Es spricht somit für ein Haus wie die Wiener Staatsoper, dass diese Neuproduktion dennoch über die Bühne gehen konnte. Ying Fang verkörperte (inklusive Lippenbewegungen) die Susanna; Maria Nazarova sang als Einspringerin aus dem Orchestergraben heraus die Partie. Das Ergebnis: Eine darstellerisch starke, mutige Susanna oben und eine stimmlich fabelhafte Susanna unter den Orchestermusikern. Beide Damen verdienen ein großes Kompliment allein für die meist sehr synchrone Interpretation und wurden vom Premierenpublikum zurecht gefeiert.
Womit wir bei Barrie Kosky wären. Dieser und sein Leading-Team bekamen am Ende nebst viel Applaus auch ein paar unmotivierte, vor allem unberechtigte Buhrufe ab. Denn Kosky hat im sehr schönen, ästhetischen Bühnenbild von Rufus Didwiszus – es gibt weiße Wände, ein feines Boudoir mit Spiegel unter Barockbildern und zuletzt eine Schräge mit Löchern, aus der alle Liebesverirrten immer wieder herauskriechen – eine klassische Inszenierung geschaffen.
Hier geht nicht um die Revolution des Bürgertums gegen den Adel (gut die zeitlosen Kostüme von Victoria Behr), sondern um präzise ausgearbeitete seelische Organigramme der handelnden Personen. Zwischen Graf und Gräfin geht nichts mehr, die Liebe ist aber noch da. Ob Figaro und Susanna trotz Hochzeit glücklich werden, ist bei Kosky sehr fraglich. Und Cherubino als Existenzialist – das funktioniert dank einer exzellenten Personenführung perfekt. Diese Produktion hat gute Chancen auf ein langes Leben im Repertoire.
Wenn, ja wenn alles so gut geprobt ist, wie in dieser ersten Spielserie. Denn mit Andrè Schuen steht ein juveniler Singschauspieler zur Verfügung, der als Graf Almaviva seinen sicher geführten Bariton perfekt einsetzt, der in Hanna-Elisabeth Müller ein ihm gleichwertige Gräfin findet. Patricia Nolz gelingt es in der Rolle des Cherubino, den Begriff Diversität mit Nach- und Ausdruck neu zu definieren; Peter Kellner ist ein vokal etwas kleiner, jedoch sympathischer Figaro.
Stephanie Houtzeel (Marcellina), Josh Lovell (Basilio), Andrea Giovannini (Don Curzio), Wolfgang Bankl (Antonio), Johanna Wallroth (als Barbarina) und vor allem Stefan Cerny (Bartolo) harmonieren gut. Auch dank Dirigent Philippe Jordan, der am Pult des starken Staatsopernorchesters stets die richtige Balance zwischen Lyrik und Dramatik findet. Eine tolle Leistung von Philippe Jordan!
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