So ist das neue Album von Taylor Swift: Rache, freundlich serviert
Es ist natürlich, eigentlich, völlig nebensächlich, wie das neue Album von Taylor Swift ist. Bei Neuveröffentlichungen von Superstars auf dieser Flughöhe - oben, wo es ganz einsam ist - geht es viel mehr darum, dass es das neue Album gibt.
Es ist also da! "The Tortured Poets Department“ ist erschienen, es gibt noch viel mehr Songs als erwartet - 31 sind es auf der zeitgleich erschienenen "Anthology"-Version, es ist ein heimliches Doppelalbum, x-te Swift selbst - und damit ganz viel Stoff für die Swifties für die popkulturelle Exegese: Was will sie uns sagen? Meint sie mich? Welcher Songteil ist ein heimlicher Verweis auf ihre Beziehung?
Und so weiter.
Swift hat sich längst zu einer Kategoerie für sich entwickelt: Sie ist die Übermutti für ganz viele Fans, sie ist eine positive Stimme in einer dummen und komplizierten Welt. Die Republikaner fürchten sich davor, dass sie offen Joe Biden unterstützt - weil das wahlentscheidend sein könnte.
Sie spendet Trost und Rat und Songs, die durch die schwierigen Lebenslagen begleiten und aus diesen zumeist neue Energie schöpfen.
Swift schafft dabei etwas Erstaunliches: Sie schreibt hochpersönliche Songs und bleibt zugleich als Person völlig ungreifbar, eine Projektionsfläche für Sehnsüchte (und auch den Zorn der rechten Trolle, die ihr nicht verzeihen, dass sie nicht auf ihrer Seite steht).
Derartige Überhöhung geht gemeinhin mit einer gewissen Verklärung einher, die das neue Album noch glänzender erscheinen lassen wird, als es eh ist. Fans und Rezensenten verfangen sich in einem Superlativismus, der hier ungefähr so lauten müsste: "The Tortured Poets Department“ ist das bisher persönlichste Album Swifts, die größte Abrechnung mit jenen, die sie verletzt haben.
Es verharrt über weiter Strecken in der erzählerischen Form der Midtempo-Ballade, eine Einladung, auf die Swift'schen Monologe zu achten. Da will jemand etwas sagen.
Scheiß drauf, wenn ich ihn nicht haben kann, singt sie frei übersetzt in "Down Bad", variiert auf: Scheiß drauf, wenn ich nicht uns haben kann.
Das ist das Grundthema, das auf dem Album vielfach neu formuliert wird: Auch ganz oben auf dem Pop-Olymp ist man - vielleicht umso mehr - in Beziehungsnetze verstrickt, aus denen es kein Entkommen gibt, noch viel weniger, wenn jeder Besuch eines Footballspiels die sozialen Medien zum Rotieren bringt. Es ist der Grundton der menschlichen Existenz, dass man sich hauptsächlich in der Differenz zum anderen empfindet, ob man ihn hat oder nicht, ob man ihn will oder nicht, ob man gewollt wird oder nicht.
Im Swift'schen Universum ist das mit mehr Leid durchwirkt, als man einem Leben gemeinhin so durchmacht. Ostern ist zwar vorbei, aber natürlich nimmt da eine Überfigur das Leid der Welt auf sich: Swift breitet die Palette der Verletzungen, der Enttäuschungen und Betrügereien, des Hinter-den-Erwartungen-Zurückbleibens und des vergeblich Wollens aus, auf dass sich jede Hörerin, jeder Hörer seine Farbe aussuchen kann, um damit beim Anhören seine Wunden zu übermalen.
Ist man aber mal der wichtigste Popstar der Welt, kann man mit der Füllfeder zur Abrechnung schreiten: Man möchte nicht oft der sein, der von ihr gemeint ist. (Ein Song heißt "Der kleinste Mann, der je gelebt hat".)
Das ist manchmal für die Fans leicht entschlüsselbar: Sie sei verärgert, dass sie ihm so viel Jugend gratis gegeben habe, reminisziert Swift in "So long, London", und die Fans wissen wohl, wer sich hier besser wegducken sollte.
Aber der Swift'sche Ärger geht viel weiter, er trifft Ex-Liebhaber, Medien, jene, die sie im widerlichen Popbusiness über den Tisch ziehen wollten. Swift schaut all das Gewirke der Emotion zugleich von Innen und von Oben an, aber sie gönnt sich etwas Überraschendes: Eine Bitterkeit, die weit jenseits ihres Alters liegen sollte. Sie schaut zurück in den Park, in dem sie auf Kinderschaukeln gemeinsam gesessen sind und imaginäre Ringe getragen haben, singt sie in "Fresh Out The Slammer", einer Nummer, die mittendrin zerbricht wie viele Beziehungen.
Wie heute üblich, gibt es Gaststars von Post Malone ("Fortnight") bis zu Florence + The Machine ("Florida!!!"), hier aber nicht, um auch deren Publikum zu erobern, das hat Swift nicht nötig, sondern als umarmende Geste: Wir schaffen das auch gemeinsam.
Das klarste Indiz dafür, wie weit oben Swift steht, ist, dass sie sich hier eine heute fast undenkbare Freiheit nimmt: "The Tortured Poets Department“ ist ein Anti-Streaming-Album. Es gibt nur eine Handvoll jener musikalischen Ankerpunkte, die nach der derzeitigen Vermarktungslogik sich so früh wie möglich im Song ins Ohr fressen sollen, damit auch ja zu Ende gestreamt wird. Swift nimmt sich hier Zeit, die Musik ist mehr subtil als mitreißend, mehr detailverliebt als protzig. Da weiß jemand: Ganz viele Menschen werden sich dieses Album ohnehin anhören. Und allein deswegen wird "The Tortured Poets Department“ ab jetzt die Charts und die Popkultur dominieren.
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