Ort der Handlung ist ein Verschlag, von Jessica Rockstroh an der Rampe errichtet; viel mehr als einen Ölradiator als wärmende Sitzgelegenheit gibt es nicht. Und sie spielt sich in Kopf von Schlomo Herzl ab, der unentwegt an seinem Buch mit dem Titel „Mein Kampf“ schreibt oder schreiben will: Markus Hering, eine unförmige Krankenkassenbrille auf der Nase, ordnet die Figuren in den Zwischenspielen so an, wie es die immer absurder werdenden Gedankenspiele verlangen: Wer Pause hat, sackt einfach in sich zusammen.
Herzl ist daher nicht mehr Spielball der Geschichte oder des Regisseurs, er selbst fällt die Entscheidungen. Dieser Zugang, quasi eine Befreiung aus der Opferrolle, besticht.
Abgesehen davon hält sich Itay Tiran zunächst strikt an die Vorlage. Alles andere wäre auch töricht. Denn gerade der Beginn ist umwerfend. Die Inszenierung verstärkt die Ausgangssituation auch noch, in der Herzl von Gott gerufen wird. Zunächst dringt dessen prächtige Stimme aus dem Transistorradio, danach aus mehreren Ecken des Saales. Allerdings spricht nicht der Allmächtige, sondern Lobkowitz. Herzl aber weigert sich, seinen Weggefährten weiterhin mit „Herr“ ansprechen. Nach drei oder vier Jahren ist er des Spiels überdrüssig geworden. Ganz einfach: Gott ist tot.
Diese Szene steht, retrospektiv betrachtet, in engem Konnex zu Samuel Becketts „Endspiel“, das Tabori 1998 inszenierte: Ignaz Kirchner, der Schlomo Herzl in „Mein Kampf“, wollte nicht länger der Diener von Gert Voss sein. Zufall oder Absicht: Itay Tiran verweist nebenbei auf diese Sternstunde. Denn Voss und Kirchner taten so, als befänden sie sich auf einer Probe; mit Kreide skizzierten sie auf dem Boden das von Beckett verlangte Bühnenbild. Und nun, in „Mein Kampf“, nimmt Markus Hering eine Kreide zur Hand, um Hitler anzuzeigen, wo sich dessen Schlafstatt in der bloß von einer nackten Energiesparlampe beleuchteten Bühne befindet.
Marcel Heuperman war tatsächlich, wie man sagt, mit der Tür in Haus gefallen: Er tritt einfach ein Brett des Verschlags ein. Hering und ganz besonders Oliver Nägele als zum Koch degradierter, immer wieder neckisch mit Mehlstaub werfender Lobkowitz reagieren hoch erstaunt. Und wenig amused. Denn der grobschlächtige Bauerntölpel, der sich Oliver Hardy zum Vorbild genommen haben dürfte, setzt sich gleich einmal auf den mitgebrachten Blechkübel – und scheißt nach Herzenslust.
Das steht so nicht bei George Tabori, der dezent mit Andeutungen arbeitete. Aber vielleicht sind wir im letzten Dritteljahrhundert schon derart abgestumpft, dass es ordentlich stinken muss, um die braune Scheiße tatsächlich dampfen zu sehen. Tiran lässt jedenfalls keine Gelegenheit für drastische Bilder aus.
Bei Tabori platzte bloß der Knopf von Hitlers guter Hose ab, bei Tiran reißt sie in der Arschfalte komplett ein. Und so läuft Heuperman, das Monsterbaby, nach einer Slapstickeinlage in einer viel zu großen, einer Windel nicht ganz unähnlichen Unterhose mit brauner Bremsspur herum, die ihm natürlich immer wieder einmal runterrutscht.
Mit Fortgang werden zudem Itay Tirans Eingriffe brutaler. Wenn es darum geht, den schnarchenden Hitler zu wecken, behilft sich Herzl nicht mehr mit Wasser, das er in dessen Ohr träufelt: Er nimmt einfach einen Polster – und drückt ihn auf Hitlers Gesicht. Hätte Quentin Tarantino Regie geführt: Hitlers Karriere wäre noch lange vor dem Start beendet gewesen. Doch Herzl lässt die Chance bewusst ungenutzt.
So kommt es eben, wie es kommen muss: Hitler befolgt den Ratschlag des jüdischen Freundes, in die Politik zu gehen. Bis es so weit ist, wird aus der „Tatsache“ (bei Tabori) das moderne „Fakt“. Werden im Zusammenhang mit Jesus Chris de Burgh sowie Christoph Waltz erwähnt. Und die Stimme des Wiedergängers H. C. Strache ertönt aus dem Transistorradio.
Etwas später taucht Sylvie Rohrer auf – als Frau Tod mit ziemlich jenseitigen Pupillen. Sie holt sich Adolf Hitler als Kompagnon, der ihr Geschäft gründlich erledigen wird.
Und „der ewige Jude“? In Itay Tirans Deutung ist Herzl, der sich ja all das nur zusammenreimt, ein Überlebender der Schoah mit einer in den Unterarm von Markus Hering eintätowierten KZ-Nummer. Er hat auch das angebetete, quasi jungfräuliche Gretchen, eine in Gold getauchte Blondine mit Modelqualitäten (Hanna Hilsdorf), an Hitler verloren. Und er muss sich von Rainer Galke kreuzigen lassen, der – wie Jack Nicholson im Film „Shining“ – mit der Axt eingedrungen war.
Doch nicht nur das: Dessen Heinrich Himmlischt besudelt ihn mit Hitlers Fäkalien aus dem Blecheimer. Und dann dreht er auch noch eine Gasflasche auf. Mehr Subtilität hätte nicht geschadet.
Nach zweieinviertel Stunden (ohne Pause) wurden Markus Hering, der herzensgute Schlomo Herzl, und Oliver Nägele, als Lobkowitz eine hinreißende Type, eifrig beklatscht. Was wieder einmal belustigend auffiel: Die deutschen Schauspieler sind definitiv nicht in der Lage, das Wort „Schnitzel“ auch nur halbwegs passabel auszusprechen. Sie quälen sich mit der letzten Silbe.
Kommentare