Mit Bleistift und Feder in eine verrückt gewordene Epoche

Mit Bleistift und Feder in eine verrückt gewordene Epoche
Die Albertina-Ausstellung „Bruegel und seine Zeit“ zeigt fantastische Zeichnungen

Bei einer „Heckenpredigt“ versammelten sich einst Massen von Menschen unter freiem Himmel, scharten sich um eine provisorisch gezimmerte Kanzel und lauschten den Worten eines Geistlichen, der die Lehre einer reformierten Frömmigkeit hinausposaunte. Wie bei einer Demo wurde die Schar der Zuhörenden von zahlreichen Wachorganen umkreist und in Schach gehalten.

Die Zeichnung des Künstlers Chrispijn van den Broeck, die eine solche Szene um 1566 darstellt, ist nicht die künstlerisch wertvollste in der neuen Schau der Albertina, die unter dem Titel „Bruegel und seine Zeit“ rund 90 Werke niederländischer Zeichenkunst des 16. Jahrhunderts aus eigenen Beständen präsentiert.

Mit Bleistift und Feder in eine verrückt gewordene Epoche

Zeitmaschine aus Papier

Als historisches Dokument aber ist sie hocheffektiv – zieht sie einen doch zurück in eine Epoche, in der die Gesellschaft enorm polarisiert, die politische Lage angespannt und der Wettstreit der Weltanschauungen von extremistischen Eiferern dominiert war. Auch wenn Vergleiche über Jahrhunderte hinweg problematisch sind, lassen sich doch ein paar Parallelen zum Jetzt erspüren.

Künstlerisch erscheint die Zeit, die Pieter Bruegel den Älteren (um 1525 – 1569) als Aushängeschild hervorbrachte, fast wie in einen kreativen Rausch verfallen – davon künden die weniger bekannten, auf dunklem Papier gefertigten Zeichnungen, mit denen die Schau eröffnet, aber auch die großformatigen „Federkunststücke“ eines Hendrick Goltzius oder Jacob de Gheyn III, denen ein eigenes Kabinett gewidmet ist.

Mit Bleistift und Feder in eine verrückt gewordene Epoche

Das Überschwängliche darin speist sich zum einen aus den Visionen von Hölle und Verdammnis, die Bruegel mit Rückgriff auf Hieronymus Bosch vorantrieb, andererseits aus dem Austausch der Niederländer mit Vorbildern aus Italien.

Jedes Bild ist dabei in einen politischen Kontext eingespannt: Die Teilung der Niederlande, die protestantische Bilderfeindlichkeit und der Versuch von Künstlern, diese kreativ zu umschiffen, spielen ebenso eine Rolle wie der sammelnde Herzog Albert von Sachsen-Teschen, der einst als Statthalter der Habsburger in Brüssel fungierte. Dass der historische Kontext in dieser Schau etwas stärker im Fokus liegt als bei der letzten Bruegel-Schau der Albertina (2017), tut der Strahlkraft der Werke keinen Abbruch.

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