ORF2-Doku „Im Schatten der RAF": Als linker Terror Österreich in Atem hielt

ORF-Doku "Im Schatten der RAF": Walter Palmers wird nach seiner Freilassung November 1977 von einem Reporter interviewt
„Menschen & Mächte" (Mittwoch, 22.30 Uhr) beleuchtet die Palmers-Entführung und die Rolle Österreichs damals. ORF-Wissen-Chef erklärt, was man von True-Crime-Stories lernt

In den 1970er Jahren versetzt linker Terror Europa in Angst. Separatisten in Frankreich, Spanien und Großbritannien verüben Anschläge. Dazu Terror in Italien und, vor allem, auch in Deutschland. 1976 gerät auch Österreich in diesen Sog. Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) überfallen in der Wiener Innenstadt eine Bank und Waltraud Boock wird als erste RAF-Terroristin in einem österreichischen Gefängnis inhaftiert. 1977 folgt die spektakuläre Entführung eines der reichsten Männer des Landes: Walter Palmers.

Die Palmers-Entführung: Geldaktion und die Rolle von Gabriele Rollnik

Die neue „Menschen & Mächte“-Dokumentation „Im Schatten der RAF. Linker Terror in Österreich“ (22.30, ORF 2 und ORF ON) von Gregor Stuhlpfarrer beleuchtet nicht nur den Kriminalfall, der mit der Zahlung von Lösegeld und der späteren Verhaftung von Mittätern endete, sondern stellt auch größere Zusammenhänge der „Geldaktion“, wie es Gabriele Rollnik nennt, her. Sie war als Mitglied der linksextremen „Bewegung 2. Juni“ führend an der Palmers-Entführung beteiligt, 1981 wurde sie zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. „Wir hatten alle möglichen Leute ins Visier genommen“, sagt Rollnik in der ORF-Doku.

Österreich war also sehr wohl ein Spielfeld für den deutschen Links-Terrorismus, aber auch ein Rückzugsgebiet. Eine Eskalation wie im Nachbarland, wo vom „Staatsnotstand“ die Rede war, hat hier aber nicht stattgefunden.

Deutschland vs. Österreich: Bruno Kreiskys anderer Weg

Tom Matzek, ORF-Hauptabteilungsleiter Wissen, erklärt das im KURIER-Gespräch an der unterschiedlichen Haltung der Staatsspitze damals: Während SPD-Kanzler Helmut Schmidt auf die Autorität des Staates pochte, war SPÖ-Chef Bruno Kreisky stets der Meinung, „man muss mit seinem Gegenüber reden.“

Im Schatten der RAF. Linker Terror in Österreich

Kreiskys Vorgabe, „man muss mit seinem Gegenüber reden“, setzte Ex-Innenminister Karl Blecha auch in nahezu unmöglichen Konstellationen um

In Deutschland ging die Polizei gegen die 68er Protesten auf der Straße „relativ gewalttätig vor, was tatsächlich zu einer weiteren Radikalisierung und größerer Gewaltbereitschaft geführt hat.“ Über die Staatsgrenze hinaus. In Österreich versuchte man, „Märtyrer“, die Sympathisanten befördern, zu verhindern. Dazu kam die Präsenz von US-Truppen in Deutschland, was der Vorarlberger Palmers-Entführer Thomas Gratt einst mit dem Satz „Vietnam war nebenan“ auf den Punkt gebracht hat.

Reformen als Mittel gegen Radikalisierung in den 70ern

Eine Schlüsselrolle in Österreich hatte dabei der damalige SPÖ-Zentralsekretär Karl Blecha inne, der „immer sozusagen der Mann fürs Grobe von Bruno Kreisky war“, wie Matzek sagt. Blecha, der auch Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts IFES war, habe genau gewusst, was die Gesellschaft bewegt. Die SPÖ habe unter dem Motto „links von der SPÖ darf es auch nichts geben“ versucht, Radikale einzufangen - nicht nur durch Rhetorik, sondern vor allem durch Reformen wie die Familien- und Justizreformen der 70er Jahre. „Die Bilanz ist positiv“, sagt Blecha in der Doku über das Bemühen, die Radikalisierung einzuhegen.

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ORF-Wissen-Chef Tom Matzek: Stoffe für Dokumentationen müssten inzwischen nicht nur, isoliert betrachtet, wichtig, sondern „für das heutige Publikum relevant sein, etwas, das im übertragenen Sinn zum Angreifen ist.“

Und die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz meint dazu: „Hätten wir die sozialpolitischen Reformen dieser Jahre nicht gehabt, hätten wir uns schon damals in harte Gruppen ausdifferenzieren müssen.“

In der Doku zu Wort kommen zudem u. a.  der Ex-Abgeordnete Peter Pilz,  die Musikerin Beatrix Neundlinger („Schmetterlinge“) und Sabine Mathis, die Schwester von Thomas Gratt. Die Interviews mit den österreichischen Palmers-Entführern – neben Gratt auch Reinhard Pitsch und Othmar Keplinger – stammen aus einer Doku Mitte der 2000er-Jahre. Auch die Familie Palmers war angefragt, lehnte aber ab.

True Crime trifft Zeitgeschichte: Neue Erzählweisen im ORF

Für Matzek steht diese Dokumentation exemplarisch für eine neue Herangehensweise bei ORF-Dokus: „Wir versuchen hier das Narrativ von True Crime, das auf Plattformen sehr gut funktioniert, umzulegen auf die politisch-ökonomische Ebenen, ohne dass dabei journalistische Sorgfalt oder Analyse verloren geht.“

Es gehe darum, eine andere Erzählweise zu finden. „Es interessiert nicht nur der Kriminalfall für sich, sondern er wird eingebettet in einen größeren Zusammenhang“, so Matzek. Dies sei bereits erfolgreich bei „Der Fall Lucona“ gelungen, wo es neben dem Mord auch um den Kontext der Ost-Geschäfte ging, oder auch bei „Stadt der Spione“.

 

Gabriele Rollnik, ehemaliges Mitglied der linksextremen "Bewegung 2. Juni" im Interview  für die Dokumentation "Im Schatten der RAF"

Stellte sich den ORF-Fragen für die Doku: Gabriele Rollnik, ehemaliges Mitglied der linksextremen „Bewegung 2. Juni"

Interviews mit Ex-RAF-Mitgliedern ein Gang auf „sehr, sehr dünnes Eis"

Für die neue Doku wurde neben Rollnik auch das ehemalige RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo interviewt. Matzek räumt ein, dass dies ein Gang auf „sehr, sehr dünnes Eis“ war, aber notwendig sei, um einen Insiderblick auf die andere Seite zu erhalten und sich an die Überlegungen in diesem Spektrum heranzutasten. „Aber natürlich stellt sich bei solchen Geschichten immer auch die Frage, wie sehr gibt man eine Bühne für Rechtfertigung, für Verklärung usw..“

Matzek unterstreicht, dass heute in Dokus „Betroffene, gleich von welcher Seite, in ihrer Perspektive wahrgenommen werden.“ Das Publikum interessiere sich für die „Diversität der Menschen und die Differenziertheit der Betrachtung.“

Die Recherche stößt aber auch an Grenzen. „Wir tun uns generell schwer, weil Staatspolizeiliche Akten oder Aufzeichnungen im Regelfall nicht archiviert worden sind“, beklagt Matzek. Auch die Kooperation mit Politikern sei oft schwierig: „Wir würden uns wünschen, dass Personen des Zeitgeschehens wie der frühere Innenminister Karl Blecha offener mit ihrem Wissen umgehen würden.“ Das sei aber mitunter auch wegen des Alters und der verbundenen Anstrengung schwierig.

Relevanz für das heutige Publikum: Zeitgeschichte mit Gegenwartsbezug

Der Stellenwert von Zeitgeschichte-Dokus im ORF sei hoch, betont Matzek. Für das Publikum sei dabei wichtig, dass „ein Bezug zur Gegenwart und für das Geschehen heute“ gegeben ist. Stoffe müssten inzwischen nicht nur, isoliert betrachtet, wichtig, sondern „für das heutige Publikum relevant sein, etwas, das im übertragenen Sinn zum Angreifen ist.“

Der Blick in die Vergangenheit helfe dabei wahrzunehmen, „was ist denn systemisch passiert, damit das möglich werden konnte.“ Das aufzuarbeiten sei mit die Aufgabe eines Öffentlich-Rechtlichen, so Matzek.

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