Melanie Laibl: "Inspiration wartet an jeder Ecke"
„In den kleinsten Dingen zeigt die Natur die allergrößten Wunder.“ Dieses Zitat des schwedischen Naturforschers Carl von Linné (1707–1787) befindet sich auf der ersten Seite von „Schau wie schlau“, einem Buch, das kürzlich für den Wissenschaftsbuch-Preis des Jahres 2023 nominiert wurde. Geschrieben hat es Melanie Laibl.
KURIER: Werte Frau Laibl, wenn man durch „Schau wie schlau“ blättert, entdeckt man selbst als Erwachsener Neues. War das auch das Ziel?
Melanie Laibl: Über allen meinen Sachbuchprojekten für Kinder steht das Ziel, Information zu bringen und Faszination zu wecken. Dafür kuratiere ich gefühlte Tonnen an Recherchematerial – neben dem bekannten Stand der Forschung immer auch möglichst viel Aktuelles und Zukünftiges. Bei „Schau wie schlau“ war es mir wichtig, weiter und breiter zu schauen als alle bestehenden Kinderbücher zum Thema. Ich überrasche einfach gerne – nicht nur die Leser, sondern auch mich selbst.
Von der Natur lernen, lautet ein Merksatz in Ihrem Buch. Wurde das in den vergangenen Jahren vernachlässigt?
Ich sehe es so, dass wir Erwachsenen bei unserem „staunenden“ Bezug zur Natur deutlich mehr Aufholbedarf haben als Kinder. Die sind richtig fit beim Wissen über die Tier- und Pflanzenwelt. Natürlich gibt’s Unterschiede zwischen Kindern in der Stadt und auf dem Land, von Schule zu Schule, und jede Familie lebt das Thema anders. Was ich bei meinen Lesungen und Workshop lerne, ist, dass speziell in der Volksschule viel für die Sensibilisierung geleistet wird. Da wimmelt es nur so vor Projekten und Plänen. Oft wäre ich am liebsten selbst wieder Schülerin.
Spricht man sich bei der Recherche mit Wissenschaftern und Pädagogen ab?
Das ist von Projekt zu Projekt unterschiedlich. Für „So ein Mist“, wo ich ja besonders weit über den thematischen Tellerrand geschaut habe, habe ich rein auf meine Vor-Ort-Recherchen zurückgegriffen. „Schau wie schlau“ basiert in Teilen auf dem direkten Austausch mit Expertinnen und Experten des Naturhistorischen Museums Wien. So konnten wir im Buch auch einen völlig neuen Forschungszugang präsentieren – die „Kristallonik“. Und „WErde wieder wunderbar“ ist fachlich vom deutschen Anthropozän-Forscher Reinhold Leinfelder durchgesehen, der uns auch das Vorwort gestiftet hat. Bei diesem Buch gibt es zusätzlich eine fruchtbare Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule in Baden. Von ihr kam die Buchidee.
Gibt es beim Schreiben für Kinder auch Sachen, die man besonders beachten muss?
Mit Sicherheit die Bandbreite des Wortschatzes, wobei ich mein Publikum durchaus fordere, also „anspruchsvoll“ schreibe. Klar ist es mir wichtig, verstanden zu werden. Aber ich halte wenig davon, Sprache für Kinder speziell abzuflachen. Aus einem Text, aus einer Geschichte das eine oder andere neue Wort mitnehmen zu können, ist spannend – und nicht zuletzt ein schöner Dialogansatz, um mit den mitlesenden Erwachsenen über Sprache ins Gespräch zu kommen.
Muss man beim Schreiben also immer auch die Eltern mitdenken?
Man muss nicht, aber es gibt einen schönen Nebeneffekt, wenn auch die Großen gerne in Bücher abtauchen, die vorrangig für die Kleineren bestimmt sind. Beim erzählenden Kinderbuch ist das einfach ein Mehrwert für die Vorlesenden. Beim Sachbuch denke ich in der Konzeptionsphase zusätzlich an einen möglichen Einsatz des Buches für Vermittlungszwecke, etwa in der Schule. Übrigens erzählen mir immer wieder Erwachsene, dass sie durch Bücher wie „Schau wie schlau“ oder „WErde wieder wunderbar“ einen einladenden Zugang zu einem als schwierig empfundenen Thema wie eben der Bionik oder dem Anthropozän bekommen haben. Insofern lesen wohl mehr Erwachsene, mit als ich mir das beim Schreiben denke.
Sie sind seit vielen Jahren als Kinderbuchautorin tätig. Was ist das Besondere daran, für Kinder zu schreiben?
Meine ersten Bilderbuchgeschichten 2007 sind aus einer spontanen Inspiration entstanden, und an dieser Form der „Erstzündung“ hat sich bis heute nichts geändert. Es braucht diese besondere Idee, die in mir unmittelbar Bilder erzeugt. Ich denke, dass das bei allen Schreibenden ähnlich ist. Das Besondere beim Schreiben für Kinder ist, dass man die Leserinnen und Leser beim Ausrollen der Geschichte mitimaginiert. Wie viel erzählt man, wie viel überlässt man der Vorstellung? Gibt es Plotwendungen, bei denen man vielleicht eine Brücke bauen muss, um alle mitzunehmen? Welche Art von Formulierung liegt Kindern näher oder fördert das Lesevergnügen? In diesem Prozess treffen sich dann persönliche Einschätzungen mit den Erfahrungen aus unzähligen Lesebegegnungen mit dem Publikum.
Was muss ein gutes Kinderbuch haben?
Für mich muss es Ideenreichtum mit Klarheit verbinden. Einen haltbaren roten Faden, der ab und zu in überraschende Richtungen abbiegt. In meiner erzählenden Literatur sind das zum Beispiel ungewöhnliche Charaktere, die eine Welt bauen, wo man eintauchen möchte, um sie weiterzudenken. Dabei darf es durchaus auch überraschend und kurios zugehen. Hier knüpft dann auch meine Auffassung von Sachliteratur an. Die denke ich gerne als „Wunderkammer“, in der jede und jeder nach Belieben den Blick schweifen lassen kann. Gerade bei der Vermittlung von Inhalten gilt es, sein Publikum gut mitzunehmen. Ich löse das, in dem ich in der Konzeption viel Wahlfreiheit offenlasse. Meine Sachbücher muss man nicht von vorne bis hinten lesen. Man startet dort, wo man gerade Lust hat.
Sie arbeiten viel mit der Sprache, beobachten dabei natürlich auch, wie sie sich verändert, vor allem bei Jugendlichen. Was ist Ihnen da in den vergangenen Jahren aufgefallen?
Eine unglaubliche Kreativität im Verkürzen und Verbinden, ein rasanter Wechsel von Wörtern, die man sagt oder eben nicht mehr sagt, ein spannender Sprachenmix, eine mutige Verschriftlichung von Dialekt. Neben dieser Vielfalt gibt es aber auch einen Hang zur Vereinheitlichung, etwa was den Sprachduktus oder die Interpretation von Grammatik anbelangt.
Sie sind eine geborene Linzerin, leben aber mittlerweile im Wienerwald. Finden Sie im Wald mehr Inspiration als am Linzer Taubenmarkt?
Inspiration wartet an jeder Ecke – für alle, die ihre Augen und Ohren offenhalten. Für mich ist also weniger der Ort entscheidend als die Bewegung an diesem Ort. Die Ideen kommen beim Gehen. Am Taubenmarkt kann das ein im Vorbeigehen aufgeschnapptes Wort sein oder ein Blick auf ein Detail, ganz oben an einer Hausfassade, an dem ich x-mal vorbeigekommen bin, ohne es wahrzunehmen. Was der Wald der Stadt aber bestimmt voraus hat, ist, dass ich mich dort besser ordnen kann.
Verraten Sie uns bitte noch Ihre aktuelle Lebensphilosophie?
Sie entspricht wohl meinen Weg beim Schreiben. Den Blick schweifen lassen und schauen, was sich wo und wie tut. Und dann versuchen, an ein paar kleinen Rädchen zu drehen, um alles möglichst gut werden zu lassen.
Zur Person: Die 1973 in Linz geborene Autorin lebt seit Jahren in Tullnerbach im Wienerwald und arbeitet dort mit Buchstaben: Sie schreibt Kinderbücher (Kritik unten), journalistische Texte und ist in der Werbung aktiv. Ihr kinderliterarisches Schaffen wurde bereits vielfach ausgezeichnet. So etwa mit dem Jugendbuchpreis der Stadt Wien für „So ein Mist“ (Tyrolia). Ein gutes Kinderbuch müsse für sie „Ideenreichtum mit Klarheit verbinden. Einen haltbaren roten Faden haben, der ab und zu in überraschende Richtungen abbiegt“
Neue Kinder- und Jugendbücher
Melanie Laibl, Nele Brönner: "Super Glitzer"
Im Wald herrscht Unruhe. Die Elster hat etwas entdeckt, ist ganz besessen von so einem schillernden „Ding“. Aber was mag es sein? Eine Pflanze oder gar ein Tier? Und ist es gefährlich? Einige Waldbewohner sind dem „Neuen“ gegenüber sehr skeptisch, haben Angst, andere sind hingegen neugierig, wollen es kennenlernen. Flott und lustig erzählt.
Melanie Laibl, Nele Brönner: „Super Glitzer“. Luftschacht. 38 Seiten. 25 Euro.
Lena Hesse: "Das kleine Unsichtbar"
Lilli und das kleine Unsichtbar sind ziemlich beste Freunde. Es spielt auch gar keine Rolle, dass die anderen das Unsichtbar nicht sehen können. Lena Hesse hat ein wundervolles und tief berührendes Bilderbuch gestaltet, eines über eine Freundschaft, wie sie wahrscheinlich viele Kinder irgendwann erleben – mit einem Lebewesen, das nur sie sehen können.
Lena Hesse: "Das kleine Unsichtbar". Edition Nilpferd. 32 Seiten. 17 Euro.
Franziska Höllbacher: "Heut, da bin ich eine Maus"
Es gibt Tage, da würde man liebend gerne nicht in der eigenen Haut stecken, viel mehr ein Tier sein zum Beispiel. Eine Katze, um den ganzen Tag herumliegen zu können. Oder eben so klein wie Maus, um andere belauschen zu können. Dieses farbenfrohe Buch animiert den Leser, die Leserin zu einer witzig-schrägen Entdeckungsreise – einfach mal in verschiedene Rollen schlüpfen.
Franziska Höllbacher: "Heut, da bin ich eine Maus". Edition 5 Haus. 24 Seiten. 18 Euro
Jesse Goossens, Marieke ten Berge: "Unser wildes Zuhause"
Eine Reise in den Norden. Dorthin, wo sich Ringelrobben und Eisbären Gute Nacht sagen, der Buckelwal zum Unter-Wasser-Konzert lädt. In diesem aufwendig gestalteten Sachbuch stellen sich 35 Tiere allesamt selbst vor. Dabei lernt man sie nicht nur besser kennen, sondern erfährt auch viel über ihre immer schwieriger werdenden Lebensbedingungen.
Jesse Goossens, Marieke ten Berge: „Unser wildes Zuhause“. Aladin. 88 Seiten. 20,60 Euro.
Mia Kirsch und Wolfgang Hartl: "Bäckermaus & Donaustrudel"
Zusammen in der Küche stehen, den Strudel befüllen und dem Kuchen dabei zusehen, wie er sich langsam im Backrohr erhebt, ja, das macht Spaß. Dass einem die (kinderleichten) Rezepte nicht ausgehen, dafür sorgt dieses Buch mit vielen Rezepten und Geschichten über Mehlspeisklassiker. Durchgehend süße Versuchungen, durchgehend geschmackvoll illustriert.
Mia Kirsch und Wolfgang Hartl: "Bäckermaus & Donaustrudel". Edition 5 Haus. 116 Seiten. 30 Euro
Michi Fleischmann: "Schwanenteich"
Der kleine Krötenjunge Konstantin lebt am Schwanenteich und wünscht sich nichts sehnlicher, als ein Balletttänzer zu werden. Doch ist das für eine Kröte überhaupt möglich? Warum eigentlich nicht?! Man muss nur wollen und braucht Menschen, die an einen glauben. Autor Michi Fleischmann erzählt eine unterhaltsame Geschichte über die Erfüllung von Wünschen.
Michi Fleischmann: "Schwanenteich". Cromagnon. 81 Seiten. 29,90 Euro.
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