Sebastian Koch: "Es fehlt momentan oft die Herzenergie"
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es hinter den Notausgangstüren in einem Autobahntunnel aussieht?
In der Thriller-Miniserie „Euer Ehren“ wird das in einem mehr als ungewöhnlichen Showdown beantwortet, wenn sich Richter Michael Jacobi (Sebastian Koch) ebendort auf die Knie begibt. Zu sehen von 9. April, 20.15 Uhr, bis 10. April – im ORF als Dreiteiler, in der ARD in sechs 45-minütigen Folgen.
Im unheiligen Land Tirol
Aber zurück zum Beginn: Wir haben es hier mit einem ehrenwerten Topjuristen zu tun, der im – hier ziemlich unheiligen – Lande Tirol aufräumen will. Den Kopf eines der Mafiaclans, die am Brenner Drogen schmuggeln, brachte er hinter Gitter. Durch einen unglücklichen Zufall befürchtet er, dass nun Sohn Julian (Taddeo Kufus) ins Visier der serbischen Gangster gerät. Julian verursachte auf einer einsamen Bergstraße einen Unfall und beging Fahrerflucht. Der junge Mann, der im Koma liegt, ist der Sohn des Clanchefs.
Mit dem Wissen um die gefährliche Situation setzt Jacobi, der die Fahrerflucht zunächst anzeigen wollte, nun alles daran, den Vorfall zu vertuschen. Dabei verstrickt er sich immer mehr in ein toxisches Netz aus Lüge, Verrat und Manipulation.
Vorbild aus Israel
An diesem Punkt könnten Kenner der israelischen Serie „Kvodo“ und des US-Ablegers „Your Honor“ (mit Bryan Cranston) abwinken und sagen: Kenn’ ich, bin raus. Sie verpassen dann aber, wie viel innere und äußere Spannung Koch aus dieser Rolle herausholt, und, welch hochrangiges Schauspielerensemble aus Deutschland und Österreich hier am Werk ist.
Die Faszination des Stoffes erklärt Koch so: „Es geht um einen Richter, wie wir ihn uns alle wünschen: demokratisch, unbestechlich, einer mit Haltung. Und plötzlich gerät so jemand in die prekäre Situation, sein Kind nur dann retten zu können, wenn er seine eigenen Grundsätze über Bord wirft.“
Die erste Lüge sei „noch eine intuitive Reaktion“, aber: „Als er erfährt, wen sein Sohn da vom Motorrad gefahren hat, legt das in ihm einen Schalter um. Das ist sein Trigger. Er hat keinen Plan, wird immer nur überrascht, muss auf die nächste Katastrophe reagieren. Ein richtiger Domino-Effekt.“
KURIER: „Euer Ehren“ ist eine Adaption der israelischen Serie „Kvodo“. Was macht den Stoff so spannend, dass dieser bereits mehrmals bearbeitet wurde?
Sebastian Koch: Es geht um einen Richter, wie wir ihn uns alle wünschen: demokratisch, unbestechlich, einer mit Haltung. Und plötzlich gerät so jemand in die prekäre Situation, sein Kind nur dann retten zu können, wenn er seine eigenen Grundsätze über Bord wirft. All die Werte, die er so verinnerlicht hat, gelten nichts mehr. Das ist sehr, sehr spannend. Die erste Lüge des Richters ist noch eine intuitive Reaktion, doch damit tritt er eine Lawine los, aus der nicht mehr rauskommt. Er sieht keine andere Option. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen und das eigene Wertesystem funktioniert plötzlich nicht mehr. Für mich entwickelt das eine atemlose Spannung, das ist eine Fahrt mit der Achterbahn. Als mir Al Munteanu das vor vier Jahren gepitcht hat, dachte ich sofort: Da ist etwas, das uns gerade beschäftigt, das den Zeitgeist trifft.
Dieser Richter hat hohe moralische Ansprüche. Warum lässt er sich doch zu diesen haarsträubenden Handlungen verleiten?
Weil er der festen Überzeugung ist, dass er nur so sein Kind retten kann. Er hat diesen serbischen Clanchef zu 16 Jahren Haft verurteilt und als rauskommt, dass der in den Unfall verwickelte Motorradfahrer der Sohn eben dieses Clanchefs ist, weiß der Richter, dass sein Junge in absoluter Lebensgefahr schwebt. Er denkt nicht nach, er handelt einfach. Als Zuschauer gehst du diesen Weg, wenn auch zögerlich, bis zum bitteren Ende mit. Das macht die Geschichte so großartig.
Zunächst will er noch zur Polizei gehen …
Ja, sein Ursprungsimpuls ist, die Fahrerflucht anzuzeigen. Da kommt der Richter ja her: von Recht und Ordnung. Als er dann erfährt, wen sein Sohn da vom Motorrad gefahren hat, legt das in ihm einen Schalter um. Das ist sein Trigger. Es hat keinen Plan, der wird immer nur überrascht, muss auf die nächste Katastrophe reagieren, die die vorige auslöst hat. Ein richtiger Domino-Effekt.
Sie waren von Anfang an eingebunden in die Produktion, weil Sie bei der Drehbucherstellung dabei waren. War das für Sie was Neues? Und was waren die Vorteile dabei?
So früh in ein Projekt eingebunden zu sein, ist tatsächlich auch für mich neu. Ich war zwar schon bei „Das Leben der Anderen“ und anderen Produktionen früh dabei, aber nicht in dieser Intensität. Es ist ein großer Vorteil, wenn Autoren, Regie und Schauspieler so früh zusammenkommen. Man hat jede Szene, jede Situation schon einmal am Tisch gemeinsam durchgesprochen und festgestellt, was man mit filmischen Mitteln zwischen den Zeilen erzählen kann, ohne alles über den Text zu erklären. Zudem kann man die Geschichte immer nochmal auf Logik und Plausibilität prüfen. Später, am Set, hat man dann alles schon mal erlebt und auf Schwächen geprüft. Das spart unendlich viel Zeit beim Dreh.
Warum wollte Al Munteanu, dass sie schon so früh involviert sind in diesem Projekt?
Als er mich damals von einer Messe aus Paris anrief und mir die Geschichte erzählte, war ich sofort elektrisiert. Ich hatte das Gefühl, da trifft es etwas den Nerv unserer Zeit, deshalb sagte ich spontan zu, was sonst nicht meine Art ist. Aber es hat sich gelohnt.
Wie ist man auf Tirol als Schauplatz gekommen?
Dass der Brenner ein Umschlagplatz für illegale Waren ist, ist nicht so bekannt, entspricht aber durchaus der Wahrheit. Man denkt ja immer, das passiert anderswo, aber nicht in unserer Nähe. Dazu kommt, dass Innsbruck und die Tiroler Landschaft als Drehort eine ungemeine Kraft haben. Die Stadt liegt in einer Art Kessel, die Berge können geradezu bedrohlich wirken. Das passte perfekt in diese Geschichte.
Tobias Moretti spielt ja eine eher zwielichtige Rolle. Wie war es, mit ihm zu arbeiten?
Alles wunderbar wie immer (lacht). Wir kennen uns ja schon seit 20 Jahren, haben sicherlich schon vier oder fünf Filme zusammen gemacht. Die erste Zusammenarbeit war der Film über die Entführung des Richard Oetker 2001. Wenn man sich so lange kennt, kann man sich auf den anderen verlassen.
Wie waren die Drehbedingungen im Lockdown?
Entbehrlich! Drehen im Lockdown bedeutet für alle Beteiligten viel Disziplin und strenges Einhalten vieler Hygienevorschriften. Alle haben viel Wert daraufgelegt, schließlich wollte niemand die Kollegen oder das Projekt gefährden. Da gab es eine extreme Solidarität unter uns allen, das fand ich beeindruckend. Gleichzeitig waren aber ausschweifende Abendaktivitäten sehr eingeschränkt.
Spannend ist auch die Rolle von Paula Beer, die sich in einer hermetischen Männerwelt behaupten muss.
Sie ist einfach eine tolle Schauspielerin. Ich kenne sie seit unserem gemeinsamen Film „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck, da hat sie meine Tochter gespielt. Sie hat einfach eine unglaubliche Präsenz, vor allem diese Eiseskälte spielt sie sensationell.
Wie war die Zusammenarbeit mit Taddeo Kufus, er ist ja ein Newcomer.
Das war traumhaft, wir haben uns sofort gut verstanden. Wir alle wussten im Casting schon: das ist er. Durch seine Rolle wird das Drama überhaupt erst ausgelöst. Wenn diese Vater-Sohn-Beziehung nicht stimmt, dann stimmt das ganze Ding nicht.
In Zeiten eines Krieges in Europa: Glauben Sie, dass es für solche Stoffe zurzeit schwieriger ist, weil man sich vielleicht eher mit leichteren Stoffen ablenken möchte? Oder braucht man gerade jetzt solche Stoffe, in denen auch Extremzustände aufgearbeitet werden?
Der Plot ist nahezu eine Metapher zu unserer momentanen Weltsituation. Die Serie gibt zwar keine Antworten, aber sie stellt genau diese Fragen: Was machen wir in Extremsituationen? Müssen wir wieder zu Waffen greifen? Funktioniert unsere Demokratie noch? Oder können wir doch noch Lösungen in Gesprächen finden? Oder nehmen Sie nur mal den Klimawandel. Wir wissen seit Jahren, dass wir mit unserem Verhalten gegen die Wand fahren werden und machen dennoch einfach weiter. Wider besseres Wissen.
Sehr eindrücklich ist eine Szene mit Tobias Moretti, der in seinem Schlachthof gerade fiese Pläne schmiedet, und sich dann um einen verletzten Mitarbeiter kümmert.
Das ist ja das Schöne an Geschichten, wenn die Guten und die Bösen nicht so deutlich erkennbar sind. Spannend wird es immer dann, wenn man als Zuschauer die Aufgabe hat, das selber zu beurteilen.
Wie gefällt Ihnen die Arbeit für die Oscar Academy?
Sehr. Ich habe alle Filme schon sehr früh bekommen. Da waren viele Highlights dabei und ich konnte ab November diese großartigen Produktionen zu Hause auf einer Leinwand schauen. Das ist eine große Ehre und macht dazu noch viel Spaß.
Zusätzlich sind Sie bei der Deutschen Filmakademie aktiv …
Nein, da bin ich ausgetreten. Zu viel Akademie ist mir zu akademisch … (lacht)
Sie haben zuletzt auch weniger fürs deutsche Fernsehen gemacht. Warum?
Ich arbeite generell weniger, suche noch genauer aus. „Euer Ehren“ war mal wieder ein Stoff, der mir sofort zugesagt hat. Und ich fand es schön, auch in der Entwicklung relativ früh dabei sein zu können. Mir ist nicht so wichtig, wo ich arbeite, sondern womit ich mich beschäftige, ob es mir Spaß macht und welche Menschen beteiligt sind.
Sie werden Ende Mai 60. Ist das auch so ein magisches Datum, wo man auch etwas leiser tritt?
Ich glaube nicht, dass das mit dem Alter zu tun hat. Wie gesagt, ich trete schon seit einer Weile etwas kürzer. Ich möchte nicht dauernd unterwegs sein, versuche alles ein bisschen mehr zu genießen, wieder mehr Musik zu machen, zum Beispiel.
Sie wollten ursprünglich Musiker werden, was machen Sie derzeit in dieser Richtung?
Ich spiele wieder viel Gitarre, auch mit anderen Musikern zusammen, einfach so. Es macht sehr viel Spaß, dafür hatte ich mir vorher nie die Zeit genommen.
Sie sind ja einst wegen Peymanns Inszenierungen zum Schauspiel gekommen.
Als ich 14 oder 15 war, war er Intendant in Stuttgart. Darüber habe ich das Theater überhaupt erst kennengelernt und fand es großartig, Peymanns Ensemble war ja eine große Familie: Branko Samarovski, Kirsten Dene, Gert Voss. Die haben ja Dekaden miteinander verbracht, ein ganzes Theaterleben. Man hat damals schon gespürt, dass das eine gewachsene Familie ist. Aber Peymann ist natürlich auch ein großer Name in Österreich.
In Wien hat er eine besondere Reibungsfläche vorgefunden.
Was ja gut ist, das war in Stuttgart nicht anders. Etwa bei Bernhards Filbinger-Drama „Vor dem Ruhestand“ oder, als er für die Zahnbehandlung von RAF-Terroristen in Stammheim spendete. Das war auch ein Aufschrei damals. Aber das ist ja das, was Theater auch kann und leisten sollte.
Hat das Theater für Sie heute noch so viel Strahlkraft, wie es damals hatte?
Ich liebe Theater, das mich emotional berührt, das mich nicht loslässt. Und über dieses Gefühl kann ich noch Jahre später die Bilder dazu abrufen. Das finde ich heute nur selten. Das ist alles sehr gekonnt, technisch versiert, aber mir fehlt so oft die Herzenergie, das Liebevolle. Kopfenergie haben wir momentan genug.
Es war Winter 2020, als Produzent Al Munteanu (von Square One) dem deutschen Regisseur David Nawrath das israelische Original zeigte. „Ich war gebannt“, sagt Nawrath, „die Vorlage war sehr spannend geschrieben, aber ich fand auch, dass es da noch wirklich ganz viele Schätze zu heben gibt. Es war eine schöne Aufgabe, diese Geschichte in unsere Hemisphäre zu holen und nach Möglichkeiten zu suchen, die Handlung für uns glaubwürdig zu machen. Wir haben den Hauptkonflikt übernommen, mussten aber auch vieles neu erfinden, denn man konnte die Handlung nicht eins zu eins nach Europa verlegen.“
Moretti als Finsterling
Und so wurde etwa Tobias Moretti die Rolle des zwielichtigen, polternden Fleischfabrikanten Uli Lindner auf den Leib geschrieben. „Wir fanden es spannend, eine Figur zu haben, die zwei Gesichter hat“, sagt Nawrath. „Einer, der einerseits genau weiß, wie man mit dem kleinen Mann sprechen muss und von den Leuten der Region geliebt wird, der aber auch absolut skrupellos ist, wenn es darum geht, seine Interessen durchzusetzen.“
Dass die Serie in Tirol spielt, sei schon festgestanden, als Nawrath zu dem Projekt stieß. Als Koproduktionspartner agiert die österreichische Mona Film von Thomas Hroch. Mit ihm arbeitete Nawrath schon bei „Blind ermittelt“ zusammen. Von seinem erfolgreichen Kino-Erstling „Atlas“ brachte der 42-Jährige Rainer Bock mit – er spielt hier einen knallharten Killer in Lindners Sold.
Weiters glänzen: Paula Beer als Arija Sailovic, der plötzlich die Rolle der eiskalten Rächerin ihres Bruders Zlatan zufällt; Ursula Strauss, die als integere Kriminalkommissarin der Wahrheit auf der Spur ist; Sascha Alexander Geršak als Grenzpolizist, der Jacobi helfen will; Gerti Drassl als knorrige Mutter einer verarmten Familie, deren Sohn Opfer des Lügengebäudes wird.
Hauptdarsteller Koch war schon ab Erstellung des Drehbuchs (Nawrath und David Marian) eingebunden: „Es ist ein großer Vorteil, wenn Autoren, Regie und Schauspieler so früh zusammenkommen“, meint Koch. „Später, am Set, hat man alles schon erlebt und auf Schwächen geprüft. Das spart unendlich viel Zeit beim Dreh.“
Zeitgeist
Innsbruck und Tirol hätten „eine ungemeine Kraft“, sagt er. „Die Stadt liegt in einer Art Kessel, die Berge können geradezu bedrohlich wirken. Das passte perfekt in diese Geschichte.“ Und dass diese „den Zeitgeist trifft“ , habe ihn sofort angesprochen.
Koch: „Der Plot ist nahezu eine Metapher zu unserer momentanen Weltsituation. Die Serie stellt genau diese Fragen: Was machen wir in Extremsituationen? Müssen wir wieder zu Waffen greifen? Funktioniert unsere Demokratie noch? Oder können wir doch noch Lösungen in Gesprächen finden?“
KURIER: „Euer Ehren“ ist Ihre erste große Serie, die Sie als Regisseur und Drehbuchautor von Anfang bis Schluss verantworten. Wie sind Sie an diese Aufgabe herangegangen?
David Nawrath: Es war Winter 2020, so rund um den Beginn der Pandemie, als der Produzent Al Munteanu damit auf mich zugekommen ist. Er zeigte mir das israelische Original und ich war sehr gebannt - ein wirklich sehr guter Thriller, dachte ich. Die Vorlage war sehr spannend geschrieben, aber ich fand auch, dass es da noch wirklich ganz viele Schätze zu heben gibt. Es war eine schöne Aufgabe, diese Geschichte in unsere Hemisphäre zu holen und nach Möglichkeiten zu suchen, die Handlung für uns glaubwürdig zu machen. Wir haben den Hauptkonflikt übernommen, mussten aber auch vieles neu erfinden, denn man konnte die Handlung nicht eins zu eins nach Europa verlegen.
Was waren dabei die Schwierigkeiten?
Das Verhalten der Charaktere und der Plot mit all seinen Wendungen und Schleifen, wäre hier hierzulande oft nicht nachvollziehbar gewesen. Weil das Justizsystem in Israel anders funktioniert, weil die Familie im Leben der Leute hier eine andere Rolle spielt, weil gesellschaftliche und soziale Dynamiken einfach anders sind. Ich selber habe iranische Wurzeln und ich habe auch eine Zeit lang im Iran gelebt. Deswegen war mir das sehr nah, die Mentalität, das Denken, der Hang zum Pathos. Ich konnte damit sehr viel anfangen und konnte für mich einen ganz eigenen Zugang dazu finden.
Aber gibt es ja kaum Staaten, die mehr verfeindet sind als Israel und Iran. Wie geht es Ihnen damit?
Dass die beiden Staaten verfeindet sind, ist unglaublich traurig und bitter. Das ist seit ich denken kann, politisch unglaublich stark aufgeladen. Und dennoch ist es doch so, dass die Menschen im Iran und in Israel auf einen langen kulturellen Austausch zurückblicken können. Die heutige politische Situation steht auf einem anderen Blatt. Ich kenne beispielsweise hier in Deutschland viele Iraner, die ganz selbstverständlich Israelis in ihrem Freundeskreis haben. Die verwandte Mentalität gibt ein Gefühl der Vertrautheit und so ging es mir eben auch mit der Originalserie.
Was mussten Sie adaptieren, was das Justizsystem betrifft?
Das betrifft beispielsweise die Befugnisse eines Richters, die Spielregeln eines Prozesses oder auch die Polizeiarbeit. Weil diese Serie in der Welt des Gerichtssaals spielt, sind die Handlungsschritte oft an die Regeln der Juristerei gekoppelt. Dadurch, dass es in Deutschland oder in Österreich in vielen Details anders funktioniert, ist das sogar handlungsverändernd.
Sebastian Koch war schon sehr früh in die Drehbucherstellung involviert. Wie war diese Erfahrung für Sie?
Das war schon eine ganz wichtige Sache, die Zeit und die Möglichkeit zu haben, sich gemeinsam mit dem Hauptdarsteller die Szenen anzuschauen, sie mit ihm abzuklopfen und vor allem zu durchleben. So konnten wir ihm die Rolle auf den Leib schneidern. Das war eine sehr wertvolle Erfahrung. Und es war überhaupt eine sehr besondere Zusammenarbeit mit Sebastian, ihm zuzusehen, wie er die Figur mehr und mehr inhaliert. Und für den Drehprozess war es natürlich Gold wert, da man sich in der wenigen Zeit, die man am Set hatte, ganz auf den Moment konzentrieren konnten.
Es gibt schon mehrere Adaptionen von diesem Stoff. Was macht diese Geschichte so spannend, dass sie bereits mehrmals bearbeitet wurde?
Im Grunde ist es ja vergleichbar mit einem Theaterstück, das immer wieder neu interpretiert und erfunden werden kann. Und was diese Serie so spannend und erfolgreich macht, ist diese Richterfigur. Der Verteidiger der Wahrheit, der quasi über Nacht in eine Situation gebracht wird, alles über Bord zu werfen, wofür er steht und dazu gezwungen ist, zu lügen und zu manipulieren, was das Zeug hält, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen - diese Prämisse ist einfach sehr stark und universell. Man versteht diesen Konflikt von Wahrheit und Lüge überall. Und hier hat man diesen ehrenwerten Richter, dessen Job es quasi ist, der Wahrheit zu dienen, und dann erkennen muss, dass er selber ein Meister darin ist, genau das Gegenteil zu tun, sowie er nur gezwungen ist auf der anderen Seite zu stehen.
Wie ist man auf Tirol als Schauplatz gekommen?
Das war schon von Anbeginn der Wunsch der Produzenten und der Sender. Als ich dazu kam, stand die Frage noch ein mal im Raum: Wollen wir das In Innsbruck erzählen oder wollen wir es doch zum Beispiel nach Berlin holen? Aber wir fanden eigentlich alle, dass es richtig ist, weil es einfach fremder ist und mehr Kontraste bietet. Man hat einerseits diese pittoreske Stadt am Inn, die wie in einem Kessel liegt, und andererseits hat man diese abgelegenen Täler Tirols, die wieder eine ganz andere Welt darstellen. Und dann hat man den Brenner mit der Nähe zu Italien und mit der Autobahn, dem Transitverkehr, der sich wie eine Schlagader durch das Land zieht, was einen starken Kontrast setzt. Es hatte viele Vorteile und wir sind dann sehr gut damit gefahren.
Mussten Sie sich Tirol auch noch genau anschauen?
Ich kannte Tirol vorher kaum. Tirol habe ich erst im Zuge der Motivsuche kennengelernt. Und was die Sprache anging, waren natürlich die Schauspieler eine große Hilfe, weil sie zum Teil aus Tirol kamen. Die habe ich immer wieder gefragt: Würde man das dort so sagen? Und dann gab es immer ein klares Ja oder ein klares Nein. (Lacht) Vor allem Gerti Drassl und Tobias Moretti haben sich da viel eingebracht, was die Sprache und die Glaubwürdigkeit angeht. Tobias Moretti lebt ja sogar bei Innsbruck. Es war natürlich eine Freude, mit ihm zu arbeiten. Als wir über die Rolle des Uli Lindner nachgedacht haben, war für mich klar, dass Tobias Moretti einfach großartig dafür wäre und so haben wir ihm diese Figur auf den Leib geschrieben.
Er spielt ja eine sehr zwielichtige Figur, die da auch beim Drogenhandel ihre Finger im Spiel hat.
Wir fanden es spannend, eine Figur zu haben, die zwei Gesichter hat. Einer, der einerseits genau weiß, wie man mit dem kleinen Mann sprechen muss, ein echter Tiroler, der mit harter Arbeit zu seinem Erfolg gekommen ist und von den Leuten der Region geliebt wird, der aber auch absolut skrupellos ist, wenn es darum geht, seine Interessen durchzusetzen.
Wie viel Verständnis haben Sie für das Handeln von Richter Jacobi?
Ich kann es nachvollziehen. Das ist ja auch die Stärke, die darin liegt. Die Zuschauer fragen sich: Okay, würde ich das anders machen? Die Frage ist ja immer wieder: Hat er eine andere Wahl? Es ist eben dieses Dilemma, dass uns an ihn fesselt. Er kann nur noch falsch handeln, um zu überleben.
Die Story ist sehr universell, weil sie eben auch die Moral thematisiert und Emotionen hervorruft. Wie viel ist auch Gesellschaftskritik dabei?
Ich bin als Filmemacher in erster Linie an der menschlichen Natur und an ihren Verhaltensweisen interessiert. Und wenn es gelingt, im Film etwas über den Menschen zu erzählen, dann ist schon viel erreicht. Wie viel Gesellschaftskritik man aus "Euer Ehren" herausliest, das muss ich den Zuschauern überlassen.
Eine interessante Figur ist auch die Rolle von Paula Beer. Eine Frau, die sich in einer hermetischen Männerwelt durchsetzen muss.
Die Figur der Arija Sailovic gab es ja in der israelischen Version so nicht. Wir fanden einfach die Vorstellung spannend, eine Frau zu zeigen, die im Zuge der Geschichte versucht, in diese Position der Clanchefin hineinzuwachsen. Eine Figur, die quasi diametral zu der Figur des Richters läuft.
Wurde Uli Lindner auch vollkommen neu gestaltet?
Diese Figur war im Original auch eine Randfigur, ein ganz anderer Charakter, ein weiterer Clanchef mit einer eher funktionalen Aufgabe. Und den zu einem Fabrikanten zu machen mit einem eigenen Erzählstrang, das ist neu.
Taddeo Rufus ist ziemlich neu im Geschäft. Haben Sie ihn auch entdeckt?
Wir sind im Casting auf ihn aufmerksam geworden. In Sam Mendes' Film „1917“ hat er eine kleine Rolle gespielt, die sich einem einbrennt. Taddeo hat einfach sofort überzeugt. Er hat so eine unverstellte Natürlichkeit, in dem, wie er spielt. Und er und Sebastian haben miteinander absolut harmoniert. Es hat wirklich ganz großen Spaß gemacht, mit diesem talentierten jungen Mann zu arbeiten.
Der Film „Atlas" war ihr Durchbruch als Regisseur. Planen Sie wieder was fürs Kino oder ist es egal welches Format?
Es ist einfach nur eine inhaltliche Frage, ob es jetzt Fernsehen oder Kino ist. Es ist interessant, wie sich das Fernsehen gerade entwickelt mit den ganzen Serien. Das ist ja ein gigantisches neues Feld, was da aufgeht, in dem im Tv-Bereich inhaltlich und auch stilistisch ganz anders arbeiten kann. Ich würde da jetzt gar nicht so eine Trennlinie ziehen zwischen Kino und Fernsehen. Je nachdem was inhaltlich interessant ist. Aber es gibt natürlich Ideen fürs Kino, an denen ich arbeite.
Sie haben ja im Lockdown gedreht. Können Sie uns kurz kurz noch sagen, wie die Umstände waren, in Tirol zu arbeiten, weil es eine deutsch-österreichische Produktion ist?
Wir haben nahezu vollständig mit einem österreichischen Team gearbeitet und wir waren natürlich mit Thomas Hroch und der Mona Film bestmöglich aufgestellt. Das sind starke Partner, mit denen ich schon vor Euer Ehren zusammen arbeiten durfte. Man muss ja sagen: Wir haben in der schwierigsten Phase der Pandemie gedreht, zum Peak der zweiten Welle, Anfang 2021. Dadurch hatten wir eine ziemlich hohe Belastung. So stellte beispielsweise der harte Lockdown in Wien ein großes logistisches Problem für die Vorbereitung. Wie geht ein Studiobau, wenn man kein Material kaufen kann? Ganz zu schweigen von der permanenten Gefahr, einen Coronafall im Team zu haben, was ein ganz eigener Thriller war. An sich war es toll, in Innsbruck und in Tirol zu drehen, weil man visuell einfach ganz viele Möglichkeiten hat und tolle Motive. Und da waren auch Menschen, die wirklich begeistert waren und Lust hatten mitzumachen und uns zu helfen. Da war ein großes Interesse für unser Projekt.
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