"Wagner ist Ausnahmezustand"

APA13119012 - 07062013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT KI - Peter Seiffert als "Tristan" und Nina Stemme als "Isolde" am Freitag, 07. Juni 2013, während der Fotoprobe von "Tristan und Isolde" (Premiere am 13.06.2013) in der Wiener Staatsoper. APA-FOTO: HANS KLAUS TECHT
Die Sopranistin singt an der Staatsoper die Isolde in einer Neuproduktion des "Tristan".

Sie ist die gegenwärtig wohl beste Interpretin der großen und schweren Partien von Richard Wagner. Erst im Mai hat Nina Stemme alle drei Brünnhilden im „Ring des Nibelungen“ gesungen; ab Donnerstag (13. Juni) ist die schwedische Sopranistin nun auch als Isolde in einer Neuproduktion des „Tristan“ zu erleben. Ein Gespräch.

KURIER: Nach Ihren drei grandiosen Brünnhilden, jetzt die Isolde. Wie hält man so einen Wagner-Marathon aus?
Nina Stemme:
Natürlich ist Wagner extrem herausfordernd. In physischer wie in emotionaler Hinsicht. Eine gute Kondition ist da schon wichtig. Und man muss der Stimme auch immer Ruhezeiten schenken. Denn Wagner auf Druck singen – das geht auf die Dauer nicht gut.

Im heurigen Wagner- und Verdi-Jahr werden Sie wohl besonders gefordert ...
Ich verstehe, dass jedes Opernhaus die beiden Komponisten würdigen will. Das ist völlig normal, und so viele Wagner-Sänger gibt es ja auch nicht. Also bedeutet das sehr viel Arbeit. Eine Arbeit, die aber Freude macht.

Das Publikum neigt dazu, bei Wagner oft völlig in die Musik hinein zu kippen und alles rundherum zu vergessen. Wie geht es da Ihnen als Sängerin auf der Bühne?
Vergessen darf ich mich nicht, denn ich muss ja singen und mich auf meine Partner konzentrieren. Aber es ist schon ein Faktum, dass auch ich in anderen Sphären bin. Wagner ist ja Zustand, oft auch Ausnahmezustand.

Und die Isolde, ist die auch ein solcher Ausnahmezustand?
Es ist vor allem eine großartige Rolle, denn äußerlich passiert fast nichts. Außerdem lässt uns Wagner, was die Vorgeschichte zwischen Tristan und Isolde betrifft, völlig im Dunkeln. Liebe, Tod, Verrat, der Augenblick – das sind hier die großen Themen. Daher nannte Wagner den ,Tristan‘ auch ,Handlung in drei Aufzügen‘, das trifft es sehr gut.

Sie haben fast alle Wagner-Heroinen gesungen. Welcher Charakter ist Ihnen am nächsten?
Eindeutig die Brünnhilde aus der ,Götterdämmerung‘. Die handelt nämlich, die ist eine Frau der Tat und bodenständig. Das entspricht auch meinem Charakter. Aber gesanglich und musikalisch schätze ich sie alle.

Fehlt Ihnen eigentlich noch eine wichtige Wagner-Partie?
Die Kundry im ,Parsifal‘ würde ich gern einmal an der Wiener Staatsoper singen. Und von ein paar Rollen habe ich mich schon verabschiedet. Etwa eine Senta im ,Fliegenden Holländer‘ werde ich nicht mehr singen. Das sollten jüngere Kolleginnen mit einer noch lyrischeren Stimme übernehmen.

Was empfinden Sie, wenn Sie am Ende einer großen Wagner-Oper bejubelt werden?
Freude und Dankbarkeit, auch Erleichterung. Nachher in der Garderobe stellt sich da ein Gefühl der positiven Erschöpfung ein. Nach Wagner ist man dann leer im Kopf.

Ist das bei anderen Komponisten auch so?
Wagner ist in dieser Hinsicht schon sehr speziell.

Im Oktober 2013 werden Sie an der Staatsoper in der Premiere von Giacomo Puccinis ,La Fanciulla del West‘ die Minnie singen – eine vergleichsweise harmlose Herausforderung?
Nein, überhaupt nicht. Das ist eine sehr, sehr fordernde, schwierige Parte. Man muss alle Möglichkeiten seiner Stimme abrufen, muss in allen Lagen daheim sein und ist fast ständig auf der Bühne. Die Minnie ist schwerer als so mancher Wagner. Aber ich freue mich sehr auf meine Partner Jonas Kaufmann und Tomasz Konieczny. Und natürlich auf Franz Welser-Möst und dieses herrliche Orchester. Ich lerne jeden Tag von diesen grandiosen Musikern etwas Neues dazu.

Sie lernen vom Orchester?
Von diesem hier, ja!

Und welche Pläne haben Sie für die Wiener Staatsoper?
Einige. Ich komme immer wieder gern nach Wien. Das ist meine zweite Heimat geworden und wirklich die Stadt der Musik. Es gibt also noch einiges zu entdecken. Richard Strauss etwa ist auch ein Komponist, der mir sehr nahesteht.

Mit seinem 1865 am Nationaltheater München uraufgeführten Musikdrama „Tristan und Isolde“ hat Richard Wagner die Musikgeschichte neu geschrieben. „Tristan“ hat – wie auch Wiens Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst in der KURIER-Serie „WahnSinnWagner“ schrieb – die Musikwelt verändert.

Welser-Möst: „Und tatsächlich besteht kein Zweifel daran: Die Musikwelt seit der ,Tristan‘-Uraufführung ist eine andere als sie es davor war.“ Der Grund: Mit „Tristan“ hat Wagner die in Europa seit Jahrhunderten gültige Tonalität über ihre Grenzen geführt und damit indirekt den Nährboden für die Sprengung der Grenzen der Tonalität bereitet.

Worum geht es? Isolde, die König Marke als Braut versprochen ist, wird von Tristan per Schiff zu Marke gebracht. Nach Einnahme eines Liebestrankes sind Tristan und Isolde einander aber in einer grenzenlose Liebe über den Tod hinaus verbunden; Tristan hintergeht König Marke. Der Verrat wird entdeckt. Am Ende sind fast alle Beteiligten aus unterschiedlichen Gründen tot; nach Tristans Ende stirbt Isolde den Liebestod.

Die Quellen

Die „Tristan“-Handlung stützt sich auf dem keltischen Sagenkreis um König Artus. Als literarische Vorlage diente Wagner u. a. der spätmittelalterliche Versroman „Tristan“ von Gottfried von Straßburg aus dem 13. Jahrhundert. Wagner bezog aber zu seiner Zeit aktuelle Deutungen des Stoffes (etwa jene von August von Platen) mit ein. Auch Motive und Stimmungen aus „Hymnen an die Nacht“ des Dichters Novalis übernahm Wagner; auch die philosophischen Gedanken eines Arthur Schopenhauer sollen bei „Tristan und Isolde“ eine Rolle gespielt haben.

Die Nachwirkung war und ist groß: So bezeichnete etwa der Philosoph Friedrich Nietzsche „Tristan und Isolde“ als „Opus metaphysicum aller Kunst“. Es gibt eine Vielzahl meist sehr guter Einspielungen des Werkes.

www.wiener-staatsoper.at

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