Neil Shicoff: Der letzte Abend mit einem großen Künstler

Eine "Lebensrolle": Neil Shicoff sang noch einmal den Eléazar aus "La juive" an der Wiener Staatsoper.
Mit einer Gala anlässlich seines 40-jährigen Bühnenjubiläums nahm der Tenor Abschied von "seinem" Wiener Publikum, Abschied vom Haus am Ring.

Er war ein grandioser Hoffmann, ein fanatischer Hermann, ein rasender Don José und ein zu Tränen rührender Eléazar. Und er war noch vieles, vieles mehr. Die Rede ist von Neil Shicoff, der nicht nur (aber vor allem) an der Wiener Staatsoper für Furore gesorgt hat. Und leider liegt die Betonung auf dem Wort hat. Denn mit einer Gala anlässlich seines 40-jährigen Bühnenjubiläums nahm der Tenor Abschied von "seinem" Wiener Publikum, Abschied vom Haus am Ring.

Vier Glanzpartien

Die eingangs erwähnten vier Partien – sie waren noch ein Mal in Auszügen und in einer szenischen Umsetzung von Diana Kienast zu hören. Etwa der Prolog zu Jacques Offenbachs "Les contes d’Hoffmann", in dem Shicoff wieder als grandioser Singschauspieler brillierte und nicht nur "Klein-Zack" zum Ereignis machte. An Shicoffs Seite waren hier Kolleginnen und Kollegen wie Paolo Rumetz (Lindorf) oder Stephanie Houtzeel (Nicklausse) zu hören.

Fast noch intensiver aber geriet das zweite Bild des zweiten Aktes aus Tschaikowskys "Pique Dame" mit der wunderbaren Krassimira Stoyanova als Lisa und vor allem der großartigen Anja Silja als Gräfin. Wie Shicoff hier als Hermann von der Gräfin das Geheimnis der (gewinnbringenden) Karten herauspresste, war pures Musiktheater. Vokale und emotionale Hochspannung inklusive.

Nach der Pause verkörperte der Tenor seine – wie er sie selbst nennt – "Lebensrolle", nämlich jene des Eléazar aus Halévys "La juive". Das Finale der Oper – es darf auch dank des fabelhaften Ferruccio Furlanetto als Brogni und der nicht minder eindrucksvollen Krassimira Stoyanova als Rachel als Ereignis bezeichnet werden. Denn Shicoff singt den Eléazar nicht, er ist dieser Eléazar. Die Formulierung "Lebensrolle" ist mehr als berechtigt.

Ein Gigant

Ähnliches gilt aber auch für den Don José aus Bizets "Carmen", dessen Finale zugleich das Finale der Abschiedsgala war. Elena Maximova als Carmen fiel hier der Eifersucht des Don José zum Opfer, den Neil Shicoff abermals mit unbändiger Intensität sang und spielte. Clemens Unterreiner nahm sich als Gegenspieler Escamillo nobel zurück und stellte sich wie alle übrigen Mitwirkenden samt (gutem) Chor ganz in den Dienst des Giganten Shicoff.

Gleiches gilt für Dirigent Frédéric Chaslin, der vor allem bei "Pique Dame" und bei "La juive" das Orchester fein differenziert aufspielen ließ und für viele melodische Nuancen sorgte. Am Ende wurden alle Beteiligten frenetisch bejubelt; Shicoff selbst kämpfte mit den Tränen. Wie auch ein Großteil des Publikums, das diesen endgültigen Abschied des Ausnahmekünstlers Shicoff in Dankbarkeit zur Kenntnis nehmen musste. Höchstwertung für Shicoff!

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