"Geimpft, genesen oder gestorben" - Virologin über 3-G nach dem Winter

"Geimpft, genesen oder gestorben" - Virologin über 3-G nach dem Winter
Bei der ORF-Diskussionssendung "Im Zentrum" stand der aktuelle Lockdown-Kurs ziemlich unter Beschuss. Die Regierung zog es vor, außen vor zu bleiben.

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
 

Will man derzeit der Regierung auf den Zahn fühlen, muss man offenbar Radio hören. Kanzler Alexander Schallenberg sagte am Montag im Ö1-„Morgenjournal“ über den Vorschlag des Gesundheitsministers, nächtliche Ausgangssperren zu verhängen: „Wie weit die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen geht und ob sie wirklich dazu beigetragen können, diese Reduktion der Kontakte um 30 Prozent zu erzielen, lasse ich einmal dahingestellt.“

Übersetzt aus der Diplomatensprache, die Schallenberg nicht fremd ist, würde das in etwa heißen: Aus meiner Sicht völliger Mumpitz ...

Wolfgang Mückstein hatte diese Maßnahme, die auch die Ungeimpften treffen würde, zuvor am Sonntagabend im „ZiB2“-Interview platziert. Zur gleich nachfolgenden Diskussionssendung „Im Zentrum“ ging der Grünen-Politiker allerdings nicht. Auch sonst fand sich aus den Reihen der Regierungsparteien kein Diskussionsteilnehmer.

Lange Liste an Absagen

„Warum in dieser Notsituation niemand von der verantwortlichen Politik kommt, um für die Menschen in diese, Land sichtbar und transparent mit Expertinnen und Experten zu diskutieren, ist schwer nachvollziehbar“, sagte Moderatorin Claudia Reiterer, die einen sehr langen Katalog an Absagen vorlas.

In ihrer Einleitung zur Debatte „Lockdown bis Impfpflicht - Wie brechen wir die vierte Welle?“ zog sie ein bitteres Resümee über das „Zögern und Zaudern“ der letzten Wochen.

Reiterer: „Den Stufenplan, wo man mit drei Stufen begonnen hat um kurz darauf zwei dazuzustückeln,  und dann welche zusammen- beziehungsweise vorzuziehen, kann man getrost als gescheitert bezeichnen.“

IM ZENTRUM: Von Lockdown bis Impfpflicht - Wie brechen wir die 4. Welle?

In dieser Diskussionsrunde war zu solchen Aussagen kaum Entgegnendes zu erwarten. Selbst Ex-ÖVP-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat schien wenig Lust und Anlass zu haben, die Verteidigerin der Regierung zu spielen.

Nur einmal übte sie Widerspruch, als die zweite Ex-Gesundheitsministerin, Pamela Rendi-Wagner, kritisierte, die kommende Impfpflicht für Gesundheitspersonal sei ohne vorherige Absprache mit den betroffenen Institutionen verkündet worden. Sie könne sich nicht vorstellen, dass das Ministerium die Stakeholder nicht einbinde, meinte Rauch-Kallat.

Sie hält einen Lockdown für alle noch immer für möglich, aber als allerletztes Mittel: Denn: „Die Spaltung wird vor allem dann eintreten, wenn die Geimpften die Geduld mit den Ungeimpften verlieren und das muss man vermeiden“, so Rauch-Kallat. Als Beispiele nannte sie Verwandte aus Oberösterreich, die den Friseur oder das Nagelstudio gewechselt haben, weil man sich dort etwa geweigert habe, sich impfen zu lassen beziehungsweise überhaupt eine Maske zu tragen.

Lockdown für Ungeimpfte als "Experiment"

Die Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer hält den "Lockdown für Ungeimpfte" für ein "Experiment". Es bestehe zwar die Möglichkeit, dass er wirkt, “aber groß rumexperimentieren können wir eigentlich nicht mehr", gab sie zu bedenken. „Wir müssen jetzt relativ rasch noch in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen auf den Weg bringen.“

Der Komplexitätsforscher Peter Klimek von der MedUni Wien gab den Grad der Wirksamkeit, verglichen mit einem kompletten Lockdown, mit maximal 60 Prozent an, da 60 Prozent der Neuinfektionen derzeit Ungeimpfte und nicht Genesene betreffen - wenn alles perfekt kontrolliert und umgesetzt werde. „Es braucht jetzt konsequente Maßnahmen zur Kontaktreduktion und eine klare, langfristige Strategie“, sagte Klimek. Denn eigentlich handle es sich derzeit um zwei Krisen: „Eine Akutkrise, denn die Zahlen sind derzeit so hoch, dass sie unser Gesundheitssystem sehr wahrscheinlich in die Knie zwingen können. Und wir müssen schauen, dass wir über den Winter kommen, ohne dass wir, wenn wir die Kontaktbeschränkungen wieder lockern, eine weitere Welle am Ende des Winters haben.“

"Drama hat Name und Adresse"

SPÖ-Chefin Rendi-Wagner ging in ihrer Kritik freilich in die Vollen. Wenn die Regierung so weitermache, werde sie um "Voll- oder Komplettlockdowns" nicht herumkommen. "Das wäre natürlich ein Drama, aber das hat Name und Adresse", kritisierte Rendi-Wagner das "Scheitern der Bundesregierung". Man könne ein oder zwei Mal unvorbereitet in eine Infektionswelle taumeln, aber nicht vier Mal.

Eine Forderung nach einer Vollbremsung durch einen harten Lockdown für alle kam ihr erneut nicht über die Lippen. Sie halte es nicht einmal für gesichert, „ob ein Lockdown überhaupt eine halbe Bremsung ist.“

Sie forderte weitere Maßnahmen wie FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen und Verschärfungen in der Nachtgastronomie bis hin zu deren Sperre in Hochrisikogebieten. Der dritte Stich sei, wie am Beispiel Israel zu sehen sei, in jedem Fall wirksam, denn nach wenigen Tagen, „innerhalb weniger Tage kann man eine Immunität aufbauen.“

Forderung nach Impf-Tausender

Der Rektor der Med Uni Graz, Hellmut Samonigg, konkretisierte, dass dieser volle Impfschutz innerhalb einer Woche erreicht werde. Auch nach dem ersten Stich stelle sich bereits nach zehn Jahren eine Wirkung ein, es zahle sich auf jeden Fall aus.

Samonigg plädierte für ein System mit Anreizen und Härte. Zunächst soll es - auch rückwirkend - einen 1.000 Euro Bonus für alle geben, die sich vollständig gegen das Coronavirus impfen lassen. Sollte das nicht wirken, wäre er für eine zeitlich befristete Impfpflicht, um eine fünfte und sechste Infektionswelle zu verhindern. Schließlich habe man mit der Impfpflicht auch die Pocken besiegt.

Impf-Brieftauben an die Versicherten

Rendi-Wagner berichtete, sie höre, dass die Sozialversicherungsträger Briefe an an alle Versicherten schicken wolle. „Das wird niemanden zur Impfung bringen“ meint sie.“Das ist, wie wenn man Brieftauben los schickt und hofft, dass die irgendwo ankommen.“ In Portugal habe man den Leuten konkrete Impftermine geschickt, den man erst aktiv stornieren musste.

Von Laer schloss sich ihrem Vorredner Samonigg an und forderte angesichts der hohen Infektionszahlen alle Menschen auf, sich impfen zu lassen. Dabei fand sie wieder einmal zu drastischen Worten: „Eines ist völlig klar: Es wird 3 G geben in sechs Monaten - dann ist man entweder geimpft, genesen oder gestorben.“

Fall Haslauer

Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer griff die Zunft der Virologen zuletzt für ihre Drohkulissen pauschal an, sie wollten am Liebsten „alle Österreicher im Zimmer einsperren“.

Da habe sie sich „etwas missverstanden gefühlt“, sagte von Laer verschmitzt. „Ich will die Leute eben nicht einsperren, sondern ich will, dass sich alle impfen lassen, das wäre eben kein Einsperren.“

Etwas ernster sagte sie dann zu diesem Thema. „Wir Wissenschaftler müssen nicht wiedergewählt werden, wir müssen auch keinem nach dem Mund reden. Wir können die Dinge einfach darstellen, wie sie sind, und da hat es der Politiker schon ein bisschen schwerer.“

Klimek, der vergangene Woche in Replik auf Haslauer sagte, Österreich befinde sich, was das Wissenschaftsverständnis betrifft, „auf dem Weg zur Bananenrepublik“, drückte sich bei „Im Zentrum“ wesentlich gemäßigter aus.

Was ihm in seiner Arbeit immer öfter auffalle, sei die Frage von der Politik: „Okay, von welcher Seite ist das jetzt gesteuert? Was ist das politische Motiv dahinter?“ - Diese Grundvermutung zeige ihm den Zwiespalt, in dem man gefangen ist. „Vielleicht ist man nicht mehr gewohnt, mit Leuten zu tun haben, die nicht diese parteipolitischen Motive haben."

Samonigg kritisierte, dass Haslauer „kein klares Signal gesetzt hat, dass das nicht okay ist, was er gemacht hat.“

Viel Kritik, kaum Widerspruch

Die Kritik an Bundes- und Landespolitikern fiel bei dieser Diskussion ziemlich umfassend aus, und durch die Besetzung kam es naturgemäß zu wenig Widerspruch.

Aber vielleicht sind ja nicht einmal die handelnden Politiker von ihren Strategien überzeugt. Lassen wir noch einmal den Bundeskanzler sprechen, der in Ö1 über den derzeitigen Kurs Österreichs in der Corona-Krise sagte: „Wir stolpern derzeit von Welle zu Lockdown.“

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