Der Sommer 2015 wirkt noch weit in die Zukunft: Damals entschied ein Höchstgericht, dass User, die den ORF nur via TVthek oder Radiostreaming konsumieren, keine Rundfunkgebühr zahlen müssen. Ein Wiener, der mit einem Breitbandanschluss, aber keinen herkömmlichen Fernseh- und Radioempfangsgeräten ausgestattet war, war bis zum Verwaltungsgerichtshof gezogen. Ende Juli bekam er vom Höchstgericht recht: Er und alle anderen, die solcherart die ORF-Angebote konsumieren, müssen keine GIS-Gebühr zahlen. Die ORF-Führung protestierte, blieb aber entspannt – die wenigen Haushalte, die so fernsehen, würde man schon aushalten.
Was folgte, war der Siegeszug von Netflix, höhere Bandbreiten und ein immer besserer Ausbau des eigenen Angebotes: Nicht mehr die Zukunft ist digital, sondern große Teile der Gegenwart.
Die große Lücke
„Strategisch steuern wir da auf ein Dilemma zu“, heißt es im ORF. Neben den Einnahmenrückgängen in der Werbung gerät die Streaminglücke zum großen Problem. Bis 2025 könnte die Zahl der Streaming-Only-Haushalte laut internen Berechnungen bei rund 12 Prozent liegen. Allein: Der Gesetzgeber, den der ORF seit 2015 um eine Lösung, etwa in Form einer Haushaltsabgabe bittet, erhörte das Unternehmen nicht. Nicht unter rot-schwarz, nicht unter türkis-blau und auf Sicht auch nicht unter türkis-grün. Die Corona-Krise ist nicht dazu angetan, den Bürgerinnen und Bürgern neue Gebühren aufzuhalsen, zumindest aus Sicht der ÖVP.
"Abkassierer am Küniglberg"
Der Ball liegt also beim ORF, dessen internes Strategiepapier über das deutsche Portal netzpolitik.org an die Öffentlichkeit gelangte. Das Unternehmen arbeitet bekanntermaßen an einem Nachfolger für die TVthek, der unter dem Projektnamen „ORF-Player“ firmiert und zusätzliche Funktionen aufweisen soll. Eine davon ist der Kampf gegen die Streaminglücke: „Wesentliche Teile“ des Angebotes sollen nämlich hinter einer GIS-Schranke landen, sieht das Strategiepapier vor. Das Echo von einschlägiger Seite war deutlich: „Abkassierer am Küniglberg“, wetterte die FPÖ, die die Rundfunkgebühren in ihrer Regierungszeit ganz abschaffen wollte. Das wird heiter.
Die ORF-Überlegungen sind durchaus nachvollziehbar: Wenn man für das ORF-Programm per Antenne zahlen muss, warum sollte es dann im Internet gratis abgegeben werden? Wie alle Medienhäuser hat auch der ORF jahrelang seine Inhalte verschenkt und lernt mit dieser Debatte nun, wie schwer es ist, die Zahnpasta wieder in die Tube zu bekommen, zumal als Gebührenfinanzierter.
Entsprechend zahm hören sich die Ideen an, die intern gewälzt werden: Man will keineswegs alle Fernsehinhalte an die GIS-Gebühr knüpfen, so soll etwa die Grundversorgung über die Nachrichten weiterhin gratis sein.
Wer etwa die „Zeit im Bild“ schauen will, muss sich nach diesem Modell im Player nicht anmelden. Eine neue Hochglanzserie von David Schalko hingegen wäre schon wieder ein Fall für die GIS-Schranke. Allerdings überlegt man auch hier eine sanfte Lösung für die vom Gratis-Internet verwöhnte Kundschaft: Möglich wäre etwa ein früherer Zugang zu neuen Folgen für Seherinnen und Seher mit dem GIS-Login, während die anderen sich die Serie erst zum Ausstrahlungstermin ansehen könnten.
Bloß keine Debatte
Wie alles im ORF ist die Frage hochpolitisch. Man will zumindest öffentlich bloß keine Gebührendebatte führen. Denn heuer wird nicht nur die ORF-Führung gewählt – auch die Rundfunkgebühren müssen spätestens im zweiten Halbjahr „angepasst“ werden, wie es das Gesetz vorsieht. Die Entscheidung über beide Fragen liegt beim obersten ORF-Gremium, dem Stiftungsrat.
ORF-Chef Alexander Wrabetz ist sich der Herausforderung, die das neue Nutzerverhalten mit sich bringt, bewusst, wie er am Dienstag in einer öffentlichen Diskussionsrunde erklärte. Man müsse sich der Plattformlogik öffentlich-rechtlich annähern. „In vielen Bereichen ist der ORF in der digitalen Transformation schon sehr weit. Nun muss er sich vom klassischen Broadcaster zur multimedialen Public-Service-Plattform weiterentwickeln, nur so haben wir eine Zukunft.“
Gesetz liegt auf Eis
Für den Endausbau des ORF-Players braucht der ORF noch eine Gesetzesänderung, die bereits im Herbst verhandelt wurde. Nach dem neuerlichen Zuschlagen der Corona-Pandemie wurden die Gespräche aber vertagt. Legt man den notwendigen Fristenlauf mit Parlamentsbeschluss zugrunde, wird es zumindest im ersten Halbjahr keine Änderungen geben. Von großen Würfen, die in der Vergangenheit immer geplant waren, ist ohnehin keine Rede. Der Traum von der „Haushaltsgebühr“, die die GIS ersetzen soll, ist noch in weiter Ferne.
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