Festwochen-Intendant Rau: Bei dem Festival "geht es wirklich um uns"
Regisseur Milo Rau folgt auf Christophe Slagmuylder. Und er möchte bei den Festwochen Fragen stellen, die Bevölkerung kennenlernen - und eine "wirklich tolle Sause" veranstalten.
Am Freitag wurde der künftige Intendant der Wiener Festwochen präsentiert: Es ist der renommierte Regisseur Milo Rau. Im KURIER-Gespräch erklärt er, was ein "mythisches Theaterfest" ist (das will er hier nämlich veranstalten), warum die Festivalmacher heute schärfer nachdenken müssen als früher, was das Publikum will, und warum er sich im Burgtheater wie ein Wurm fühlt.
KURIER: Sie haben gesagt, dass Sie eine Sachertorte zum Einstand bekommen haben. Aber mögen Sie die überhaupt?
Milo Rau: Ja, ich bin ein Riesenfan. Ich war im Burgtheater, und das war nicht so prickelnd. Aber die hatten kleine Sachertortenstückchen, und dann war ich glücklich. (lacht)
Was hat Sie denn sonst bewogen, sich diesem Prozess zu stellen, sich für die Festwochen zu bewerben? Haben Sie die Debatten der letzten Jahre um das Festival verfolgt?
Ja, klar. Ich war ganz oft zu Gast hier. Dieser Prozess - Publikumsschwund, die Debatte Performance versus Sprechtheater und so weiter – das kann man hier verfolgen, in Brüssel, Berlin und New York. Das ist eine Debatte, die das Theater schon länger anleitet. Jetzt hängt man das sehr stark an Covid.
Zu Recht?
Ich glaube, statistisch ist das absolut richtig. Wir hatten 2019 in Gent das erfolgreichste Jahr ever. Anfang 2020 konnten wir einfach sagen: Wir spielen irgendwas, Leute – egal was, und dann waren die Karten weg. Und dann kam Covid, dann haben die Theater 50 Mal wieder geöffnet und geschlossen. Und irgendwann haben die Leute gesagt: Wenn ihr ruft, hier findet was statt, das glauben wir euch nicht mehr. Und jetzt ist es so: Verkäufe im letzten Moment, nur Projekte, die fröhliche Tanzprojekte sind ...
Große Namen?
Ja, genau. Das ist etwas, das man ein bisschen akzeptieren muss. Man wird ja nicht gezwungen, ein Festival zu machen (lacht). Aber wenn man ein Auto baut, kann man ja auch nicht sagen: Ich bin der Meinung, es sollte nicht fahren. Da müssen wir lernen. Es gibt einige Tricks, die man aus der Trickkiste von früher nehmen kann, und einige Tricks, die sind neu.
Welche sind das?
Extrem wichtig ist Publikumsbindung. Es gibt eine andere und neue Neugierde. Zum Beispiel eben für große Namen, die man sonst nie sieht, für die Präsenz des Theaters. Wenn es eben nicht der Schauspieler ist, der eh ständig in Wien ist. Sondern wenn ich weiß: Dieser Star, diese Konstellation, diese Produktion sehe ich jetzt oder nie. Und ich glaube, die Menschen haben ein wenig das Interesse daran verloren, die Meister bei dem zu sehen, bei dem sie schon 50 Mal zu sehen waren. Als die Künstlerin Marina Abramovic eine Oper gemacht hat, hab ich mir eine Karte gekauft und bin da hingegangen. Und ich bin nicht einmal ein Opernfan. Man muss ein bisschen schärfer denken als vorher, als alles immer funktioniert hat.
Wien ist natürlich eine Stadt mit einer sensationellen Dichte, es ist wahnsinnig viel Energie da, es gibt eine ganz hohe Verfeinerung im Kunstgeschmack von ganz vielen Leuten. Das ist das Beste, was sein kann, dass man nicht in ein analphabetisches Gebiet gerät, dass wenn man die Geschichte nicht eins zu eins erzählt, sagen die Leute: Sorry, hab ich jetzt nicht verstanden. Sondern dass die fast klüger sind, als man selber ist, und man versuchen muss, sich daran zu messen.
Aber ist nicht trotzdem ein Problem gerade für die Festwochen, dass man zuletzt deutlicher gemerkt hat, wie unterschiedlich die Publika dann doch sind?
Ja, ist aber auch überall so. Es braucht immer eine Handreichung an das Publikum. Es ist ganz wichtig zu sehen, dass Theater für ganz viele Leute einfach toll ist. Und wenn man es schafft, die Barriere niedrig zu halten – das ist natürlich auch glückliche Fügung. Auch ich selber, wenn ich in ein Theater gehe, dann merke ich schon so: Oh Shit, ich bin nur ein Wurm (lacht). Die Treppe rauf zum Burgtheater zu gehen...
Die sind aber auch noch extra so gebaut, auch in der Staatsoper, dass man sich klein fühlt!
Ja (lacht), ich weiß. Wenn man wie ich aus kleinbürgerlichem Hintergrund kommt, muss man Jahrzehnte üben, dass man sich nicht vernichtet fühlt. Das ist ganz schwierig zu verändern. Da müssen wir auch an uns selber arbeiten, dass wir sagen: Nein, das ist auch meine Oper. Da muss ich mich jetzt nicht Scheiße fühlen. Das ist vielleicht auch die Aufgabe eines Festivals zu sagen: Hier geht es wirklich um uns.
Apropos: Haben Sie schon einen Gedanken gefasst zur Festwochen–Eröffnung?
Stimmt, die ist ein Riesenevent.
Mit doch anderem Publikum als beim Rest der Festwochen, und Fernsehen.
Das finde ich eine extrem geile Kombi, dass es dieses Riesen-Event gibt. Ich habe ja nicht als Regisseur angefangen, sondern als Veranstalter von Großdemos, das war mein Eintritt in die Performance-Szene. Mein erster Gedanke ist: Wie kann man es nochmal verstärken, dass die Leute, die dorthin gehen, thematisch getriggert werden, dass die wissen: Dieser Sänger kommt später noch in diesem oder jenen Stück vor. Da ist natürlich für 2024 die Zeit ein bisschen kurz (lacht).
Das ist schon sportlich, oder?
2024 ist sportlich, aber es ist auch eine Mischform von Themen, die Christophe (Slagmuylder, derzeit Intendant, Anm.) vorbereitet. Und andere Positionen sind zu füllen. Meine Spielzeit in Gent ist fertig. Es gibt leider oft diese Form von etwas hektischen Übergängen. Dann ist das so. Wir versuchen, 2024 einen Anfang zu setzen.
Welchen?
Ich bin ja auch Künstler und nicht Kurator, ich werde selber zwei Sachen zu machen, die wirklich zeigen, was ist mein Theaterbegriff, zu schauen, funktioniert das, wie reagiert die Stadt darauf. Und 2025 wird noch einmal anders eine Anfang sein. Da müssen wir dann mal landen. Ich bin darauf angewiesen, eine Stadt, ein Land, eine Bevölkerung zu kennen. Das braucht auch Zeit. Da will ich keine Hektik walten lassen. Und ich habe auch kein Gefühl, dass ich 2024 allen beweisen muss, dass die Welt anders wird. Aber ich würde gern in den ersten drei Jahren beweisen, dass ... die Welt anders wird (lacht).
Was ist ein mythisches Theaterfest?
Ich bringe immer gern das Beispiel von Woodstock. Da spielten auch ganz viele Bands, die zu Recht vergessen sind.
Über Lautsprecher, die man nicht gehört hat.
Es hat niemand irgendwas gehört. Aus irgendeinem Grund aber war es so, dass die Leute das Gefühl haben: Wer dort gewesen ist, kann im Grunde jede Diskussion dominieren. Sie haben ein Ereignis geschaffen, dass in sich gut und wichtig und generationenprägend war. Das gilt für viele Festivals, wo ich war. Plötzlich gibt es Momente, an denen das funktioniert hat. In Woodstock waren auch die größten Musikkünstler fast aller Zeiten dort, aber auch Country-Bands, die zu Recht vergessen sind.
Was lernt man daraus?
Man muss sich immer fragen: Warum gibt es eigentlich ein Festival? Das ist auch der Grund für das Wiener Manifest. Wir tun jetzt immer so, als wäre das so ein Kuratorending, man muss die Besten und die Leuchttürme und ein Begleitprogramm und Vernetzung... Darin gibt es keine Wahrheit.
Worin sonst?
Es gibt eine Wahrheit darin, zu sagen: Das war wirklich eine tolle Sause. Und das passiert selten. Natürlich schaut man hier sehr stark auf die Wiener Festwochen, und es ist am Ende des Tages das größte europäische Festival. Aber auch auf den anderen großen Festivals haben sie ein bisschen den Kontakt verloren zu dieser großen Festivaltradition. Was brauchen wir, was wollen wir mit einem Festival? Es ist mehr ein Ausprobieren. Ich bin jetzt hier gezwungen so zu tun: Ich bin der große Zampano und ich weiß wie es läuft und hab meine Erfahrungen. Aber ich meine: Wer hat sie denn? Dann würde ja alles super funktionieren. Da können wir uns entspannen. Ich bin ja froh, dass alle um mich herum scheitern, dann kann ich selber auch ein bisschen scheitern. Um dann besser zu werden und Besseres zu machen.
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