Nachruf auf Elizabeth T. Spira: Die Menschenöffnerin

Die erhobene Faust in der Abendsonne: Szene aus der ORF-Spira- Doku „Ich bin nicht wichtig“
Die Grande Dame der Fernsehreportage und Kupplerin der Nation starb mit 76 Jahren

Zuletzt betrieb sie sehr erfolgreich das Geschäft mit der Liebe: Elizabeth T. Spira, journalistische Vorkämpferin, Kettenraucherin, Bürgerschreck, Dame – ihren größten Erfolg brachten die „Liebesg’schichten und Heiratssachen“. Die sommerliche Kuppelshow war Jahr für Jahr ein Quotengarant in der Fernsehtodeszone. Um im heißen Sommer eine gute Million vor den Fernsehschirm locken zu können, braucht es schon eine Fußball-WM. Oder eben Spira.

Das komplizierte Verhältnis der Geschlechter begleitete sie recht unbeeindruckt durch mehr als zwei Jahrzehnte. Was von Männern zu halten ist, die angesichts selbstbestimmter Frauen nicht mehr wissen, ob sie jemandem die Tür aufhalten sollen, beantwortete sie so: „Die sind sowieso unsicher. Wenn man sich darüber den Kopf zerbricht, dann wäre man bei allen anderen Sachen auch unsicher. Ein halbwegs sicherer Mensch macht etwas aus Instinkt.“

Über selbigen verfügte sie selbst zuhauf, wie ihre zahlreichen hinterlassenen Interviews belegen. Niemand konnte Menschen so simpel öffnen wie Spira – sei es besoffen um drei Uhr früh am Würstelstand bei den „Alltagsgeschichten“ oder im trauten Eigenheim bei den „Liebesg’schichten“.

Kopfwäsche

Den Umstand, dass sie oft mit ihren Porträts aneckte, ließ sie selten unbeantwortet. Wer ihr Voyeurismus vorhielt, bekam eine Kopfwäsche, ob man denn Bildern von normalen Leuten aushalte. Überhaupt verteidigte sie stets ihre Protagonisten ähnlich leidenschaftlich wie ihre eigene Arbeit.

Die Aufmüpfigkeit schien ihr in die Wiege gelegt. Spira wurde 1942 im Exil geboren: Der Vater, Jude und Kommunist, war im NS-Regime doppelt gefährdet. Was ihn nicht daran hinderte, in den Spanischen Bürgerkrieg zu ziehen. Er wirkte als Publizist und Autor.

Spira, die einen Mann und eine Tochter hinterlässt, begann ihre Karriere in den 1970er-Jahren bei profil. Als dieses an den KURIER verkauft wurde, kündigte sie trotzig und ging in den ORF, wo der legendäre Claus Gatterer gerade das TV-Magazin „teleobjektiv“ gegründet hatte. In zehn Jahren erlernte sie das Fernsehgeschäft und blieb dem ORF seither treu.

Ein wichtiger Durchbruch kam mit den „Alltagsgeschichten“, die 1985 starteten. Die Reportagen, die das Leben kleiner Leute ins Fernsehen holten, sorgten für erhobene Augenbrauen im Bürgertum und den Vorwurf, sie stelle nichtsahnende Mitmenschen bloß. Das Format überdauerte die Jahrzehnte beeindruckend und hinterließ zahlreiche Dokumente über die Zeiten, in denen sie gedreht wurden: „Die Donausinsulaner“, „In der Grossfeldsiedlung“ oder „Treffpunkt U-Bahn“ lauteten ihre Titel etwa. Die letzte Episode drehte sie 2006. Mit zunehmendem Alter wäre das Reportagefach beschwerlich geworden, gestand sie später ein. Zu dem Zeitpunkt war sie aber ohnehin bereits die Kupplerin der Nation: Mit den 1997 gestarteten „Liebesg’schichten und Heiratssachen“ wurde Spira zum Star des Fernsehhauptabends. 22 Staffeln drehte sie, verkuppelte Männer mit Frauen, Frauen mit Männern, Männer mit Männern, die später Frauen wurden – auch hier spielte Spira die Rolle der Menschenöffnerin: Selten sah man normale Leute im Fernsehen so entspannt über zutiefst private Themen wie Liebe und Sehnsucht sprechen.

Für die zuletzt schwer lungenkranke Journalistin war die Sendung das Rezept gegen die eigene Rastlosigkeit. „Zu Haus’ hocken kann ich immer noch, wenn ich alt bin“, scherzte sie im Vorjahr. In Wahrheit war es auch ein Grund, in Bewegung zu bleiben: „Nachdem ich nicht sehr gesund bin – ich habe COPD, weil ich furchtbar viel geraucht habe – , gehe ich freiwillig nicht gerne aus dem Haus, weil es einfach unangenehm ist.“ Wenn die Arbeit rief, war Spira stets zur Stelle. Die 23. Staffel im Sommer konnte sie leider nicht mehr vollenden. Ihr Werk wirkt weiter, ihr Vorbild wirkt uneinholbar.

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