Uraufführung "Toto" im Burgtheater: Gemein sei der Mensch, ekelhaft und voller Wut

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Die Bühnenadaptierung des Sibylle-Berg-Romans ist ein bitterböses Singspiel über menschliche Niedertracht, mit Pfeffer und Längen.

Die Autorin Sibylle Berg ist soetwas wie die Elementarpädagogin des gesellschaftlichen Sarkasmus: In ihren angriffigen, herrlichen Romanen wie „GRM“ und „RCE“ haut sie uns all den Irrsinn um die Ohren, den wir uns im digitalen Spätkapitalismus gefallen lassen. Und fragt zugleich freundlich, aber bestimmt, wo wir eigentlich angerennt sind. Bürgerliche Radikalisierung, Demütigung der Erwerbstätigen, Überwachungskapitalismus, die Verführung der Massen, die verklemmte Sexnot des Mitteleuropäers – all das führt sie genüsslich aus.

Und oft auch, wie willig die Menschen aufzuhetzen sind, geht es gegen Schwächere, Absonderliche. Das ist nun auch eines der zentralen Themen von „Toto“: Ein Baby wird ohne erkennbare Geschlechtsmerkmale geboren. Was zwar für fast alle Dinge im Leben außer zwei völlig egal ist, Toto aber ein Leben lang zum brutal gedemütigten Außenseiter macht. Die Uraufführung am Burgtheater mit Maria Happel als haar- und geschlechtsloses Riesenbaby, das zum Katalysator menschlicher Niedertracht und zumindest als jammernder Countertenor kurz vermarktbar gemacht wird, wurde sehr freundlich akklamiert.

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Regisseur Ersan Mondtag stellt zwei sich drehende Riesengebäude auf die düster gestimmte Bühne. Zuerst ein Spital, das zum Waisenheim wird, wo Toto von der angeekelten Mutter abgegeben wird. Und dann eine Absteige auf der Reeperbahn. Die leuchtende Aufschrift „Klinik“ wird – Buchstaben verlöschen - zu „Kink“, also Sexfetisch. Denn ja, auch die Geschlechtsverkehrproblemstellungen des intersexuellen Toto sind Thema in seiner unglücklichen Lebens- und Sterbensgeschichte, die hier erzählt wird.

Auf die Bühne kommt ein uneigentliches Singspiel: Schauspieler intonieren Songs (Komposition und musikalische Leitung: Beni Brachtel), die sich zuweilen herrlich rhythmisch um sich selbst drehen, und etwa davon handeln, was die Menschen jederzeit tun würden: sich geldwerten Vorteil verschaffen, einem Führer folgen, andere zerstören. Gepaart mit allerlei Szenerien des gesellschaftlichen Vernichtungswillen – selbst die Ärzte ekeln sich vor Toto, die anderen Waisenkinder zeigen mit dem Finger auf ihn, die große Jugendliebe Kasimir verleugnet am Schluss jeden Konnex – entsteht hier ein Reigen der Menschenapokalypse: Gemein sei der Mensch, ekelhaft und voller Wut.

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Da steckt natürlich viel Berg’sche Wahrheit drin, und wer hier in Erwartung moralischen Trostes hineingeht, wird – so realistisch muss man sein – enttäuscht werden. In Spielfigurenkostümen in Neoprenoptik (Teresa Vergho) rollt das große Ensemble (mit u.a. Bruno Cathomas als Kasimir, Günther Eckes, Sabine Haupt) immer wieder die Mechanismen der Gemeinheit auf. Toto wird verprügelt und von den Pflegeeltern gewatscht. Toto ist Außenseiter in Ostdeutschland und Außenseiter in Westdeutschland, Toto muss in der Bar Kotze wegwischen. Toto wird ausgelacht und weggeworfen.

Happel tapst im Babygang und unerschüttert von der Gemeinheit über die Bühne, eine Art Parsifal-Figur, nur, natürlich, ohne Erlösung. Einzig im Altersheim finden die Welt und Toto kurz zusammen: Sie – Toto wird am Schluss unfreiwillig umoperiert – hält die Sterbenden im Trost, hört sich ihre Angst an. Und im Singen: Kurz sieht es so aus, als würde die Zwischenstimme zum Erfolg führen. Doch, klar, die Menschen sind schnell gelangweilt und eilen zum nächsten Event, was hier herrlich verächtlich ausgesprochen wird.

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Am Schluss wird sie selbst wie ein Hund unter der Brücke zum Sterben gelassen, Kasimir demütigt sie noch ein letztes Mal, bevor sie ein verklingendes Lied über die kleinsten Träume singt.

Fast drei Stunden folgt man Toto auf dem Passionsweg des Menschlichen – „Vielen Dank für das Leben“, heißt die Romanvorlage nicht umsonst -, und vor allem nach der Pause wird es durchaus redundant. Auch das Werk ist ein Zwischending, Musiktheater-gewöhnte müssen die Ohren auf freundlich stimmen. Doch das extradüstere Coming-of-Age dieses Außenseiters darf ruhig betroffen machen: So sind wir, sorry, Herr Bundespräsident, doch.

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