"Spiegel"-Affäre: Geschichte vom ehrlichen Syrer ist nicht erfunden

"Spiegel"-Affäre: Geschichte vom ehrlichen Syrer ist nicht erfunden
Bei der Aufarbeitung des hauseigenen Fälschungsskandals kann der "Spiegel" hin und wieder auch "Good News" vermelden.

Das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel ist weiterhin mit der Aufarbeitung des Falles Relotius beschäftigt. Am Samstag wurde die für das traditionsreiche Magazin äußerst unangenehme Affäre zum Titelthema gemacht. Unter dem Motto "Sagen, was ist." will der Spiegel zeigen, "wie einer unserer Reporter seine Geschichten fälschte und warum er damit durchkam". "Sagen, was ist", ist jene Maxime, die Spiegel-Gründer Rudolf Augstein für sein Medienhaus ausgegeben hatte.

Zur Aufarbeitung gehört, dass jene 55 größeren Geschichten, die Claas Relotius für den Spiegel schrieb, auf Faktentreue und Plausibilität geprüft werden. Denn der Spiegel-Reporter musste vergangene Woche zugeben, viele Texte gefälscht sowie Protagonisten und Geschehnisse teilweise völlig erfunden zu haben. Mittwoch dieser Woche hat der Spiegel dann zum ersten Mal die Öffentlichkeit informiert.

"Ein Flüchtling aus Syrien findet 1000 Euro"

Geprüft wurde auch ein Artikel mit folgender aufsehenerregenden Unterzeile: "Ein Flüchtling aus Syrien findet 1000 Euro auf der Straße und übergibt das Geld der deutschen Polizei." 

Der Artikel über den jungen Syrer Mahmoud Abdullah, der in Deutschland auf der Straße ein Sparbuch findet, in dem zwei 500-Euro-Scheine stecken, erschien am 2. Oktober 2015, also am Höhepunkt der Migrationskrise. Für viele Skeptiker klang das damals so, als wolle Relotius das Image von Flüchtlingen bewusst aufpolieren. Und jetzt, wo alle Texte des preisgekrönten Star-Journalisten in Frage gestellt werden, erinnerten sich "Lügenpresse"-Kritiker in den sozialen Netzwerken rasch an die Geschichte vom ehrlichen Syrer. Das liest sich dann so: "Wisst ihr noch... "Flüchtling findet Geld auf der Strasse und bringt es zur Polizei"? ALLES GELOGEN!" In rechten Kreisen werden Nachrichten wie diese derzeit ausgiebig kommentiert und weiterverbreitet.

Das Handeln des Syrers ist aktenkundig

Aber Relotius war nicht der erste, der über den Mann berichtete. Öffentlich gemacht hatte sie die Aachener Polizei, die eine Pressemitteilung daraus fertigte. Wie der Spiegel nun nachrecherchiert hat, ist die Sache mit dem gefundenen Sparbuch dort aktenkundig. Der Syrer sei am 20. Juli 2015 um 14 Uhr in die Wachstube gekommen, bestätigte die Polizeiwache in Alsdorf demnach. "Ein Mann, der nur sehr gebrochen Deutsch" sprach, übergab den Beamten 1000 Euro in zwei Scheinen zu je 500 Euro und lehnte selbst Finderlohn ab. Die Personalien des Finders seien aufgenommen worden. Es war Mahmoud Abdullah.

Zuerst berichtete die Nachrichtenagentur dpa darüber, anschließend zahlreiche regionale und deutschlandweite Medien wie die Bild-Zeitung und die Süddeutsche Zeitung. Erst im Herbst schrieb Relotius dann seinen Artikel in der Rubrik "Die Geschichte hinter der Meldung". 

Hat Relotius mit Abdullah gesprochen?

Der Spiegel prüfte nun auch nach, ob Relotius den Syrer tatsächlich kontaktiert hat. Eine vom Spiegel zitierte Journalistin, gibt an, dass sich Relotius bei ihr gemeldet hatte, um Abdullah zu erreichen. Abdullah selbst wolle derzeit nicht mit Medien sprechen. Er ließ durch die Journalistin mitteilen, "dass er sich nicht genau erinnern kann, ob es Claas Relotius war, auf alle Fälle sei jemand vom Spiegel da gewesen."

Den Inhalt der Relotius-Geschichte kann die Journalistin, die selbst davor über Abdullah berichtet hatte, zum größten Teil bestätigen. Sie stellt laut Spiegel aber auch fest, dass manche Dinge - vor allem die Umstände von Abdullahs Flucht - offenbar verkürzt dargestellt und dramaturgisch zugespitzt wurden.

Ehrlichkeit

Über die Fundsache selbst schrieb Relotius: Der Syrer habe kurz darüber nachgedacht, was er mit dem Geld alles anfangen könne. Dann sei er aber mit dem Fund zur Polizei gegangen. Der Besitzer des Sparbuchs habe sich gemeldet und Abdullah Finderlohn angeboten. Abdullah habe dies abgelehnt. Seine Begründung: In Syrien sei man ehrlich, "um ein guter und gerechter Mensch zu sein".

Relotius war in vielen seiner Texte nicht ehrlich. Die Geschichte vom ehrlichen syrischen Flüchtling ist allerdings wahr.

LINK: Die Aufarbeitung des Artikels im Spiegel

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