Bleibtreu: Vom smarten Anwalt zum Mörder

Moritz Bleibtreu im Film
Moritz Bleibtreu mutiert in "Die dunkle Seite des Mondes" drogenbedingt.

Er ist ein smarter, arroganter Schnösel, dieser Urs Blank. Wirtschaftsanwalt mit Ellenbogen und großen Ambitionen. Schickes Loft, schöne Frau(en).

Alles scheint perfekt, bis sich ein von ihm unter Druck gesetzter Geschäftspartner vor Blanks Augen eine Kugel in den Kopf jagt.

Blank kuriert sein Trauma mit halluzinogenen Pilzen aus und öffnet damit ein Höllentor: Die Rauschpilze wecken die Bestie in ihm.

Moritz Bleibtreu, wohl der wandlungsfähigste unter den deutschen Schauspielstars ("Lola rennt", "Der Baader Meinhof Komplex", "Inside Wikileaks", TV-Serie: "Schuld") und KURIER-ROMY-Preisträger, spielt in der Literaturverfilmung von Martin Suters Roman "Die dunkle Seite des Mondes" (Kinostart: 15. Jänner) diesen mörderischen Staranwalt mit einer Intensität, die aufwühlt.

KURIER: Herr Bleibtreu, konnten Sie beim Thema Drogen auf eigene Erfahrungen zurückgreifen?

Moritz Bleibtreu: Ich habe in jungen Jahren ganz wenig davon genommen. Eine lustige Erfahrung war das. Aber auch gleichzeitig so ein Gefühl von: Mehr davon muss jetzt nicht sein. Das reicht dann. Ich finde die Welt so schon spannend genug, ich brauche nichts. Muss da nicht noch großartig nachhelfen.

Kehren Drogen das Schlechteste im Menschen hervor?

Nein. Die Abgründe, die bei einem Menschen nach Drogenkonsum – so wie bei Urs Blank – zutage treten, sind etwas, was der immer in sich getragen hat. Ganz klar. Der Drogenrausch ist ja nur ein Bild dafür, wie fragil die Grenze zwischen Vernunft und Gewalt ist. Diese Grenze wird in dem Moment sichtbar, wo man sich entscheidet, bleibe ich ruhig oder gehe ich in eine Konfrontation. Es geht um Hemmschwellen, die überschritten werden und man ist dann geneigt, die nächste und wieder die nächste zu überschreiten. Diese Uhr kann man dann nicht mehr zurückdrehen. Wenn man einmal an der Uhr gedreht hat, ist es vorbei.

Sie lassen in einigen Szenen ordentlich die Sau raus, prügeln sich und sind sehr brutal. Ist Schauspielen auch eine Art Therapie?

Guck mal, das ist doch das Schöne an meinem Beruf, dass ich mich ständig danebenbenehmen darf. Ständig Dinge tun darf, die ich sonst nie tun dürfte und wollte. Daher habe ich keine unterdrückten Gefühle und keinerlei Bedürfnis, irgendwo irgendwem aufs Maul zu hauen. Also: Wenn man die Schauspielerei gesund betreibt, ist sie für die innere Balance zumindest kein Nachteil. Es gibt eine Menge Schauspieler, für die das eine therapeutische Wirkung hat.

Der Film erinnert atmosphärisch über weite Strecken an den dunklen, finsteren Wald aus den Märchen der Gebrüder Grimm. Wie empfanden Sie den Dreh im Wald?

Einfach anstrengend. Es ist ja nicht so, dass Wald Wald ist. Der Wald ist schon ein faszinierender Ort. Die einzige Landschaft, die zugleich romantisch, harmonisch, abschreckend und unheimlich sein kann. Aber gerade im Wald musst du genau schauen, wo du eine bestimmte Flucht, Tiefe, bestimmte Hänge findest. Und da mit der Kamera hinzukommen ist oft ein Riesenproblem. Kurzum: Es war eine furchtbare Kraxelei, es war unwegsam und kalt. Ich empfinde meinen Beruf sonst nicht als sonderlich belastend, aber bei diesen Szenen war ich irgendwann an dem Punkt, wo ich sagte: So, jetzt reicht es aber. Nach drei Wochen im November im Wald ist es schon schön, wenn man wieder auf einer Couch sitzen kann.

Sie zeigen ja hier auch Ihren inneren Wald: Man kann richtig dabei zusehen, wie sich Ihr Inneres von höflich zu gruselig wandelt.

Ist das so? Ich kann nicht sagen, wie und ob und warum ich so wirke. Ich versuche einfach, die Figur, die ich spiele, mit all meinen Sinnen so ernst zu nehmen wie es nur geht. Ich kann nicht mehr tun, als sie mit all meiner Leidenschaft und Liebe zu füllen. Mein Beweggrund ist immer, aufrichtig zu sein. Eine Geschichte zu erzählen, die ich für erzählenswert halte. Alles andere passiert dann von selbst, da habe ich keinen Einfluss mehr.

Treffen Sie Ihre Rollenauswahl rational oder aus dem Bauch heraus?

Einzig und allein aus dem Bauch. Ich erzähle Geschichten, die mir gefallen. Das ist alles. Natürlich muss ich sehen, dass ich meine Miete bezahlen kann, aber ich versuche, dass der finanzielle Aspekt so wenig Einfluss wie möglich bei meiner Filmauswahl einnimmt. Das hat bis jetzt ganz gut funktioniert.

Dass sich Martin Suter den Knochenjob einer Film-Promotiontour antut, hat es bisher noch nicht gegeben. Sechs seiner Romane fanden bisher den Weg ins Kino oder ins Fernsehen, aber für die Filmversion von "Die dunkle Seite des Mondes" (Regie: Stephan Rick) gibt er erstmals mehrere Interviews. "Ich habe hier das erste Mal einen fertigen Film gesehen und war hin und weg", zeigt sich der Starautor begeistert, "er ist wirklich toll geworden. Sonst ist das Resultat ja manchmal unangenehm."

Die Rechte zum Film habe er schon im Jahr 2000, als das Buch erschienen war, aus der Hand gegeben. "Ich habe mich überhaupt nicht eingemischt und erst von dem Film erfahren, als sie ihn schon drehten. Das hat dem Film offenbar gut getan."

Keine Drogenerfahrung

Das mit den halluzinogenen Pilzen sei reine Fantasie ("Das habe ich tatsächlich noch nicht ausprobiert"), aber dass "die Grenze zwischen Gut und Böse sehr fein, die Schicht der Zivilisation sehr dünn ist", für diese Erkenntnis brauche man keine eigene Drogenerfahrung. Die dunkle Seite des Menschen fasziniert Suter seit Jahren: "Die ist eigentlich in jedem meiner Bücher ein bisschen dabei."

Ist Schreiben für ihn Qual oder Erfüllung? Suter denkt lange nach: "Das ist halt mein Beruf. Es gibt Tage, an denen ich ihn mit großem Vergnügen ausübe und es gibt Tage, da würde ich lieber etwas anderes machen oder gar nichts. Aber ich mach’s schon gerne. Ich bin ja bereits über dem Rentenalter (Suter ist Jahrgang 1948, Anm.) und könnte mir nicht vorstellen, es aufzuhören. Ich habe Spaß daran, Geschichten zu erzählen und das Glück, dass die meistens Erfolg haben. Wenn’s mir noch gut geht, mache ich weiter".

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