Totengräber der Medienvielfalt

Totengräber der Medienvielfalt
Die heimischen Zeitungen erscheinen heute mit leerer Titelseite. Ein Aufschrei gegen die fatale Medienpolitik der Bundesregierung

Vergangene Woche ist nach langen Mühen ein halbgares „Medienpaket“ aufgetischt worden. Die Inseratenvergabe öffentlicher Stellen wird transparenter, die Wiener Zeitung auf ein Onlinemedium reduziert, und der ORF muss sich dank einer neuen Haushaltsabgabe um seine Zukunft keine Sorgen mehr machen. Jetzt wird einmal begutachtet. Viele Köche haben herumgerührt, aber es fehlte ein grundsätzliches Rezept. Man kann natürlich – wie die Grünen – behaupten, so viel medienpolitische Initiative habe es seit 25 Jahren nicht gegeben. Man kann aber auch sagen: Das ist der Anfang vom Ende der Medienvielfalt in Österreich.

Freuen kann sich nur der ORF: Aus Angst der Politik vor der größten, von allen Bürgern finanzierten Medienorgel des Landes wagte niemand, heikle Fragen zu stellen: Braucht es 2023 – hundert Jahre nach der ersten staatlichen Radio-Lizenz – noch immer einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der deutlich mehr als das Zehnfache der Förderung aller privaten Zeitungsunternehmen zusammen erhält? Wenn ja, was genau muss er leisten? Und warum? Gibt es Teile, die man privatisieren könnte (etwa die rein kommerziellen Sender ORF 1 oder Ö3)? Darf in Sendungen eines zur Objektivität verpflichteten Rundfunks politisch agitiert werden? Und müssen Gratiszeitungen eigentlich mit Regierungsgeld am Leben erhalten werden?

Digitales Werbegeld fließt an Facebook

Ja, natürlich gibt es auch eine globale Medienkrise: Weil Journalismus eine Zeit lang zu Marketingzwecken gratis ins Netz gestellt wurde, ist das Bewusstsein geschwunden, dass seriöse Information Geld kostet. Eine ähnliche Entwicklung hat die Musikindustrie beinahe umgebracht. Die Annahme, dass, wenn die gedruckte Zeitung endgültig im Altpapier landet, der digitale Journalismus überleben wird, hat sich zumindest bisher nicht erfüllt: Mutige Projekte wie eine Online-Ausgabe der Neuen Zürcher für Österreich und Addendum (finanziert vom Red Bull-Gründer Mateschitz) sind Geschichte. Ohne die „Trägerrakete“ Print funktioniert kaum ein Online-Portal gewinnbringend. Siehe auch das freche, nun fast insolvente US-Magazin Vice, das lange als Vorbild für den modernen Journalismus bejubelt wurde.

Digitale Werbegelder fließen vor allem an US-Giganten wie Google und Facebook, die dafür in Österreich praktisch nichts investieren müssen. Logischerweise müssen private Verlagshäuser im Netz Geld verdienen (und Abogebühr verlangen). Doch das ist hierzulande besonders schwierig, weil der ORF mit einer gebührenfinanzierten Nachrichtenseite, für die er auch noch Werbung verkaufen darf, in Konkurrenz zu den österreichischen Zeitungen steht. Das ist in anderen demokratischen Ländern unüblich. Die deutschen Sender ARD und ZDF betreiben lediglich eine Homepage. Jetzt wird der ORF um unser aller Geld auch noch das führende Nachrichten-Portal für Videos. In Österreich haben die Neos als einzige Partei diese Marktverzerrung angesprochen.

Ein bisschen weniger Inhalt auf der blauen Seite, wie im Gesetz nun vage versprochen, ändert daran so gut wie nichts. Das nimmt anderen dennoch die Luft zu atmen in einem immer schwierigeren Umfeld: Junge Medienkonsumenten sind ohnehin meist zufrieden mit den von Algorithmen herangeschwemmten Inhalten in den Sozialen Medien – je jünger, desto Tiktok. Plus Streaming. Echten Journalismus zu konsumieren, wird zum Elitenprojekt.

Vielleicht bewegen wir uns in eine Zeit zurück, in der ein großer Teil der Bürger Analphabeten war und am gesellschaftspolitischen Diskurs kein Interesse haben konnte. Zu Goethes Zeiten konnten gerade einmal zehn Prozent der Deutschen lesen. In den USA, aber auch in Europa lassen sich Tendenzen dazu erkennen.

Haben die Verlagshäuser Fehler gemacht? Ja, sicher: Als die Print-Einnahmen noch sprudelten, kümmerte man sich nur schleppend um die digitale Transformation. So grau konnten die Gewitterwolken außerdem gar nicht sein, dass private Verleger jemals an einem Strang gezogen hätten. Gleichzeitig taten und tun einzelne Journalisten, was schon der Politik geschadet hat: andersdenkende Kollegen denunzieren und sich selbst moralisch überhöhen. Die Folge ist eine große Glaubwürdigkeitskrise von Politik und Medien.

Gefährliche Aggressionen

Die Pandemie, gepaart mit dem Aggressionspotenzial der Sozialen Medien, hat das noch vertieft. Man hockt in seinen Echokammern und hält andere Meinungen für (gesteuerte) Lügen. An den rechten und linken Rändern macht der Kampfbegriff „Systempresse“ die Runde. Diese Entwicklung ist auch bei Wahlen sichtbar. Die Mitte verliert, radikale Positionen gewinnen – ganz links und ganz rechts. Das ist gefährlich, speziell wenn sich wie in den Dreißigerjahren eine echte Wirtschaftskrise aufbauen sollte. Derzeit leben wir ja im Gegensatz zu damals noch immer in einem vergleichsweise unfassbaren Wohlstand.

Dabei haben wir noch gar nicht von der nächsten Umwälzung gesprochen: Dank künstlicher „Intelligenz“ werden Fakten von Fake kaum noch unterscheidbar sein. Der seriöse Journalismus steht vor völlig neuen Aufgaben. Er wird in diesem Umfeld sogar noch wichtiger.

Dennoch wird man nach der amtlichen Wiener Zeitung (deren Geschäftsmodell der Zwangsinserate einfach keines mehr war) noch weitere Zeitungen sterben sehen. Eine echte Qualitätsförderung – über den ORF hinaus – wäre eine sinnvolle Alternative gewesen. Die Chance wurde verpasst. Einen medienpolitischen Neustart kann und muss man sich leider erst von einer nächsten Regierung erhoffen. Es wird bald sichtbar werden, wie notwendig er ist.

Martina Salomon

KURIER-Chefredakteurin Martina Salomon

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