Moretti über Mangold: "Sowas wie das Sinnliche der Bockigkeit"

ROMY-GALA 2022: MANGOLD/MORETTI/KNOLL
Erni Mangold erhielt am Samstag unter Standing Ovations die Ehren-ROMY. Und Tobias Moretti hielt die Laudatio - hier zum Nachlesen.

Die 33. ROMY-Gala am Samstagabend begann, wie Moderator Andi Knoll meinte, ganz anders - nämlich mit dem Höhepunkt: Erni Mangold bekam die Platin-Statuette für ihr Lebenswerk überreicht. "Mit 95 bleibt einem nichts erspart", sagte die Schauspielerin, nachdem sie als Preisträgerin angekündigt worden war.

Unter Standing Ovations bewegte sie sich mit ihrem Rollator in Richtung Bühne - laut Script zu früh. Denn zunächst sollte Kollege Tobias Moretti die Laudatio auf sie halten. Man konnte das als Zeichen ihrer Widerspenstigkeit interpretieren. Und Andi Knoll reagierte blitzschnell: Er ließ einen Sessel auf die Bühne stellen. So lauschte Erni Mangold der launigen Rede im Sitzen. Auf die Lobrede, die sie sich verbeten hatte, reagierte sie, von Moretti liebevoll zum Stillsein und Zuhören aufgefordert, mit viel Mienenspiel. 

Hier nun die komplette Rede von Tobias Moretti: 

"Erni Mangold, Goldmann: Das G’sicht, ein eingefrorenes Momentum. Ein Porträt durch die Zeiten. Eine Retrospektive. Ebenbild einer Epoche. Ein wütendes Kind. Ein Aphrodisiakum. Ein Mädchen – und auch eine pubertierende Greisin wieder. Ein Teller, mit Sprüngen auch. Erblüht im Nachkriegssozialismus. Ein Klatschmohn in den Ruinen – und noch immer nicht verblüht und verwelkt. Eine erklärte Feindin der Konvention, obwohl dem Ideal der eigenen Schönheit immer treu verbunden gewesen. Eine alte Vorspielerin, bis der Vorhang fällt. Dann spielt sie hinterm Eisernen weiter.
 
Es gibt kaum jemanden, der dieses G’sicht nicht vor Augen und dabei diese krätzige Stimme nicht im Ohr hat. Manche meiner Kollegen werden – so wie ich – etwas mehr im Auge gehabt haben. Denn Erni hat ihre Reize nie freiwillig verborgen. Ähnlich wie der (Philipp, Anm.) Hochmair, nur war sie früher.
 
Ich erinnere mich an die letzte Folge von 'Kommissar Rex', wo sie die beknackte Mutter des psychopathischen Uli Tukur gespielt hat, der mir den Abgang geebnet hat ('Mosers Tod', Anm.), in einer Fabrikshalle in Schwechat voller Dreck und Schutt, nur ein Paravent als Garderobe oder Abtrennung. Kickt sie den Paravent weg und schreit: 'Wo ist denn der Trampel von Garderobier?' Und da stand sie dann vor mir – mit 70, pudelnackert, mit der täglich kalt geduschten Prachtfigur in weiblicher Vollendung, von der viele der heutigen 19-Jährigen der McDonald’s-Generation nur träumen können, und sagt, nachdem ich eine Zehntelsekunde zu lang hin’gschaut oder auch hingestarrt hab‘: 'Was schaust denn so? Du heirat’st in drei Wochen! Ihr Männer seid’s alle gleich!'
 
Sie hat gewusst, wovon sie spricht. Denn sie hat sich meistens, trotz ihres stürmisch-amazonenhaften Wesens, in Männerzirkeln bewegt. Sie war auch keine Feministin im heutigen Sinn. Obwohl ihr dieses Fuffziger-Jahre-Frauenbild irrsinnig auf den Keks gegangen ist, weil es so angepasst war, so bieder, und weil es nix Unerotischeres gibt als das Angepasste. Gegen diese Biederkeit hat sie nahezu ein existentielles Gespür entwickelt. Sie durchschaut im Keim das Problem, den Konformismus der jeweiligen Zeit und des jeweiligen Zeitgeists. Denn sie kennt ihn – und sie fürchtet ihn auch.
 
 
Und gerade in ihrem puren, ungeschminkten Alter jetzt, als Granitzacken in ihrer Schönheit, als Granitzacken des Widerspruchs, verkörpert sie sowas wie das Sinnliche der Bockigkeit. Wie eine Amazone bis heute auf der Jagd nach ihrer Eigenheit, nach ihrer autonomen Eigenheit. Und diese Widerspenstigkeit, die zu zähmen sich niemand antun wollen würde, ist gewissermaßen ihr Markenzeichen geworden, ihre nicht totzukriegende Energie, immer gewürzt mit a bissl an Gift. Obwohl sie manchen damit auf die Socken geht, ist es doch immer so etwas Hoffnungsfrohes für mich, dass es sowas gibt: Dass die einmal aufhört zu rennen, zu wirbeln, zu motschkern, wen herumzudirigieren – und wenn’s der eigene Rollator ist – ist unvorstellbar.
 
Im Herbst, als ihr einziger Überlebensgefährte, die graue Eminenz des österreichischen Films, der Joschi Deininger, mir gesagt hat, ich solle sie bald noch einmal besuchen im Krankenhaus im 5. Bezirk, war der Zustand wirklich kritisch und müde: ein Flämmlein nur noch. Aber noch immer war da dieser Puls, dieser Motor. So schwach er war, so voll von Renitenz und Lebendigkeit, dass ich mir im Stillen gedacht hab‘: 'Vielleicht dreht die noch amal a Runde!' Jedenfalls hat mir das Personal schon wieder angefangen leidzutun.
 
Als sie mich angerufen hat, ob ich das hier mach‘, hat sie noch im Widerhall der Zusage in den Hörer geschrien: 'Aber net loben, hearst! Nix Positives!' Dass das nie aufhört, dieses Phänomen unseres Berufes, dieses Kalkül, dass der Blick von außen immer, bis die Schläuche platzen, so präsent bleibt, so wichtig, dass man den Erwartungen gerecht wird, indem man auf sie scheißt…
 
Erni wird wahrscheinlich eher auf den Preis verzichten als auf das Mittel der Provokation. Unsere Provokation wird es sein, ihr den Preis trotzdem zu überreichen. Erni, wir lieben Dich, wir brauchen Dich! Und wenn ich im nächsten Leben doch noch als zen-buddhistisches Medium in Niederösterreich auf die Welt kommen sollte, heirat‘ ich Dich!"
 

 

ROMY-GALA 2022: MANGOLD/MORETTI

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