Eine „Neuaufstellung der Schausammlung“ gilt nicht gerade als sexy Medienthema – zu Unrecht. Zumal auch viele Museen Massenmedien sind: 879.640 Personen kamen 2022 allein ins Obere Belvedere, und zwar nicht nur wegen eines Selfies mit dem Klimt-Kuss. Die Geschichte der österreichischen Kunst, die hier erzählt wird – dafür ist das Museum von Gesetz wegen zuständig – strahlt weit aus, nicht zuletzt international.
Insofern ist es signifikant, dass im Raum mit dem „Kuss“ nun auch drei Werke der Künstlerin Elena Luksch-Makowsky gezeigt werden – eine jener Persönlichkeiten, die die visuelle Kultur in „Wien um 1900“ prägten, deren Name aber nicht so geläufig ist wie der von Klimt, Schiele und Kokoschka.
Die nun auf alle drei Etagen des Barockpalais ausgebreitete Erzählung, die vorerst für fünf Jahre so bleiben soll, erschöpft sich aber nicht in der von Direktorin Stella Rollig oft priorisierten Stärkung von Frauen. Sie verlagert auch geografische Schwerpunkte, schaut stärker auf gesellschaftliche Hintergründe und setzt – etwa mit Tastreliefs oder digital aufbereiteten Archivalien – ein deutliches Zeichen für Vermittlung und mehr Offenheit.
Wer die Sonderausstellungen des Belvedere in vergangenen Jahren verfolgte, wird klare Echos davon erkennen: So ist die von Kurator Alexander Klee in der Schau „Formkunst“ (2016) detailliert vorgebrachte Idee, dass sich abstrakte Kunst in der Donaumonarchie auf eigenen Wegen entwickelte, in den Räumen im 2. Obergeschoß sehr stark präsent.
Mit Beispielen tschechischer und ungarischer Künstler erscheint Österreich hier nicht mehr als der Ausleger, der in der Entwicklung der Moderne zu wenig Picasso abbekam. Auch die Sektion über den Surrealismus blickt nicht nach Paris, sondern nach Prag oder, mit dem 2019/’20 solo präsentierten Wolfgang Paalen, bis nach Mexiko.
Museum Zentraleuropas
Der Balkan und der Alpe-Adria-Raum erhalten anderswo stärkere Präsenz – etwa in dem Bildnis des mit einem skurrilen Willy-Wonka-Zylinder ausgestatteten Kärntner Speditionsunternehmers Paolo Preinitsch aus dem Jahr 1835, das das Belvedere erst im November des Vorjahres (um 83.200 €) im Dorotheum erwarb.
Das frühe 19. Jahrhundert erhält in den Sälen – sie sind durchaus plakativ mit Themen überschrieben – eine stark kritische Note: So hängt das martialische Napoleon-Bildnis von Jacques-Louis David unter dem Motto „Bilder des Krieges“ neben weniger glorifizierenden Werken der Epoche; die Sektion zur Biedermalerei konterkariert das „Traute Heim“-Image mit Statistiken zu Armut und Kinderarbeit.
Die Kunst des Barock, lange Zeit als staatstragende Stilrichtung Österreichs positioniert, wird in der Neuaufstellung mit Kleinplastiken und anderen Preziosen angereichert und zugleich ein wenig vom Sockel geholt: Ein Porträt des Prinzen Eugen etwa ist so gehängt, dass der stolze Heerführer auf ein Bild von vier Geiern hindeutet.
Auch im Bereich der mittelalterlichen Kunst, die in der Belvedere-Sammlung mit herausragenden Werken vertreten ist, gelingt es, das Ehrfurchtgebietende durch ein Gefühl von Nähe und Menschlichkeit zu ersetzen. Die Raumflucht im Erdgeschoß, die von Holzkreuzen anonymer Meister des 12. Jahrhunderts zu Hauptwerken von Michael Pacher oder Lucas Cranach hinführt, verdeutlicht zugleich den Wandel vom Handwerker zum eigenständigen Künstler.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Palais endet der chronologisch angelegte Rundgang mit feministischer Kunst von Margot Pilz und Friederike Pezold und geometrischer Abstraktion von Helga Philipp und H+H Joos. Ein solch weites Terrain in schlüssiger Weise erfassbar zu machen, ist keine schwache Leistung: Man darf dem Team gratulieren.
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