Moshe Leiser: "Ich glaube nicht an heilige Kühe"

Die ersten Bilder aus der neuen "Zauberflöte": Benjamin Bruns als Tamino
Die Regisseure der Staatsopern-Premiere der neuen "Zauberflöte" über Erwachsenwerden, Poesie und Sängerwechsel.

Wien bekommt eine neue "Zauberflöte": Moshe Leiser und Patrice Caurier, die zuletzt in Salzburg mit der „Norma“ Cecilia Bartolis einen großen Erfolg eingefahren haben, inszenieren erstmals an der Staatsoper.

KURIER:Die „Zauberflöte“ ist ein tief im österreichischen Selbstbild verwurzeltes Kulturgut. Ist es schwieriger, sie hier zu inszenieren als anderswo?

Moshe Leiser: Ja und nein. Jeder hier hat die „Zauberflöte“ schon mit der Muttermilch aufgenommen (lacht). Aber man arbeitet nie für ein bestimmtes Publikum. Wenn diese Zauberflöte in Paris entstanden wäre, wäre sie die selbe. Ich glaube nicht an heilige Kühe. Wir machen das, wovon wir glauben, dass es das Stück braucht, um überzeugend zu sein.

Was vielen schwer fällt zu beantworten ist, worum es in der „Zauberflöte“ überhaupt geht.

Moshe Leiser: Man könnte die Zauberflöte als Geschichte sehen, wie zwei junge Menschen unter dem Einfluss der Nacht stehen, mit allem, was dies beinhaltet: Ungefilterte Emotion, Leidenschaft, Instinkt, Jugend, nicht viel denken. Das Stück erzählt, wie man beim Erwachsenwerden diesen Zauber der Nacht verlässt. Und wie man verpflichtet ist zu lernen, dass man Kompromisse schließen muss, dass man nicht jede Leidenschaft sofort erfüllen kann. Dass nicht alles schwarz-weiß ist: Der „böse“ Sarastro hat meine Tochter weggenommen? Man lernt später, dass er seine Gründe dafür hatte. Wir wollen Sarastro nicht verdammen, aber auch nicht die Königin der Nacht. Es ist wichtig, dass uns das Erwachsenwerden die Illusionen der Jugend nimmt.

Ein Verlust oder ein Gewinn?

Moshe Leiser: Das muss das Publikum entscheiden. Im gesellschaftlichen Normalisierungsprozess verlieren wir Jugend und die Möglichkeit, von Poesie total vereinnahmt zu sein. Deshalb ist die Zauberflöte so großartig, weil sie das erzählt – mit einem Märchen, das so viele Aspekte des Lebens berührt.

Bleibt es in der Märchenwelt – oder holen Sie es in die echte?

Moshe Leiser: "Ich glaube nicht an heilige Kühe"
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Moshe Leiser: Das Märchen ist wichtig! Es wäre wahnsinnig fad, eine Zauberflöte zu haben, die so aussieht wie die Kinder heute, mit Jeans und Sneakers: Papageno aus der Vorstadt. Das würde das Stück umbringen, nur um Punkte klarzumachen, die jedes vernünftige Publikum ohnehin verstehen würde. Das Stück muss humorvoll, poetisch sein. Aber das Märchenhafte muss nicht bedeuten, dass es leicht ist oder weich. Unser Bühnenbild ist ein leeres Theater, und darin kann alles passieren. Explosionen, Fallen, jemand, der fliegt. Diese kleinen Theatereffekte mit all ihrer Naivität, die stärker sein können als ein millionenteurer Hollywood-Spezialeffekt. Es gibt aber auch einen falschen Respekt vor Oper. Das einzige, was es hier zu respektieren gilt, ist, wenn alle Beteiligten hart daran arbeiten, dass auf der Bühne etwas Wahrhaftiges passiert. Alles andere ist Eitelkeit, Protzen, mit Stimme und allem anderen. Ich gehe nie in die Oper, um eine Stimme zu hören. Wenn ich das will, lege ich eine Platte auf.

Apropos Stimmen: Es gab prominente Sängerwechsel, u. a. verließ „PaminaAnita Hartig die Produktion. Warum?

Patrice Caurier: Die zwei Sängerinnen wurden krank. Wenn das zwei Wochen dauert, wird es zu schwierig nachzulernen, was auf der Bühne passiert.

In Wien gibt es da gleich Gerüchte über einen Skandal.

Moshe Leiser: Ich mag das. Wien ist die einzige Stadt, wo man vom Taxifahrer Neuigkeiten über die Beziehung von Erwin Schrott und Anna Netrebko erfahren kann.

Patrice Caurier: Aber: Es gab nichts dergleichen.

Moshe Leiser: Es gibt Momente, in denen man Entscheidungen für das Wohl der gesamten Inszenierung treffen muss. Und die wurden getroffen, ohne Extra-Drama.

Es macht auch die Runde, dass die Produktion vorangegangener Zauberflöten-Inszenierungen von Ihnen sehr ähnlich ist, etwa Nantes und Spoleto.

Moshe Leiser: Ich hätte überhaupt kein Problem damit, selbst wenn es dieselbe wäre. Aber das stimmt nicht.

Patrice Caurier: Und ich bin froh, dass wir das Stück bereits anderswo inszeniert haben und es kennen. Es ist gut, mit dieser Basis hier anzukommen. Und zu wissen, wo man hinwill.

Sie haben die „Zauberflöte“ schon vielfach inszeniert. Wie findet man einen neuen Zugang?

Moshe Leiser: Unser Anspruch ist nicht, neu zu sein, sondern ehrlich. Es geht nicht darum, der Welt plötzlich eine ganz neue Sicht zu präsentieren. Das haben wir bei der „Norma“ mit Cecilia Bartoli in Salzburg gemacht. Hier aber ist die Frage: Wie macht man in einem Haus wie diesem eine Zauberflöte, die die Gefühle und das Interesse des Publikums weckt, das vielleicht sogar von der Zauberflöte übersättigt ist? Es gibt bei der Zauberflöte keinen Weg, um „zu gewinnen“.

Premiere: Sonntag (19.00 Uhr), kommt an der Wiener Staatsoper die „Zauberflöten“-Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier zur Premiere. Am Pult steht Christoph Eschenbach. Weitere Termine: 20., 24., 27., 30. 11. sowie 2. 12.

Besetzung: Chen Reiss singt (statt der ursprünglich vorgesehenen Anita Hartig) die Pamina, Valentina Nafornita die Papagena (statt Hila Fahima). Markus Werba singt den Papageno, Benjamin Bruns den Tamino, Brindley Sherratt den Sarastro und Olga Pudova die Königin der Nacht.

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