"Weine nicht, ich sing für dich"

Die Tante Mizzi war fassungslos vor Neid." Der Herr im Trachtenjanker erzählt von seinem Entschluss, zu Mireille Mathieu nach Wien zu reisen. Jetzt ist er hier im fast ausverkauften Konzerthaus und studiert das Programmheft. Die darin abgebildeten Erinnerungen an 50 Jahre Karriere sind für viele hier wie Familienfotos. "Ist das der Gilbert Bécaud?" "Nein, das ist der Julio Iglesias."

Mireille Mathieu stellt bei ihrem Wien-Gastspiel Sonntagabend ihren Ruf als Schwerarbeiterin des Schlagerbiz unter Beweis. 125 Millionen verkaufte Tonträger. Von nichts kommt nichts. Vorsichtig mag der Trippelschritt sein, mit dem sie auf die Bühne kommt. Doch dann steht die 1,53-Meter-Frau da und schmettert von "Gefühl" und "Berge versetzen". Energisch blickt die 68-Jährige zu den Rängen, streckt die Hand in die Höhe oder trommelt, wenn sie von Herz und Liebe singt, auf ihren Bauch. Zwei Stunden, drei schwarze Kleider, eine Klopause.

Floristen-Freudentag

Im Publikum Profis, die wissen, wie sie den richtigen Moment abpassen, um Blumen zur Bühne zu bringen. Dieser Sonntag wird ein guter Tag für Österreichs Floristen gewesen sein. Sträuße im Wert von Hunderten von Euro, die meisten davon weiße Rosen, Mathieu wird alle persönlich entgegennehmen, Hände schütteln, besonders gerührten Besuchern, einige davon mit Pagenkopf wie ihr Idol, wird sie zurufen: "Weine nicht, ich sing für dich". Standing Ovations schon beim zweiten Lied, Profi-Fans erkennen jeden Takt. "Jössas, La Paloma." Leider auf Deutsch. Die französischen Chansons gelingen authentischer. Möglicherweise, weil Mathieu dabei weiß, was sie singt. Die deutschen Schlager beinhalten sinnentleerte Zeilen wie "Tarratati-tarrataton und darum sing ich deinen Song". Zusammen mit der hochemotionalen Darbietung ergibt das bizarre Momente.

Schade, dass sie nicht näher am französischen Chanson-Repertoire bleibt, das sie, den grauenhaften, Kreuzfahrtschiff-affinen Arrangements zum Trotz, beherrscht. Édith Piafs "Non, je ne regrette rien" gelingt. Mathieus kraftvolle Stimme sitzt, ihr Timbre ist mit den Jahren tiefer und fast samtig geworden. Das steht ihr gut.

Die Orchestrierung ist scheußlich wie eh und je. Macht nichts. Denn heute ist Frauentag, und da darf eine nicht fehlen: "Meine Maman ist mit mir gekommen." Marcelle, Mathieus 92-jährige Mutter, erscheint auf der Bühne. Erneut Jubel. Etliche Zugaben später wird Mathieu im Bademantel zurück auf dieBühne kommen und von Rosen und vom Nie-mehr-Allein-Sein singen.

KURIER-Wertung: