Neujahrskonzert-Dirigent Thielemann: "Man muss auch Mensch sein dürfen“

Neujahrskonzert-Dirigent Thielemann: "Man muss auch Mensch sein dürfen“
Der deutsche Stardirigent leitet zum zweiten Mal nach 2019 das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker und hat viele Pläne für Berlin und Wien.

Wenn Christian Thielemann am Pult der Wiener Philharmoniker steht, sind Sternstunden zumeist vorprogrammiert. Zuletzt bewiesen dies Dirigent und Orchester etwa mit ihrer singulären Gesamteinspielung aller Symphonien von Anton Bruckner.

Und ja, Bruckner wird – erstmals in der Geschichte dieses Klassikhöhepunkts – auch beim Neujahrskonzert 2024 erklingen, das Thielemann dann zum zweiten Mal leiten wird. 

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Ist der deutsche Pultstar noch nervös? Thielemann lachend zum KURIER: „Nein, nervös bin ich eigentlich nicht, denn die Wiener Philharmoniker und ich haben seit Jahrzehnten eine wundervolle Übereinstimmung. Dieses Orchester ist wie ein riesengroßer Blumenstrauß, ein Schatz, den man als Dirigent heben darf. Aber das Drumherum darf man nicht unterschätzen. Da sehen doch ein paar Millionen Menschen aus aller Welt zu, also muss man neben aller Proben auch andere Vorbereitungen treffen.“

Und welche wären das? Der Dirigent lachend: „Ich muss noch einen passenden Cutaway finden und in Berlin zum Friseur gehen. Das ist alles nicht ganz unwichtig, auch wenn natürlich die Musik im Zentrum steht.“ Stichwort Musik: Gleich neun Novitäten stehen am 1. Jänner im Goldenen Saal auf dem Programm, darunter eben auch eine Quadrille aus der Feder Bruckners, dessen 200. Geburtstag sich 2024 jährt.

Doch Bruckner und Tanzmusik? „Ja“, sagt Thielemann. „Wir haben dieses Werk für Orgel gefunden und es für Orchester arrangieren lassen. Das ist ein richtig gutes Stück. Bruckner war 14 oder 15, als er das komponiert hat.“

Neujahrskonzert-Dirigent Thielemann: "Man muss auch Mensch sein dürfen“

Wirtshausorgel

Und weiter: „Man muss sich das in etwa so vorstellen, als hätte der kleine Anton auf einer Wirtshausorgel gespielt. Das ist leichtfüßig und elegant – Gebrauchsmusik im allerbesten Sinn. Denn insgesamt gehört das Neujahrskonzert sehr locker und eher leicht dirigiert.“

Und das, obwohl Thielemann doch vor allem mit den Schwergewichten wie Richard Wagner und Richard Strauss assoziiert wird? „Ich habe in Dresden bei den Silvesterkonzerten auch Operette gemacht. Ich liebe diese Art von Musik. Sie ist oft schwerer, als man glaubt.“

Aus Dresden wird sich Thielemann mit Ende der Spielzeit 2023/’24 als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle verabschieden, was „auch kulturpolitischen Kalamitäten“ geschuldet ist. Dafür übernimmt der heiß begehrte Künstler ab 2024 in Berlin das Amt des Generalmusikdirektors an der Staatsoper Unter den Linden. Als Nachfolger des krankheitshalber zurückgetretenen Daniel Barenboim. 

Und in Berlin hat Thielemann sehr viel vor. „Ich steige in meine erste Spielzeit noch sehr langsam ein. Aber danach kommt die ,Schweigsame Frau‘ von Richard Strauss, ich plane alle Tondichtungen von Franz Liszt, Alban Bergs ,Wozzeck‘, 2026 feiern wir den 100. Geburtstag von Hans Werner Henze, dazu kommen noch Wagners ,Ring des Nibelungen‘ und ,Die Meistersinger von Nürnberg‘, Engelbert Humperdincks ,Hänsel und Gretel‘ sowie dessen ,Königskinder‘. Ich habe so viele Pläne, die ich alle noch gar nicht so realisiert habe. Aber das sind die Dinge, auf die ich Lust habe.“

Und wie steht es mit Lust auf Dresden oder auf Wien? „In Dresden bin Gast. Mehr nicht. Auf Wien aber habe ich große Lust. Da haben wir viele schöne Projekte im Köcher. Denn wenn die Wiener Philharmoniker oder die Wiener Staatsoper anrufen, kann und werde ich nicht Nein sagen.“ Etwa bei Wagners „Lohengrin“ oder dessen „Rienzi“. An der Mailänder Scala wiederum folgt ein „Ring“.

Neujahrskonzert-Dirigent Thielemann: "Man muss auch Mensch sein dürfen“

Seltsamer Hügel

Zuvor aber kommen konzertante Aufführungen von Richard Strauss’ „Capriccio“ bei den Salzburger Festspielen 2024 und die (nach zwei Jahren Absenz) mit Spannung erwartete Rückkehr zu den Bayreuther Festspielen. „Mit Bayreuth ist das so eine Sache. Das ist ein seltsamer Ort“, so der ehemalige dortige Musikdirektor. Kaum ist man da vom ,Grünen Hügel‘ mal ein bisschen weg, wird man doch vermisst. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall.“

Doch wie bringt Thielemann all seine künftigen Aufgaben unter einen Hut? „Ich bin jetzt dabei, das alles mal zu regulieren, zu koordinieren. Berlin kam ja doch eher kurzfristig dazu. Aber dafür kann ich auch die Weihnachtszeit gut nützen. Dafür und einfach für Entspannung. Man muss auch Mensch sein dürfen. Das geht sogar eine Zeit lang ohne Musik.“

Thielemann ohne Musik? „Ja, ich kann wochenlang ohne Musik auskommen. Da bin ich dann ganz frei, bin nur ich. Aber irgendwann fängt dann wieder dieses Kribbeln, dieses ,Jetzt will ich es doch wieder wissen‘-Gefühl an. Und dann geht es weiter.“

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