Michael Dangl im Interview: Harte Abrechnung ohne Backhendl

Michael Dangl als Franz Alt
Michael Dangl spielt ab heute in der Josefstadt in "Der Engel mit der Posaune".

Ernst Lothar, Direktor des Theaters in der Josefstadt, musste vor den Nazis nach Amerika fliehen, wo er den großen Roman "Der Engel mit der Posaune" schrieb. Anhand der Geschichte einer Familie von Klavierbauern erzählt er von den Umwälzungen, die zum Ende der Monarchie und schließlich zur Machtübernahme der Nazis führten. 1948 wurde das Buch mit Paula Wessely, Attila und Paul Hörbiger und Oskar Werner verfilmt.

Das Theater in der Josefstadt bringt die Dramatisierung zur Uraufführung, Michael Dangl spielt den Patriarchen Franz Alt.

KURIER: Sie haben im Mai und Juni schon an dem Stück geprobt, jetzt im August wieder – das ist ein ungewöhnlich intensiver Probenprozess.

Michael Dangl: Das ist die Dramatisierung eines großen Romans und besteht aus vielen kurzen Szenen. Da muss man darauf achten, dass das Spielen im Vordergrund bleibt und nicht die Verwandlungen. Das ist kein fertiges Stück – sondern für alle Beteiligten ein Erkundungsprozess.

Haben Sie den berühmten Film gesehen?

Es war wie bei "The King’s Speech" – ich habe den Film gesehen, bevor ich wusste, dass ich die Rolle spielen werde. Ich hätte ihn mir sonst nicht angeschaut, weil ich lieber meine eigenen Fantasien entwickle. Dann erst habe ich das Buch gelesen – ich wusste nicht, was das für ein großartiger Roman ist! Der Film hat einen viel verklärenderen Gestus. Das liegt aber auch an der Zeit, in der der Film entstanden ist, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, da gab es eine Sehnsucht .... ein Land, das nicht mehr existierte, hat sich neu formiert. Der Roman ist viel härter, viel gnadenloser. Eine so schonungslose Abrechnung mit dem österreichischen Wesen wie bei Lothar habe ich nie gelesen.

Auch nicht bei Josef Roth?

Josef Roth – der für mich sowieso einzigartig ist – lebte in einer Verschmelzung mit dem Altösterreichischen, von der er sich nicht lösen konnte. Obwohl auch Josef Roth und Stefan Zweig emigrieren mussten, hatte nur Lothar wirklich den Blick von außen – er schreibt aus einer größeren Distanz.

Findet sich diese Härte auch in der Bühnenfassung?

Ja, vor allem in den Figuren der jüngeren Generation. An ihnen sieht man, wie diese Welt dieser Klavierbauer-Dynastie im Haus an der Seilerstätte untergeht. Hier wird auch nichts verklärt. Bei Lothar "backhendlt" es nicht – man sagt sich: Gott sei Dank ist diese Zeit vorbei. Wir sind kein Film, wir haben andere Mittel – wir stellen eine Geschichte aus einer anderen Zeit dar, die uns in unserer Zeit etwas zu sagen hat.

Was sagt sie uns?

Wir kommen bei der Arbeit an dem Stück immer wieder drauf, dass es leider mehr mit uns zu tun hat, als wir gerne hätten.

Denken Sie, auch wir leben in einer großen Umbruchzeit und wissen es nur noch nicht?

Das Stück erzählt von einer Welt, die sich im Recht glaubt, in dem, was sie repräsentiert, wie sie sich gebärdet, wie sie ihre Kinder erzieht. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in einer Gesellschaft wiederfinden, die ebenfalls glaubt, im Recht zu sein – gegenüber anderen Gesellschaften, Religionen, Überzeugungen, Hautfarben. Der Grund-Wurm – so würde ich es nennen! – der Gesellschaft von damals wurde trotz aller Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nicht zur Gänze ausgemerzt. Wir müssen aufpassen, dass wir diesen Wurm nicht wieder nähren und wachsen lassen. Und dadurch Gefahr laufen, dass er alles verschlingt, was wir an Toleranz und Offenheit gelernt haben!

Was ist dieser Wurm?

Das Gefühl, der Nabel der Welt zu sein. Der Anspruch auf das allein selig machende Wissen, wie es geht. Es gibt aber kein Recht darauf, Menschen anderswo auf der Welt zu sagen, wie sie zu leben haben – und umgekehrt auch nicht. Ich finde, man sollte versuchen, aus jedem Einfluss von außen etwas zu lernen, er stellt eine heilende Möglichkeit dar. Natürlich nicht, wenn jemand mit dem Lastwagen in die Menge fährt. Aber das tun ja nicht alle! Ich darf nicht aufhören, daran zu glauben, dass es etwas gibt, was uns Menschen verbindet. Etwas, das höher ist als Staaten, Nationen und selbst Patriotismus. Denn der ist schon in Gefahr, wie es Konstantin Wecker neulich formuliert hat, ein "Nationalismus in folkloristischem Gewand" zu sein.

Das Fremde macht aber vor allem Angst.

Die Welt, die der Roman zeigt, ist eine auf Angst gebaute! Und das hat viel mit unserer Zeit zu tun. Die Folge von Angst sind Krankheiten, Allergien, Neurosen, Heilssuche.... Man hat die Kirchen ausgeräumt, dafür rennt man zu den Ärzten und sucht Heilsbotschaften. Vielleicht wäre es gut, auch den Religionen wieder eine Chance zu geben, ohne deshalb unkritisch zu sein.

Auch die sind aber nicht unproblematisch, oder?

Mit dem Katholizismus bin ich groß geworden, den krieg ich sowieso nicht aus mir raus. Das muss ich erkennen, dann kann ich sagen: Du Kirche hast mir ein schlechtes Gewissen eingegeben und das vergesse ich dir nicht, das macht man nicht, man gibt Kindern kein schlechtes Gewissen. Aber ich habe auch viele wertvolle Erinnerungen an die Kirche!

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