Neues Opernhaus für junges Publikum in Wien: "Echt verrückt, dass das möglich ist"
Am Samstagvormittag eröffnet die neue Spielstätte für Musiktheater in Wien, das NEST der Wiener Staatsoper. Regisseurin Christiane Lutz über kritische Kinder, das Absurde an der Oper und die Pläne im NEST.
Natürlich laufen die Planungen schon seit langem. Aber man ist trotzdem versucht, die heutige Neueröffnung einer Opernspielstätte in Wien als österreichische Antwort auf die Berliner Kultursparpläne zu lesen: Während in der deutschen Hauptstadt Spielstätten von der Schließung bedroht und etwa die Renovierung der Komischen Oper zu scheitern droht, sperrt in Wien ein neues Haus auf. Ein überaus erfreuliches Signal in schwierigen Zeiten.
Die Spielstätte heißt NEST, steht am Karlsplatz im Musikvereinsseitigen Flügel des Künstlerhauses, und wird von der Wiener Staatsoper betrieben.
Und sie richtet sich an jenes Publikum, dessen Gewinnung im Klassik- und Musiktheaterbereich immer ganz oben auf der Wunschliste der Direktoren steht: „Der Schwerpunkt liegt auf Produktionen für Kinder, das NEST ist deswegen aber nicht nur Kinderoper“, sagte Direktor Bogdan Roščić dem KURIER in einem großen Interview. „Wir wollen Programm für Jugendliche, junge Erwachsene und auch für Familien machen. Die besten Filme für Kinder sind doch solche, die in Wahrheit die Eltern schauen wollen.“
Wie gut dies funktioniert und wie sich das neue Haus anfühlt, anhört und aussieht, das kann man am Samstagvormittag erstmals überprüfen: Als Auftaktpremiere (nach dem großen Festakt am Freitagabend) gibt es „Sagt der Walfisch zum Thunfisch“ von Thierry Tidrow in der Regie von Sara Ostertag.
Und dann wird es spannend: Denn das NEST ist mehr als eine Spielstätte, die hin und wieder eine Produktion zeigt. Es gibt Workshops für Kinder und Events für Menschen im Studentinnenalter, Schulklassen kommen vorbei, es wird geprobt und ausprobiert, wie man eben dieses junge Publikum anspricht - und hält.
Denn die große Lücke im Publikum sind nicht die Kleinen, sondern die jungen Erwachsenen. „Kinder und junge Menschen sind begeistert, wenn sie in die Oper gehen“, sagt Christiane Lutz. „Man verliert aber dann die 20- bis 40-Jährigen. Die gehen entweder Party machen – oder Oper ist ihnen in ihrer Lebenssituation zu teuer. Das muss man ja mal hochrechnen, man kauft nicht nur die Opernkarte, die ist oft das billigste an dem Abend, man muss den Babysitter zahlen und will vielleicht auch noch essen gehen. Das ist einfach nicht das Kerninteresse dieser Altersgruppe, und das ist ja auch okay. Ab 45 kommen die Menschen dann wieder in die Oper.“
Lutz hat für die Staatsoper bereits im Kinder- und Jugendangebot mitgearbeitet, als es noch das Kinderzelt oben am Haupthaus zu bespielen galt. Nun war sie in der NEST-Vorbereitungszeit in die Entwicklung einzelner Formate eingebunden und inszeniert „Oper, animiert“ („Aschenputtel“ im April 2025, „Macbeth“ im Juni 2025). Und sie kann mit Begeisterung und Freude darüber reden, wie man junge Menschen für Musiktheater begeistert - jenseits der bildungsbürgerlichen Klischees. „Wir Theater haben es ja in der Hand, ob wir mitreißen oder nicht, ob wir cool aussehen oder nicht, ob wir lässig sind und uns trauen, Gefühle zu zeigen“, sagt sie.
„Mit dieser Freiheit können wir toll arbeiten“
Musiktheatrale Angebote für junge Menschen müsse man „verdammt gut machen, und man darf sich nicht anbiedern. Das ist die größte Gefahr! Die Oper muss auf das stolz sein, was sie ist: Wir sind die große, absurde Behauptung, dass Menschen auf die Bühne treten und singen“, sagt Lutz. „Das gibt uns alle Freiheiten! Wir können so verrückt sein, wie wir wollen, auch Kitsch ist kein Problem. Mit dieser Freiheit können wir toll arbeiten, und die Kinder glauben das sofort, die sagen nicht, das ist komisch oder uncool.“
Und Kinder „kommen ohne vorgefertigte Sehgewohnheiten“, sagt sie, „sie haben keine Referenzvorstellungen, die wir Erwachsene in uns herumtragen. Kinder sind viel freier, aber sie sind wahnsinnig kritisch. Sie sind das beste Publikum und das schwierigste Publikum, das ist alles wahr. Schon damals im Kinderopernzelt habe ich so viele Vormittage erlebt, wo das Ganze einfach vibriert hat, aber wo es ruhig wurde, wenn die Poesie kam. Das ist unglaublich.“
Aber sind es nicht oft eher die Eltern, die die Kinder in die Vorstellungen schieben und sich dann am Heimweg stolz auf die Schultern klopfen - und kann man das junge Publikum hereinholen, das keine solchen Eltern hat? „Natürlich holen wir dieses fröhliche Bildungsbürgertum ab, das ich persönlich auch feiere. Das ist eine g’mahte Wiese“, sagt Lutz und lacht. „Ich denke aber schon, dass man ein breiteres Publikum erwischen kann. Bei den Kindergarten- und Schulvorstellungen kriegt man die gesamte Breite der Gesellschaft. Im Idealfall wünschen wir uns im NEST, dass so viele Leute wie möglich daran vorbeilaufen und sagen: Da war ich schon drin, das ist mein Haus. Da geh ich jede Woche zu meinem Community-Workshop, da war ich in einer Vorstellung. Dann ist es echt gewonnen!“
„Dieser Ort ist ein Geschenk“
Dieses Angebot „auf dem Niveau der Wiener Staatsoper erarbeiten zu können, mit dem Background und den Werkstätten und der Qualität der Musiker und Sänger – das ist Luxus. Wenn das keine Chance ist, die jungen Menschen zu gewinnen, dann weiß ich auch nicht“, sagt Lutz und lacht. „Dieser Ort ist ein Geschenk, es ist echt verrückt, dass das möglich ist. Das NEST ist der neue Stern am Himmel des Jugendtheaters“, betont sie. „Das ist europaweit, weltweit eine einmalige Erscheinung. Da kann man nicht stolz genug sein. Wann kann man einer Stadt wie Wien noch etwas hinzufügen? Gänsehaut!“
Was die erste Saison im NEST bringen soll? „Volle Herzen, volle Häuser“, ruft Lutz. „Wir wollen in der Stadt ankommen. Das ist ein Bildungsauftrag – und ein kreativer Entstehungsprozess.“
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