Verleger: "ORF.at droht Massenvernichtungswaffe zu werden"

ORF-Zentrum
"Standard"-Geschäftsführer Mitteräcker: "Konsolidierung könnte so weit gehen, dass am Ende nur noch der ORF da ist"

Der ORF wird künftig über eine Haushaltsabgabe finanziert, zugleich will das größte Medienunternehmen des Landes mehr Rechte im Internet bekommen. Bei Verlegern stößt das auf Unverständnis. Standard-Geschäftsführer Alexander Mitteräcker zieht im Interview mit dem KURIER drastische Vergleiche: Er warnt vor der publizistischen "Massenvernichtungswaffe" ORF.at und ortet einen Weg hin zu einem einzigen Medienunternehmen in Österreich: den ORF. Das wäre aus demokratiepolitischen Gründen gefährlich, so der Verleger.

KURIER: Der ORF bekommt einen fixen Sockel an Grundfinanzierung. Das sind je nach Berechnungsmethode zwischen 600 und 700 Millionen € pro Jahr. Künftig muss jeder Haushalt dafür zahlen. Wie sieht es denn bei den Zeitungen aus?

Alexander Mitteräcker: Wir müssen uns tatsächlich am Abomarkt behaupten. Dem ORF ist das quasi von Haus aus mitgegeben. Die Relationen sind bemerkenswert: Sie haben gerade von 700 Millionen gesprochen. Es gibt Kalkulationen, dass das mit der Haushaltsabgabe noch weitaus höher ausfällt. Fakt ist, dass wir als privates Medienhaus genauso wie alle anderen nur einen Bruchteil dessen über den Abomarkt erlösen. Und damit ist schon, was die Wettbewerbssituation betrifft, ein deutliches Ungleichgewicht vorhanden.

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Wäre nicht der ORF als das größte Medienunternehmen Österreichs auf diesem Feld tätig, wäre es für die Verlage einfacher Abonnements zu generieren?

Jeder Mensch hat 24 Stunden. Wir schlafen, wir arbeiten und eine gewisse Zeit ist reserviert für Medienkonsum. Und da treffen wir Entscheidungen, welches Medium wir nutzen. Es kann der ORF sein, das kann der STANDARD sein, es kann der KURIER sein. Und wenn bei einem dieser Medien plötzlich der Hinweis kommt, dass es kostenpflichtig ist, ist es nur natürlich, dass man ausweicht. Und zwar auf jenes, das vermeintlich gratis ist, weil man es ohnehin schon bezahlt hat.

Es gab die Forderung, ORF.at gänzlich abzudrehen. NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstätter hat damit ziemlich für Aufregung gesorgt. Wie weit würden Sie gehen?

Zum einen würde ich nicht die Frage stellen, was der ORF darf, sondern was wir im Markt brauchen, damit österreichische Medien in Zukunft überlebensfähig sind. Und eine gewisse Vielfalt erhalten bleibt. Wir erleben international, dass ein gewisser Konsolidierungsprozess stattfindet. Bei uns könnte dieser so weit gehen, dass am Ende nur noch der ORF da ist. Und seit Ibiza wissen wir auch, wie etwa autokratisch ausgerichtete Politiker denken: Die finden es spannend ein reichweitenstarkes Medium unter Kontrolle zu bringen. Da ist orf.at mindestens genauso gut wie die Krone. Auch deswegen sollte uns die Vielfalt ein Anliegen sein.

Ist die Größe von ORF.at nicht ein historisches Versäumnis der Medienpolitik?

Man kann sagen, dass da vielleicht nicht ausreichend Fokus darauf war. Ich erinnere mich, dass private Medien im Jahr 1997, als ORF.at gestartet ist, nicht begeistert über das neue Angebot waren. Auch danach gab es medienpolitisch viele Versäumnisse, nicht nur beim ORF . Das geht hin bis zum aktuellen Fall der Inseratenkorruption, die dazu führt, dass wir eigentlich Player im Markt haben, die es nicht geben sollte: In ganz Europa gibt es nämlich keine Gratiszeitungen mehr. Österreich ist hingegen ein Freilichtmuseum für Gratiszeitungen, wie man so schön sagt.

Das Video zum Interview mit "Standard"-Geschäftsführer Alexander Mitteräcker:

Und die These ist dahinter? Diese Zeitungen werden gestützt mit von der öffentlichen Hand finanzierten Inseraten?

Ich glaube, das ist keine sehr kühne These: Es ist ein Modell, das sich nirgendwo auf der Welt finanzieren lässt. Außer in dem Land, das überproportional viel für öffentliche Inserate ausgibt.

Die Redaktion der "Wiener Zeitung" hat eine Beteiligung an der Haushaltsabgabe vorgeschlagen. Wäre das eine Idee für Zeitungsverlage?

Wenn alles so kommt, wie es scheint, dann wären wir natürlich gut beraten, auch einen Anteil davon zu verlangen.

Wo kollidieren die Interessen der Zeitungsverlage und des ORF direkt? Online?

Das Internet bringt alle Mediengattungen zusammen. Tatsächlich war es über viele Jahrzehnte so, dass den Verlagen die textuelle Kommunikation überlassen wurde und Multimediales beim ORF zu Hause war. ORF.at ist von Hause aus mit zeitungsähnlichen Inhalten gestartet, obwohl es ursprünglich vom Teletext hergeleitet war. Wenn man sich die Länge der Texte aktuell ansieht, dann haben sie schon lange die Variante Teletext verlassen. ORF.at ist mit Abstand das größte Onlineangebot in Österreich.

Dieser Tage wird ein neues Gesetz verhandelt, mit dem der ORF im digitalen Raum neue Rechte bekommen soll. Wo geht die Reise aus Verlegersicht hin?

Wir kennen den genauen Inhalt noch nicht, aber wesentlich ist: Der ORF dominiert den österreichischen Onlinemarkt schon jetzt. Soweit wir das momentan überblicken, bekommt der ORF nun noch mehr Möglichkeiten. Es ist davon auszugehen, dass das alles für das Unternehmen in der Folge auch teurer wird, weil umfangreicher. Und insofern ist davon auszugehen, dass die Gebühren sukzessive weiter erhöht werden müssen. Der ORF entwickelt sich meiner Meinung nach finanziell gesehen zum Fass ohne Boden.

Was müsste die Medienpolitik dem ORF an Pflichten oder an Beschränkungen mitgeben?

Wir sind jetzt in der Situation, dass wir ein Land haben, in dem Paywalls als international anerkannte Möglichkeit zur Finanzierung von Onlineangeboten nur extrem schwer aufzuziehen sind, weil es vermeintlich eine Gratis-Alternative gibt - nämlich ORF.at und die TVthek. Dazu  muss man sagen: Das Produkt ist gut gemacht. Nur führt all das dazu, dass der ORF in Wirklichkeit mit dem neuen Gesetz zu einer Massenvernichtungswaffe für den österreichischen Medienmarkt werden könnte.
 

Verleger: "ORF.at droht Massenvernichtungswaffe zu werden"

Alexander Mitteräcker.

Eine neue Front in der Auseinandersetzung der Medienhäuser untereinander ist Social Media. Was soll der ORF dürfen?

Es ist ein schwieriges Thema. Schlichtweg deswegen, weil Social-Media-Kanäle Unternehmen gehören, die im Silicon Valley sitzen oder gar in China. Die Inhalte, die durch österreichische Gebührenzahler finanziert werden, stehen dann auf diesen Kanälen und finanzieren sozusagen diese Firmen mit. Auf der anderen Seite wird argumentiert, man müsse die Jugend erreichen.

Die chinesische Plattform TikTok ist ein Produkt, dem Spionage nachgesagt wird, indem Nutzerdaten ausgelesen werden. Viele Regierungen verbieten ihren Beamten bereits die Installation auf dem Smartphone. Haben Sie Bedenken, dass österreichische Medienhäuser - und vor allem der ORF - auf diesem Feld tätig sind?

Absolut. Ich glaube, das ist mit großer Vorsicht zu genießen. Ich sehe es als notwendig, dass man sich damit auseinandersetzt, denn es gibt den Kanal – da spreche ich jetzt als privates Medienhaus. Aber es ist ein schwieriges Verhältnis. Ich kenne kaum ein Medienmanager, der hier eine eindeutige Antwort hat.

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