Die Abgründe tun sich in Marius von Mayenburgs nur scheinbar oberflächlichem Konversationsstück aber erst nach einer gewissen Zeit auf. Zunächst erzählen die Geschwister samt ihren Partnern dem Publikum recht beschwingt ihre abenteuerliche Geschichte – und kippen dabei ins Spiel: Wie sie beim Räumen auf dem Dachboden ein Aquarell der Ruprechtskirche in Wien gefunden haben, das laut einer beigezogenen Expertin tatsächlich von Adolf Hitler gemalt worden ist. Nun kriegen sie sich bei der Frage, ob sie es verkaufen sollen, in die Haare.
Das erinnert an die Komödie „Der Vorname“, in der darüber debattiert wird, ob man den Sohn Adolf nennen darf. Doch Marius von Mayenburg geht einen Schritt weiter: In seiner Familienaufstellung ist Philipp mit einer „echten“ Jüdin verheiratet. Mit Genuss und viel Zynismus stellt er sie vor der Gutachterin bloß.
Normale Menschen ...
Und dann kommt es zu einer beinharten Konfrontation zwischen Judith und Nicola, in der all die bekannten Vorurteile als Atouts gegeneinander ausgespielt werden. Die Schwägerin sehe die Dinge „einfach anders als normale Menschen“, und die feuerrote Judith der Silvia Meisterle kontert: „Ihr seid nicht normal, euch schwappt die braune Suppe durchs Gehirn.“
Sie landet einen Treffer nach dem anderen in der Magengrube. Das reizt mitunter zum Lachen. Aber noch öfter erschrickt man. Wenn Nicola behauptet, dass „Wir“ (Deutschen) aus dem Holocaust gelernt hätten, „Ihr“ (Juden) hingegen nicht. Siehe Palästina. Dabei hat Marius von Mayenburg sein Stück 2022 geschrieben – und nicht erst nach dem Terroranschlag der Hamas im Oktober 2023.
Längst hat sich Martina Ebm, zunächst nur selbstgerechte Egoistin, alsbald hasserfüllte Nazisse, auf die Seite ihres Bruders geschlagen. Und dieser lässt die Maske der Naivität fallen: Er treibt seine Frau ins Bad mit der Dusche. Soll er die Tür wieder öffnen? Mit einer Ach-geh!-Handbewegung lässt Oliver Rosskopf es bleiben: „Es ist Nacht geworden im Abendland, da geht kein Morgenstern mehr auf.“ (Adolf Hitler pflegte in Wien gute Geschäftsbeziehungen zum Glasermeister Samuel Morgenstern in der Liechtensteinstraße, im Programmheft wird das umfassend erklärt.)
Regisseur Ramin Gray macht sich einen Spaß daraus, immer nur die Rückseite des Aquarells (sonderbarerweise auf Holz, nicht auf Pappe) zu präsentieren. Er macht Tempo, zu viel Tempo (für Reflexionen bleibt keine Zeit) und lässt das Stück hörbar in Berlin spielen. Eine Verortung nach Wien hätte auch nicht funktioniert.
Martina Ebm „kuckt“ daher, und ihr Mann, ein mit „Pflaumenmus“ beschmierter Tropf, hat „die Fresse“ zu halten. Nach seinem vorzeitigen Abgang darf Roman Schmelzer als selbstgefälliger Herrenmensch erscheinen. Nein, Rassist ist er keiner. Denn sonst würde er ja nicht mit einer rassigen Trophy-Jüdin schlafen wollen. Viel Applaus nach 85 Minuten für ein hinreißendes Ensemble (inklusive Susa Meyer als Hitler ergebene Hitler-Expertin).
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