Nan Goldin laut "Art Review" einflussreichste Person der Kunstszene

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Die alljährliche "Power 100"-Liste reiht erneut Aktivisten und Kuratoren weit vorne ein, der Israel-Konflikt scheint egal zu sein

Die US-Künstlerin Nan Goldin ist aus Sicht des britischen Magazins „ArtReview“ aktuell die einflussreichste Figur der internationalen Kunstszene. Das in London erscheinende Magazin setzte die 70 Jahre alte Künstlerin und Aktivistin am Freitag an die Spitze der jährlich erscheinenden „Power 100“-Liste der wichtigsten Künstlerinnen und Künstler. Auf Platz zwei folgt die in Berlin lebende Künstlerin Hito Steyerl - sie wird übrigens vom 6. bis 8. Dezember mit einer Filmschau im Wiener Filmmuseum präsentiert und auch in Wien zu Gast sein. 

„Die Power Liste ist eine Rangliste der hundert lebenden Persönlichkeiten, die Kunst prägen“, schreibt das Magazin. Die Bedeutung solcher Listen - in der vergangenen Woche hatte das deutsche Magazin „Monopol“ ein ebenfalls 100 Positionen umfassendes Ranking mit Isa Genzken an der Spitze vorgelegt - relativiert „ArtReview“ selbst. „Wer wo stehen soll, ist ein Thema, bei dem sich niemand wirklich einig ist. Was jemanden in London oder New York einflussreich macht, ist nicht unbedingt das, was jemanden in Lagos oder Kuala Lumpur einflussreich sein lässt“, heißt es im Beitrag. 

Der gute alte "Globale Süden"

Auffallend ist, dass "Art Review" seit einigen Jahren aktivistischen Positionen und Künstler*innen und Kurator*innen (jedweden Geschlechts) favorisiert, die die Position des nichtwestlichen Kanons stärken. Auch Theoretiker und Theoretikerinnen sind traditionell stark vertreten - die wegen ihrer "israelkritischen" Haltung zuletzt stark ins Kreuzfeuer geratene Judith Butler findet sich auf Platz 44. Das indonesische Kollektiv ruangrupa, das die documenta 15 in Kassel 2022 kuratierte und dort keinerlei Sensibilität für antisemitische Inhalte zeigte, ist in Deutschland längst eine "grupa non grata" - bei "Art Review" rangiert sie weiter auf Platz 40.

Erst relativ weit hinten sind Sammlerinnen und Sammler zu finden; bei Akteuren aus der Galeriewelt finden sich Positionen verstreut, Thaddaeus Ropac, der in dieser Szene wohl bedeutendste Österreicher, findet sich auf Platz 52. Was auf der Liste vollkommen fehlt, sind Kunstkritiker*innen. 

Die Fotografin und Filmemacherin Goldin, die lange Zeit auch in Berlin lebte, war zuletzt auch durch ihren Kampf gegen die US-amerikanische Familie Sackler bekannt geworden, den Eigentümern eines Pharma-Unternehmens, das mit für die Opioid-Krise in den USA verantwortlich gemacht wird.
Die Künstlerin selbst war zwischenzeitlich nach einem von der Firma vertriebenen Schmerzmittel süchtig. Ihre eigenen Erfahrungen und die umfassenden Proteste hielt sie mit ihren Bildern fest. Die Dokumentation „All the Beauty and the Bloodshed“ von Laura Poitras über diesen Kampf gewann bei den Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Löwen.

"Seismische Verschiebungen"

Aus Sicht von „ArtReview“ ist Goldin das „sichtbarste und prominenteste Modell“ einer Künstlerin, die nicht nur dokumentiere und bezeuge, sondern auch als Aktivistin und ethische Stimme agiere.  In Steyerl sieht „ArtReview“ eine Wegbereiterin der Post-Internet-Kunst, die mit ihrer Arbeit die Verbindung von Technologie und digitaler Kultur mit Kapital und Konflikten untersuche. „Das Erspüren und Darstellen der seismischen Verschiebungen in Kultur und Gesellschaft haben Steyerl zu einer Art Orakel gemacht“, schreibt das Magazin.

Der zwischen Bangkok, Berlin und New York agierende Aktions- und Performance-Künstler Rirkrit Tiravanija (Platz drei) ist im Top-Ranking ebenso zu finden wie US-Künstlerin Simone Leigh (Platz vier), eine langjährige Kämpferin schwarzer, feministischer Kunst. Mit dem Briten Isaac Julien, dem aus Ghana stammenden Ibrahim Mahama, dem US-Konzeptkünstler Theaster Gates und dem britischen Regisseur Steve McQueen („12 Years a Slave“) folgen vier weitere Künstler, für die die Auseinandersetzung mit Rassismus ein Teil der künstlerischen Arbeit ist.

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