Presserat: Neuer Rekord an Fällen

Die Berichterstattung über den Terror in Wien brachte Flut an Presserat-Beschwerden
Anzahl der Verstöße ging leicht von 38 auf 36 zurück - "Österreich" bzw. oe24.at am häufigsten gerügt. 1.500 Beschwerden zu Terror-Berichten

Mehr als jemals zuvor beschäftigt war der Presserat im Jahr 2020. In Summe wurden 418 Fälle abgehandelt. 36 Mal sah das Selbstkontrollorgan einen Verstoß gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse gegeben. 17 davon betrafen die Mediengruppe "Österreich". 1.500 Beschwerden gingen allein zur Berichterstattung über den Terroranschlag in Wien im Vorjahr ein – auch das ein Negativrekord, hieß es am Dienstag bei der Jahrespressekonferenz.

Die hohe Fallzahl von 418 (2019: 297) ist unter anderem auf viele Berichte zur Coronapandemie zurückzuführen, die besonders häufig von Lesern beanstandet wurden. "Die meisten dieser Beschwerden wurden jedoch nicht aufgegriffen", erklärte Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Presserats. Das erkenne man auch daran, dass die Anzahl der Verstöße gegenüber 2019 von 38 auf 36 zurückgegangen sei.

Am häufigsten verstieß "Österreich" bzw. oe24.at gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse. 57 Fälle resultierten in 17 Verstößen. Die "Kronen Zeitung" verletzte den Ehrenkodex elfmal (62 Fälle), "Heute" dreimal (28 Fälle). Bei "Heute" handelte es sich um drei geringfügige Verstöße, woraufhin der Presserat lediglich Hinweise aussprach. Der "Wochenblick" und die "Bezirksblätter" kamen auf zwei Ehrenkodex-Verletzungen, "Die Ganze Woche", der "Kitzbüheler Anzeiger" und der "Kurier" auf jeweils eine. Zur Berichterstattung von "Der Standard" behandelte das Selbstkontrollorgan zwar 52 Fälle, keiner davon wurde jedoch als Verstoß gewertet.

Terrorberichterstattung

Die meisten Ethikverstöße betrafen Persönlichkeitsverletzungen (Punkt 5 des Ehrenkodex), einige auch Diskriminierungen von Personengruppen (Punkt 7 des Ehrenkodex) sowie die Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten. Zu den beanstandeten Persönlichkeitsverletzungen zählten unter anderem die Veröffentlichung von zwei Videos im Zuge der Berichterstattung über den Terroranschlag in Wien am 2. November des Vorjahres. In einem ist die Erschießung einer Passantin durch den Terroristen zu sehen. Im zweiten wird ein Polizist angeschossen. Der Presserat rügte in diesen Fällen krone.at und oe24.at.

Diese Entscheidung benötigte jedoch eine zusätzliche Ratssitzung. Es musste geklärt werden, ob oe24.at auch für Inhalte des Schwesterunternehmens oe24.tv verantwortlich ist. Normalerweise ist ein Stream von oe24.tv auf oe24.at eingebettet. "Auch die Terrorberichterstattung hätte dort laufen sollen", erklärte Andrea Komar, Vorsitzende des Senats 2. Allerdings sei es an jenem Tag zu einem Serverausfall gekommen, wodurch die beanstandeten Videos nicht oder nicht vollständig auf oe24.at liefen.

Der Senat 2 kam dennoch zu der Entscheidung, dass oe24.at der Ehrenkodex-Verstoß anzurechnen ist. "Wenn ich die Inhalte vorbehaltlos übernehme, dann muss ich für diese auch gerade stehen. Ein Serverausfall ist keine medienethische Entscheidung, die Videos nicht zu bringen, sondern war technischer Überlastung geschuldet", sagte Komar.

Austrittsdrohung

Oe24.at-Geschäftsführer und "Österreich"-Herausgeber Wolfgang Fellner sprach daraufhin von einem "totalen Fehlurteil" des Presserats und kündigte rechtliche Schritte an, sollte der Presserat die Entscheidung nicht zurückziehen. Auch überlegte er, die Schiedsgerichtsbarkeit des Selbstkontrollorgans nicht länger anzuerkennen.

"Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht und stehen zu dieser. Wir werden sie nicht zurücknehmen", so Warzilek. Eine Klage sei bisher nicht eingegangen und oe24.at nicht ausgetreten. "Es wäre schade, wenn wir sie verlieren", meinte der Presserat-Geschäftsführer.

Danach gefragt, ob die Entscheidung nicht dazu Anlass geben könnte, den Zuständigkeitsbereich des Presserats auszuweiten, zeigte sich Warzilek gesprächsbereit: "Es gibt Beispiele aus anderen Ländern, wo Presseräte für alle Mediengattungen zuständig sind. Das ist eine interessenspolitische Frage. Ich bin durchaus offen für Diskussionen."

 

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