Nach Peymann und Castorf in Berlin: Horrorclowns im Theaterzirkus

Caligula ist in Berlin eine Frau: Constanze Becker
Es gibt auch am Berliner Ensemble eine Zeit nach Peymann: Neustart mit "Caligula".

Berlin ist, was künstlerische Regungen, mediale Erregung und künstliche Aufregung betrifft, zur Zeit ganz klar Theaterhauptstadt des deutschen Sprachraumes. An der Volksbühne, die ihren Namenszusatz „am Rosa-Luxemburg-Platz“ verloren hat, wird wie bei keiner Intendanz-Übernahme zuvor diskutiert, welche Verluste mit dem Wechsel von Frank Castorf zu Chris Dercon noch einher gehen. Seitenweise wird in Zeitungen debattiert, wie viele Ensemblestellen gestrichen wurden, welche Aufgaben die neue Dramaturgie haben wird. Am Freitag wurde das Theater sogar von 100 Aktivisten besetzt – obwohl dort noch keine einzige Aufführung unter Dercon stattfand. Bisher bringt die neue Volksbühne nur Tanzevents am Flughafen Tempelhof.

Am Berliner Ensemble wiederum stellte sich die Frage, ob ein Theaterleben nach Claus Peymann überhaupt möglich sei. Der Theatermacher wurde nach 18 Jahren von Oliver Reese abgelöst, dieser Wechsel vollzog sich vergleichsweise ruhig. Reese tauscht zwar fast das gesamte Ensemble aus, setzt aber weiterhin auf großes Schauspielertheater, auf zeitgenössische Autoren, also auf post-peymannsches statt auf postdramatisches Theater.

Der "Place to BE"

Den Anfang machte das erste Stück von Albert Camus, "Caligula", dem Wiener Publikum vielleicht noch von der Produktion im Kasino mit Cornelius Obonya vor fünf Jahren in Erinnerung. Jetzt ist Berlin für Theaterliebhaber der Place to BE.

Vor dem Haus ist ein gelber Teppich ausgerollt, Schauspieler sprechen politische Texte im Stil griechischer Chöre, auf dem Dach dreht sich immer noch der "Berliner Ensemble"-Schriftzug (der Volksbühnen-Stern ist verschwunden).

Als politisches Statement ist dieses Werk zum Neustart auch gut gewählt: Ein Stück über einen Herrscher, der zum brutalen Diktator wird, der viel Macht, aber keine Idee hat, der dem Wahn und dem Blutrausch verfällt, obwohl er ursprünglich nur Gutes wollte – das hätte drei Tage vor der Bundestagswahl Potenzial für eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Thema Macht gehabt.

Effektvoll und blutig

Regisseur Antú Romero Nunes, auch in Wien von zahlreichen Inszenierungen bekannt, fokussiert sich bei der Eröffnungspremiere jedoch auf Effekte statt auf Analysen, auf Distanzierung statt auf Näherbringung dieses dramaturgisch problematischen Textes, der von Camus 1938 begonnen und unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges verschärft wurde.

Nunes stellt unterschiedlichste Clowns auf die Bühne, die nach und nach zu Horrorclowns werden und wie in einem Splatter-Movie Blut spritzen lassen. Auch Geschlechter sind hier getauscht, Caligula wird von einer Frau gespielt (famos in ihrer brutalen Kälte: Constanze Becker), Caesonia von einem Mann (berührend und bizarr: Oliver Kraushaar). Die Beste des Abends ist Annika Meier als artistischer, trauriger Patrizier-Clown.

Bei dieser Harlekinade, dieser Verfremdung, geht die politische Sprengkraft des Stückes verloren, der philosophische Überbau wird schrillen Effekten geopfert. Dagegen ist der Circus Roncalli wie eine brisante Wahldebatte.

Aber vielleicht war ja eine Hommage an Bert Brecht intendiert, der das Berliner Ensemble mit Helene Weigel begründet hatte. Wie bei dessen epischem Theater wird auch hier keine Identifikation mit den Figuren ermöglicht, es gibt nur eine stilisierte Bühne und sogar ein Chanson von Friedrich Holländer, das Caligula singt ("Wenn ich mir was wünschen dürfte"). Wenn der Diktator dann noch das "Ave Maria" von Bach/Gounod auf der Blockflöte spielt, wird es fast schon kindisch.

Heute, Samstag, gibt’s schon die nächste Premiere mit einem echtem Brecht: "Der kaukasische Kreidekreis", inszeniert von Hausregisseur Michael Thalheimer und mit Stefanie Reinsperger als Grusche.

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