graf die Gräfin nicht lieben, bliebe nur ein Don Giovanni oder ein Harvey Weinstein übrig. Und der Graf ist beides nicht. Wäre die Gräfin wiederum nur eine Ersatz-Marschallin in einer melancholischen Endzeitstimmung – macht das auch keinen Sinn.“
Kosky: „Die menschlichsten Charaktere in dieser Oper sind Figaro und Susanna. Susanna ist ein Charakter, den man sonst in der ganzen Opernliteratur nicht findet. Susanna ist hier die echte Revolution.“ Cherubino wiederum ist für den Regisseur ein „Eros auf zwei Beinen. Er wandelt durch das Stück mit einer fast permanenten Erektion und hat die Hormone nicht unter Kontrolle. Bei mir ist er ein Künstler. Zerbrechlich, mit existenziellen Fragen. Vielleicht liest er einfach zu viel Sartre. Er ist ein zerbrechlicher Schmetterling.“
Vermisst Kosky die Komische Oper Berlin und seine dortige Intendanz? „Nein, weil ich arbeite ja noch da. Ich habe einen Vertrag für die nächsten fünf Jahre, um drei Stücke zu inszenieren. Ich glaube, kein Intendant sollte länger als zehn Jahre an einem Haus bleiben. Es ist fast eine Pflicht, nach zehn Jahren aufzuhören. Denn man muss der jungen Generation die Möglichkeit geben, etwas anderes zu machen.“
Was bei Kosky dabei als Nächstes kommt? „Hercules“ von Händel in Frankfurt und „Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc im Sommer in Glyndebourne. Und ja, Kosky hat auch eine Regiewunschliste – auf seinem Handy. „Wenn mich Intendanten fragen, dann gebe ich ihnen die Liste. Da sind auch Operetten und Musicals drauf. Denn ich möchte als Regisseur in keine Schubladen gesteckt werden. Aber auch Bogdan Roščić hat diese Liste. Wir sind da in Gesprächen. Ich komme wieder nach Wien.“
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