Lebensaufgabe für einen Liebhaber

Verdis „Rigoletto“, wie ihn Regisseur Pierre Audi sieht: Marcus Pelz, Piotr Beczala, Simon Keenlyside (v. li. oben) und das Volk
Myung-Whun Chung dirigiert ab Samstag an der Wiener Staatsoper Giuseppe Verdis "Rigoletto".

Ganz so war das in dieser Form nicht geplant. Denn ursprünglich hätte Franz Welser-Möst die Premiere von Giuseppe Verdis "Rigoletto" im Haus am Ring leiten sollen. Doch nach dem Rückzug des ehemaligen Generalmusikdirektors Anfang September waren plötzlich viele Dirigate vakant. Darunter auch jenes der "Rigoletto"-Spielserie sowie im Vorfeld einige von Verdis "La Traviata".

Also griff Staatsoperndirektor Dominique Meyer zum Telefon und fand letztlich einen geeigneten Einspringer: Den südkoreanischen Maestro Myung-Whun Chung. Dieser – ein deklarierter Verdi-Liebhaber – nahm sich beider Werke an und kehrte nach Verdis "Simon Boccanegra" (2011) an die Staatsoper zurück. Am Samstag, 20.12., ist "Rigoletto"-Premiere.

Zusage

"Normalerweise mache ich so etwas ungern und hätte eher abgelehnt", sagt Myung-Whun Chung im KURIER-Gespräch. "In diesem Fall aber musste ich zusagen. Erstens kenne und schätze ich Dominique Meyer seit mehr als 25 Jahren. Zweitens ist die Wiener Staatsoper ein besonderes Haus, und drittens liebe ich Giuseppe Verdi einfach über alles", so der 61-jährige Maestro.

Lebensaufgabe für einen Liebhaber
1 maggio 2000 a Torvergata. Chung © Riccardo Musacchio
Wann aber hat diese Liebe zu Verdi begonnen? Chung lachend: "Das weiß ich nicht mehr. Aber darauf kommt es auch nicht so an. Das ist wie im Leben: Es geht nicht um die Liebe auf den ersten Blick, es geht darum, dass diese Liebe im Laufe der Jahre immer tiefer und tiefer wird. Das war bei mir und Verdi der Fall." Nachsatz: "Außerdem war ,Rigoletto‘ die erste Oper, die ich in Europa dirigiert habe. Das ist auch schon mehr als 30 Jahre her, und der legendäre Alfredo Kraus war damals der Herzog. Unvergesslich!"

Muskelspiel

Aber gibt es für Chung, der über eine unglaubliche Verdi-Erfahrung verfügt, bei einem so populären Werk wie "Rigoletto" überhaupt noch Herausforderungen? "Aber selbstverständlich. ,Rigoletto’‘ ist im Gegensatz etwa zur ,Traviata‘ eine Oper der puren Energie. Wenn man so will, dann steht ,La Traviata‘ für das weibliche Prinzip, ,Rigoletto‘ für das männliche. Verdi lässt hier musikalisch die Muskeln spielen."

Chung weiter: "Außerdem hat man bei Verdi und auch bei anderen Komponisten als Dirigent nie ausgelernt. Man muss die Partituren studieren, studieren und wieder studieren, um diesem Genie Verdi näher und näher zu kommen. Das Ziel ist natürlich die Perfektion, jedoch vor allem in emotionaler Hinsicht. Wie nahe man dieser vielleicht gekommen ist, weiß man allerdings erst am jeweiligen Abend."

Und wie oft ist Chung das in seiner bisherigen Karriere schon gelungen? "Ich habe etwa, als ich an der Pariser Opéra Bastille verantwortlich war, an die 25 Produktionen geleitet. Davon waren vielleicht zwei herausragend, acht sehr gut, der Rest fast eine Zeitverschwendung. Gerade eine Opernproduktion hängt von so vielen verschiedenen Faktoren ab."

Einheit

Und die wären? "Das Orchester, der Dirigent, die Sänger, der Regisseur, die Bühne, die Kostüme – das sollte alles zu einer großen Einheit werden. Daher habe ich es mir auch zum Credo gemacht, nur mit Menschen zu arbeiten, die ich mag und die hoffentlich mich mögen."

Wie aber sieht es mit Aufführungen ohne Proben wie etwa bei der jüngsten "Traviata"-Spielserie am Ring aus? "Das ist eine ganz andere Situation. Man geht da hinein und weiß, das oder das kann ich eventuell im Idealfall erreichen. Die Latte liegt schon hoch, aber nicht so hoch wie nach sechs Wochen Proben. Aber das Wiener Orchester ist natürlich ein sehr spezielles, das sehr, sehr viel kann."

Gigant

Doch zurück zu Verdi. Hat der Maestro eigentlich eine Lieblingsoper? "Ich finde Verdi generell großartig. , La Traviata‘ und ,Simon Boccanegra‘ sind beispielsweise Meisterwerke. ,Boccanegra‘ liebe ich sehr. Aber wenn ich nur eine Oper auswählen dürfte, wäre das ,Don Carlo‘. Was wiederum die Komponisten grundsätzlich betrifft, so ist Verdi ein Gigant. Und Mozart natürlich auch. Diese beiden zu studieren, ist eine absolute Lebensaufgabe."

Ist Verdi etwa auch der Grund, weshalb Chung seit Jahren in Italien lebt? Lachend: "Nein. Ich kam mit meiner Frau vor 32 Jahren wegen des Essens nach Italien. Ich hatte nicht einmal ein fixes Engagement. Wir haben uns gesagt: Lass’ es uns ein Jahr versuchen. Wir sind geblieben. So viel zur Liebe auf den ersten Blick, die immer tiefer und tiefer wird."

Werk: „Rigoletto„ wurde 1851 in Venedig uraufgeführt und basiert auf dem Drama „Le roi s’amuse“ von Victor Hugo. Das Libretto stammt von Francesco Maria Piave, der ursprüngliche geplante Titel „La maledizione“ („Der Fluch“) musste aufgrund der Zensur geändert werden.


Produktion: Dirigent: Myung-Whun Chung. Regie: Pierre Audi. Ausstattung: Christof Hetzer. Mit u. a.: Piotr Beczala (Herzog von Mantua), Simon Keenlyside (Rigoletto), Erin Morley (Gilda), Elena Maximova (Maddalena), Ryan Speedo Green (Sparafucile). Premiere: 20. 12. um 18.30 Uhr.

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