Tobias Moretti und die Zukunft: "Ein Totalitarismus der Maschine"
Wir schreiben das Jahr 2029. Ein voll digitalisiertes Haus auf einer kleinen Ostsee-Insel. Seine Bewohner reisen per selbstfahrendem Taxiboot an. Es sind Starjournalist Johann Hellström und dessen Frau, die Anwältin Lucia. Hellström wurde mit einem Berufsverbot belegt, weil er mit der deutschen Sicherheitspolitik scharf ins Gericht ging. Als ein schrecklicher Anschlag auf Polizisten mit vielen Toten geschieht, wird Hellström als Sündenbock ausgemacht.
Das klingt wie von einem Journalisten ausgedacht? Ist es auch. Spiegel-Reporter Dirk Kurbjuweit schrieb jene Kurzgeschichte, die als Vorlage für „Das Haus“ dient. Die ARD hatte Autoren dazu aufgerufen, abseits von Drehbuchmustern Geschichten über die Zukunft zu schreiben. Seit den 1970ern ortet man diesbezüglich im deutschen Fernsehspiel einen Mangel.
Christian Granderath vom NDR nennt im Begleittext zum „Near Future“-Schwerpunkt budgetäre Gründe, weswegen man es in puncto Sci-Fi nicht mit Hollywood aufnehmen könne. Zudem spiele „die große Sehnsucht nach einer Sintflut von Krimis und Polizisten als ordnender Instanz für Schuld und Sühne“ eine Rolle, während bedrohliche Szenarien als Quotengift empfunden würden.
Wissender Kühlschrank
Nun hilft also Tobias Moretti mit, die Zukunft fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen zu retten. Sein Hellström, dem das Smart Home zusehends entgleitet, staunt nicht schlecht, als der intelligente Kühlschrank plötzlich eine Menge ungewohnter Lebensmittel ordert. Wenig später steht ein autonomes Aktivistenpärchen, dem seine Frau Unterschlupf gewährt, vor der automatischen Tür. Wusste das Haus vorher Bescheid?
„Der digitale ,Hausfreund‘, der an meiner Stelle vermeintlich in meinem Sinne entscheidet, hebelt meine Freiheit aus und installiert eine Art Totalitarismus der Maschine“, sagt Tobias Moretti im KURIER-Interview (in voller Länge unten). „Den Konsumenten wird das umgekehrt aber als Freiheit verkauft.“
Moretti betrachtet die im Film beschriebenen Technologien bereits als Gegenwart: „Natürlich ist die Idee verführerisch, und mittlerweile ist es für viele schon Alltag. Es ist wie immer: Der unreflektierte Umgang ist das Problem. Er führt dazu, dass man 24 Stunden mit einer Maschine lebt, die einen besser kennt als man sich selber. Angeblich halten manche Alexa schon für ein Familienmitglied.“
Zensur
Das Problem einer drohenden Zensur sieht der Schauspieler weniger nah. Moretti: „Im westlichen Europa braucht man sich, glaube ich, um die Pressefreiheit keine Sorgen zu machen. Manchmal scheint die Presse hier freier zu sein als die, über die sie berichtet. Eine freie Gesellschaft ist aber nicht ohne mediales Korrektiv denkbar.“
Wiedersehen
Die Dreharbeiten brachten auch ein „schönes Wiedersehen“ mit Valery Tscheplanowa, mit der Moretti 2019 als Jedermann auf dem Salzburger Domplatz stand.
Sie sei „eine wunderbare Buhlschaft“ gewesen, sagt er. Nach fünf Drehtagen stoppte die erste Coronawelle allerdings die erneut enge Zusammenarbeit. „Dass wir überhaupt zu Ende drehen konnten, hat niemand zu hoffen gewagt. Dann plötzlich war’s soweit, unter strengsten Auflagen konnten wir in Schweden diesen Film realisieren.“
„Das Haus“ läuft am Mittwoch, 20.15 Uhr, in der ARD, bereits jetzt in der ARD Mediathek. Am 22. 12. folgt „Ich bin dein Mensch“ mit u. a. Sandra Hüller. Die "Near Future"-Reihe soll 2023 fortgesetzt werden.
Bereits veröffentlicht wurde eine Anthologie mit Texten von Leif Randt, Olga Grjasnowa, Clemens J. Setz und Vea Kaiser. "2029 – Geschichten von morgen" erschien 2019 bei Suhrkamp. Eine Pandemie war übrigens in keiner Geschichte ein Thema.
Klarerweise ist ein landwirtschaftlicher Betrieb heute nicht ohne Technik denkbar, wenn er effizient sein will, Nostalgie wäre da fehl am Platz. Aber wenn man wie wir teilweise Steilflächen in Zone 4 bearbeiten muss, sind der Technik da auch natürliche Grenzen gesetzt, da muss doch noch eine Menge von Hand gemacht werden. Vor allem schließen sich Ökologie und Technik überhaupt nicht aus. Gerade Biobetriebe müssen am neuesten Stand sein, z.B. Heubelüftungen über Solarenergie, Futterökonomie und dergleichen. Im Haus haben wir natürlich all das an Technik, was man im Büro etc. so braucht, - wir sitzen abends nicht in der Stube am Spinnrad.
Nach Weihnachten hat Tobias Moretti einen kleinen, aber umso interessanteren Auftritt. Am 27. 12., 20.15 Uhr, bringt ServusTV in der Reihe „Bergwelten“ die Doku „Schwabenkinder“. Darin wird die Geschichte jener Kinder erzählt, die bis ins 20. Jahrhundert aus den bitterarmen Bergregionen Tirols, Vorarlbergs und der Schweiz nach Oberschwaben geschickt wurden, um ihren Familien ein karges Zubrot zu erarbeiten.
Moretti spielte 2003 in Jo Baiers gleichnamigem Spielfilm einen Geistlichen, der die Kinder durch Schnee und Eis begleitet. „Vielen hat der Film dieses Thema überhaupt erst eröffnet“, sagt Moretti. In der neuen Doku, in der er als Präsentator wirkt, schildert er „Gesachichten, Fakten und Eindrücke“.
Ein weiteres alpines Projekt, an dem Moretti beteiligt war, wartet hingegen auf Fortsetzung. Felix Mitterer habe zwar ein Drehbuch für Teil 5 der „Piefke-Saga“ vorgelegt, heißt es im ORF, „konkrete Pläne für eine Umsetzung gibt es derzeit keine.“
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