Memes: Das Bild sagt mehr als tausend Worte

Memes: Das Bild sagt mehr als tausend Worte
Gratismarketing und Kulturphänomen: Warum sogenannte Memes gut für Film und Fernsehen sind.

von Jonas Vogt

Erinnert sich noch jemand an den Kaffeebecher?

In der vierten Folge der letzten Staffel „Game of Thrones“ – dem zweifellos größten und enttäuschendsten kulturellen Ereignisses 2019 – fand sich Anfang Mai ein etwas überraschendes Requisit. Auf einer mittelalterlich gestalteten Festtafel in der Fantasyserie fand sich zwischen Fleisch, Obst und Weinbechern auch ein Coffee-To-Go-Becher, der dort vergessen und mitgesendet wurde.

Das Internet stürzte sich darauf. Der „Starbucks“-Becher inspirierte zahllose Witze: über potentielle Bestellungen, die Expansion der Kaffeehaus-Kette nach Westeros oder Baristas, die die komplizierten Namen der Figuren nicht schreiben könnten.

Die Bilder der Szene mit dem Becher wurden noch in der Nacht der Ausstrahlung zum „Meme“. Ein Schicksal, das heute viele populäre Fernsehshows trifft.

Blitzschnelle Remixes

Der Begriff „Meme“ ist nicht so einfach zu definieren – aber wenn man eines vor sich hat, erkennt man es. Das Wort entstammt der Biologie und stand ursprünglich für Ideen oder Verhaltensweisen, die weitergegeben und adaptiert werden. Ein Prozess analog zur Evolution, nur eben nicht-genetisch.

Heute steht das Wort für Dinge, die im Netz blitzschnell geremixt werden. Oft sind das Fotos, es können aber auch bestimmte Wortfolgen oder eine Kombination aus mehreren Elementen sein. Wichtig sind nur zwei Dinge: Memes sind die Sprache, in der ein Teil des Internets kommuniziert. Und sie haben immer das Potential viral zu gehen, sich also selbstständig zu verbreiten.

Im Bezug auf TV-Shows sind Memes meistens Screenshots aus einzelnen Szenen, die mit zusätzlichem Text und damit einem neuen Kontext versehen werden. Das passiert heute mehr oder weniger jeder großen Show, vor allem wenn sie ein jüngeres, internetaffines Publikum bedient. Zuletzt gingen zum Beispiel viele Memes aus der dritten Staffel der Pseudo-80er-Serie „Stranger Things“ viral.

Baby Yoda erobert das Netz

Das Phänom der „Memefication“, der Verarbeitung von kulturellen Produkten in Memes, ist in den letzten Jahren immer größer geworden. 2019 hat es, auch dank Figuren wie „Baby Yoda“ aus der Disney-Serie „The Mandalorian“, seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Beigetragen hat dazu vor allem die Popularität des „Second Screen“: Menschen nutzen zunehmend gleichzeitig ein Smartphone oder ein Tablet, während sie fernsehen oder Serien auf ihrem Laptop schauen. In Großbritannien taten das 2017 bereits 75 Prozent der erwachsenen TV-Zuschauer.

Fernsehen als soziales Ereignis

Das klingt nach einem Multitasking-Alptraum, hat aber durchaus seine guten Seiten: Populäre TV-Ereignisse werden so wieder zu sozialen Ereignissen. Man sitzt vielleicht nicht mit seiner Familie vor dem Fernseher, kommuniziert aber auf Twitter oder Instagram mit anderen, die gerade genau dasselbe schauen.

Viele Netzphänomene werden irgendwann so groß, dass sie über die Plattformen wie Twitter hinaus wachsen. Das gilt auch für Memes.

Während der Ausstrahlung der letzten Staffel von „Game Throne’s“ stellten Medien wie Vice, die sich vorrangig an ein junges Publikum richten, nach jeder Folge Artikel wie „Die besten Memes von Game of Thrones“ online. Die waren nicht nur lustig, sondern auch schnell produziert. Bei größeren Ereignissen wie dem Kaffeebecher kommen meist auch etablierte Medien nicht mehr drum herum, über die Reaktionen zu berichten.

Gratis-Marketing durch Memes

Memes sind der Traum eines jeden Marketing-Beauftragten, zumindest potentiell. In diesen Mechanismen stecken Milliarden an Euro Werbewert, die im besten Fall auch noch völlig freiwillig geliefert werden. Die Geschäftsführerin einer auf Hollywood spezialisierten Marketingagentur schätzet, dass Starbucks durch den Fehler in „Game Of Thrones“ und dessen Verbreitung einen Werbewert von 2,3 Milliarden Dollar lukriert habe.

Die Werbung für die Serie selbst war da noch nicht mal eingerechnet. Kein Wunder, dass da schnell Verdächtigungen auftauchten, das Ganze sei bewusst kalkuliert worden. Im Fall des Starbucks-Bechers ist das wohl eher unwahrscheinlich: Der Sender HBO entschuldigte sich schnell, retuschierte den Becher für die Online-Versionen der Serie aus dem Bild. Bei Großproduktionen wie „Game Of Thrones“ kommt hinzu, dass an der Entstehung genug Menschen beteiligt sind, dass solch eine Aktion wohl früher oder später bei der Presse landen würde.

Aber an der Diskussion zeigt sich trotzdem, warum das Ganze eben auch ein potentieller Alptraum für Marketing-Menschen sein kann: Es ist nicht steuerbar.

Die Netzgemeinde ist extrem sensibel, und wenn sie das Gefühl hat, benutzt zu werden, bricht gerne mal die Hölle los.

Einfluss auf die Autoren

Sollten Autoren in Zukunft massenhaft Szenen mit Schildern einbauen, in der Hoffnung, dass diese im Netz verbraten werden, wäre das tatsächlich problematisch.

Ansonsten gibt es gute Gründe, das Phänomen nicht zu kritisch zu sehen. Szenen, die zu Memes werden, sind eben oft auch bildstarke und/oder emotionale Schlüsselszenen, die dem Zuschauer im Gedächtnis bleiben. Ein Bild, in dem sich vieles verdichtet und das jeder versteht. Nach solchen Szenen haben Autoren und Regisseure auch schon getrachtet, bevor es das Internet gab.

Insofern sind „memeable“ Szenen vor allem erstmal eines: gutes Fernsehen. Auch wenn man dafür vielleicht nicht unbedingt einen Kaffeebecher auf einem Mittelalter-Mahl stehen lassen muss.

Wenn Memes der Filter sind, durch den junge Zuschauer TV wahrnehmen, dann beeinflussen sie auch stark die Art, wie man sich an Filme und Serie erinnert. Sie bestimmen mit, wo hoch und nachhaltig der kulturelle Impact ist. Dieses Potential kann kein Sender und keine Produktionsfirma liegen lassen.

Gefordert sind da zunächst einmal die Social-Media-Verantwortlichen, die schon im Vorfeld „memeable“ (ja, das ist ein Wort) Szenen identifizieren und während der Ausstrahlung über die Kanäle bewerben. Dabei sollten sie möglichst nicht nur den Geschmack des Publikums, sondern auch seine Tonalität treffen. Es gibt aber auch immer wieder Diskussionen darüber, ob das Phänomen nicht viel früher Einfluss hat. Nämlich auf die Autoren, Regisseure und Cutter, die versuchen, dem perfekten Moment hinterzujagen, der sich danach für immer ins Gedächtnis des Internets brennt.

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