„Menschen & Mächte"-Doku: Wien als Spielplatz für Agenten

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Reger Agenteneinsatz in der „Stadt der Spione“ während des kalten Kriegs. Spezielle Gesprächskanäle hatte auch Ex-Minister Karl Blecha (Mi., 22.30, ORF2)

Das Jahr 1945: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende, eine neue Weltordnung entsteht – auch mitten im befreiten Wien mit den Vier im Jeep als offensichtliches Zeichen. „Jede der Großmächte hatte hier an der Schnittstelle von Ost und West Interessen. Entsprechend rege war der Agenteneinsatz ab der Stunde Null“, so Tom Matzek, Leiter der multimedialen ORF-Hauptabteilung Wissen.

Doppelspione

Wien wird zur „Stadt der Spione“ – und hat seinen fixen Platz „im Netz der Geheimdienste“, wie die neue „Menschen & Mächte“-Ausgabe zeigt (Mittwoch, 22.30, ORF2). Die Doku von Georg Ransmayr und Gregor Stuhlpfarrer reicht vom Weltkriegsende bis hin zum Fall des Eisernen Vorhangs und deckt damit die lange Phase des Kalten Krieges ab.

Stadt der Spione - Wien im Netz der Geheimdienste

Kontakte von Tunis bis London pflegte der frühere Innenminister und Ex-SPÖ-Zentralsekretär Karl Blecha 

„Die Doku belegt die enge Verbindung von Politik und Wirtschaft zu den klandestinen Operationen rund um die Beschaffung von Informationen, Waffengeschäfte, Technologieschmuggel und Verwicklungen bis hinauf in höchste Kreise“, sagt Matzek. „Eigentlich müsste diese Doku aber ,Stadt der Doppelspione’ heißen. Wien war prädestiniert als Ort für Informanten, die mehrere Seiten bedienen und Informationssammler aller Art.“

Abhörtunnel unter Wien

Mit dem Klassiker „Der dritte Mann“ mit Orson Welles fand dieses Treiben 1949 den Weg auf die Leinwand. „Drehbuchautor Graham Greene war natürlich Geheimdienstmitarbeiter wie offensichtlich mehrere aus seinem Filmteam.“ Das Wissen über die Wiener Kanalisation habe Greene wohl vom britischen Doppelagenten Kim Philby übernommen. „Der war bereits in den 30er-Jahren in Wien und offenbar daran beteiligt, Schutzbündler während des Februaraufstands zu verstecken oder rauszuschmuggeln – auch über die Kanalisation“, erläutert Matzek.

Ebenfalls im Untergrund Wiens unterwegs war der britische Geheimdienst. Man grub Abhörtunnel, um Telefonleitungen der Sowjets anzuzapfen – was später auch in Berlin gemacht wurde. Sir Rodrick Braithwaite, letzter Botschafter der Briten in der untergegangenen UdSSR, hatte hier ab 1951 für den Armeenachrichtendienst gearbeitet. „Wien war nach seinen Worten ein extrem gefährliches Pflaster, man denke nur an die Verschleppung durch die Sowjets.“

Stadt der Spione - Wien im Netz der Geheimdienste

Die Doku-Macher Georg Ransmayr und Gregor Stuhlpfarrer mit dem ehemaligen britischen Diplomaten Sir Rodric Braithwaite 

Mit Bruno Kreisky und seine Nahostpolitik wurde Wien in 1970ern zu einem Ort, an dem Unterhändler und Vermittler agierten. Für Österreichs, durch Anschläge strapazierte Sicherheitsinteressen „war man auch zu speziellen Deals bereit. Die Doktrin, dass man sich nicht einmischt, wenn es nicht der Republik schadet, wurde unter Kreisky einfach fortgeschrieben“, so Matzek. An einem solchen Ort vermeidet man, Gäste zu kompromittieren. Das weckte wiederum das Interesse der Geheimdienste.

Ein besonderer Akteur zu dieser Zeit war Oberst Albert Stangl, ein James Bond der österreichischen Staatspolizei. Er lässt sich in dieser Doku tatsächlich in die Karten schauen. Stangl war damals in die Ermittlungen bei allen heiklen Fälle involviert: Ermordung von Stadtrat Heinz Nittl, das Synagogenattentat, die Wiener Kurden-Morde etc. Er wurde vom Mossad eingeladen, Palästinenser in israelischen Gefängnissen wegen Vorhaben in Österreich zu verhören. Und er war offenbar mit Wissen seines Vorgesetzten Doppelspion und Informationshändler. Matzek: „Stangl ist ein wichtiger Kronzeuge für unsere Recherchen zu den Geheimdiensten.“

Nervenkitzel

Das gilt nicht minder für den früheren SPÖ-Zentralsekretär und Ex-Innenminister Karl Blecha. „Für mich immer auffällig war, dass er selbst eigentlich der direkte Kontaktmann zu den verschiedensten Leuten war“, sagt der ORF-Wissen-Chef. Ein Beispiel sei PLO-Geheimdienstchef Abu Iyad, bei dessen Ermordung in Tunis Blecha nur knapp entkam. Er hatte auch Kontakte zu syrischen Geheimdiensten, wie auch zum britischen MI6. „Seine Möglichkeiten und Informationen spielten für Kreisky, der laut Blecha über diese Aktivitäten informiert war, eine große Rolle.“ Und Blecha selbst bescherten sie, wie die Politik-Legende selbst einräumt, schlicht auch Nervenkitzel.

Stadt der Spione - Wien im Netz der Geheimdienste

Oberst Albert Stangl war der James Bond der österreichischen Staatspolizei

Aufreger

Aber nicht immer ging es verschwiegen zu: Für Schlagzeilen sorgte Gustav Hochenbichler. Als stellvertretender Leiter der Wiener Staatspolizei in den 1980ern u. a. für den Personenschutz von Botschaften und für Staatsgäste zuständig, hat er für Geld geheime Informationen an die DDR geliefert. Der frühere Chef der Staatspolizei, Oswald Kessler, erzählt von der Maulwurf-Suche, die aufgrund einer Krebserkrankung Hochenbichlers nie vor Gericht aufgearbeitet wurde. Was möglicherweise nicht nur ihm entgegenkam.

Im Anschluss (23.20, ORF2) folgt die Wiederholung der Menschen & Mächte-Doku „Die Akte Noricum – Österreichs geheime Waffengeschäfte“. Diese Chronik eines der größten Politskandale der 2. Republik stammt ebenfalls von Ransmayr und Stuhlpfarrer. Zu Wort kommt hier auch Karl Blecha, der u. a. zum Tod von Österreichs Botschafter in Athen, Herbert Amry, Stellung nimmt, wofür er eine CIA-Splittergruppe – und nicht wie landläufig den Iran – verantwortlich macht.

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