De Marias Werk ist heute legendär – kündete es doch von einem veränderten Skulpturverständnis, das die Betrachter ins Werk einbindet und sie herausfordert, die Kunst in der eigenen Vorstellung zu vollenden.
Die „Land Art“, der de Maria zuzuordnen ist, brachte monumentale Werke hervor, die mit teils enormem Aufwand hergestellt wurden: Bereits 1969 hatte Künstler Michael Heizer eine Kerbe in ein Berghang in der Wüste von Nevada fräsen lassen; 1970/’71 hatte sein Kollege Robert Smithson eine enorme Spirale („Spiral Jetty“) im Salzsee von Utah aufschütten lassen.
Dass die Zahl jener, die diese Werke mit eigenen Augen gesehen haben, überschaubar bleibt, ändert nichts an deren Wirkmacht: Geht es doch um philosophische Fragen wie jene, wie real das Gedachte ist oder in welchen Zeiträumen und Maßstäben menschliche Existenz zu sehen ist. Dass Smithsons Spirale bald im Salzsee versank, hätte seinem Schöpfer, der 1973 starb, wohl gefallen, mutmaßte der Kunsthistoriker Irving Sandler. Lange waren Fotos und ein Film der einzige Beweis der Existenz des Werks, ab 2002 wurde es durch anhaltende Trockenheit wieder sichtbar.
Nicht erst seit der verstärkten Auseinandersetzung mit dem Klimawandel kommt die Kunst auf solch entlegene Ideen zurück. Der Brite Antony Gormley etwa ging am Beginn seiner Karriere in die Wüste Arizonas, warf dort Steine und deklarierte es als bildhauerischen Akt. 2003 installierte er 51 Figuren am Lake Ballard, einem Salzsee in Australien. „Ich möchte Sie gerne an der Erfahrung teilhaben lassen, wie es ist, sich bei einer Temperatur von 42 Grad Celsius und Null Prozent Luftfeuchtigkeit auf dem See aufzuhalten“, schreibt Gormley in seinem Buch „Über Skulptur“. „Weil dieser Ort absolut eben und weiß ist, können Sie körpereigene Reize wahrnehmen und sich Ihres eigenen Ortes in Raum und Zeit bewusst werden.“
Die Idee, sich die Kunst in einer Pilgerreise erarbeiten zu müssen, trägt nicht selten zu deren Attraktivität bei. Der österreichische Künstler Alfredo Barsuglia erfuhr dies, als er 2014 in der kalifornischen Wüste einen kleinen Swimmingpool baute.
Die genauen Koordinaten konnten Interessenten nur in der Außenstelle des MAK in Los Angeles erfahren. „Der Andrang auf den Social Pool war so groß, dass Personen vor dem MAK Center übernachteten, um am nächsten Tag den Schlüssel und die geheimen GPS-Koordinaten für sich beanspruchen zu können“, schreibt Barsuglia in einem Blog. Nach einem Jahr wurde der Pool sich selbst überlassen, 2016 sanierten Fans in Eigenregie – später wurde er von Vandalen zerstört. Bis heute machen sich Sympathisanten online für den Wiederaufbau stark.
Den Gedanken, dass Kunst selbst dann, wenn sie nicht zu sehen ist, ein Kristallisationspunkt sein kann, nehmen auch ökologisch motivierte Projekte auf. So versenkte die TBA-21-Stiftung von Francesca Thyssen-Bornemisza (hierzulande besser als Francesca Habsburg bekannt) 2014 eine „Schatzkiste“ mit Werken zeitgenössischer Kunst vor Costa Rica und versteigerte sie – der Erlös kam Projekten zum Erhalt mariner Ökosysteme zugute. 2019 finanzierte Die Stiftung Skulpturen der Künstlerin Claudia Comte, die vor Jamaika unter Wasser installiert wurden – sie sollen Korallen Platz bieten.
Dass nur Taucher diese Werke sehen können, macht das direkte Erlebnis wohl etwas elitär. Doch wer bedenkt, wie viele Meisterwerke der Kunstgeschichte, teils nach öffentlich beachteten Rekord-Auktionen, in einen Dauerlockdown in private Lager wandern, findet derlei versteckte Kunst gleich weniger absurd: So lange sie inspiriert, ist sie aktiv.
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