Stiftungsrat: Neue Regeln für die Bestellung des ORF-Generals?
Stiftungsratschef Lederer will eine nächste ORF-Führung mit einem „starken programmlichen Willen“.
„Eine Richtungsentscheidung – fürs Publikum und für das Unternehmen“, sieht Heinz Lederer in der Neubestellung der ORF-Geschäftsführung im Sommer 2026. „Wir wollen die besten Köpfe für den ORF und damit fürs österreichische Publikum“, erklärt der Vorsitzende des Stiftungsrats.
Der 62-Jährige hat die Suche nach dem nächsten ORF-Chef am Küniglberg zu verantworten und legt abseits gesetzlicher Vorgaben die Spielregeln fest – und die werden sich ändern. „Die Ausschreibungen werden sicher keine Fortschreibung“ dessen, was bisher üblich war, sagt Lederer. Er will „sehr klare Anforderungsprofile“ und führt bereits „sehr ruhig und sehr unaufgeregt mit vielen, die sich interessieren, Gespräche.“
Lederer rechnet mit regem Interesse: „Der ORF ist ein sehr attraktiver Arbeitgeber, der im europäischen Vergleich sehr gut dasteht.“
Das könnte sich aber etwas abkühlen. Denn für den Stiftungsratschef ist u. a. ein „zentraler Punkt: Ich möchte eine Cooling-off-Phase für jene Kandidatinnen und Kandidaten, die direkt aus anderen Medien-Unternehmen in die ORF-Führung wechseln wollen.“ Details würden noch geprüft. Auch das Thema Mitarbeiterführung sei ihm, nicht nur am Küniglberg, wichtig.
Keine Überraschungscoups von Stiftungsräten bei den Bewerbungen
Von der nächsten ORF-Führung – „das kann auch die alte sein, das wird sich weisen“ – fordert der SPÖ-Freundeskreisleiter einen „starken programmlichen Willen. Denn das ist, was das Publikum interessiert: Programm, Programm, Programm.“ Das sei auch im Wettbewerb etwa mit Tech-Giganten wegweisend.
Lederer erwartet, dass ORF-Chef-Kandidaten ihre wichtigsten Team-Player frühzeitig offenlegen. Der ORF brauche eine Führung, die „Plug and Play, sofort liefern kann“ und Multimedialität und Digitalaffinität widerspiegle.
Kritisch sieht er mögliche Bewerbungen von Stiftungsräten: „Überraschungscoups“ hätten für ihn einen „gewissen Hautgout“; er erwarte hier „frühzeitige Klarheit“.
Keine Preisgabe des Landes an Digital-Oligarchen
Just im „Wahljahr“ will die Politik den öffentlich-rechtlichen Auftrag und damit die Geschäftsgrundlage des ORF diskutieren. Medienminister Andreas Babler (SPÖ) plant für den Spätsommer einen Konvent, die Neos eine Bürgerbeteiligung.
Lederer will, dass nach "substanziellen Änderungen im Gesetz" der ORF mit privaten Qualitätsmedien intensiver koopieren kann
Bestellt
Die neue ORF-Geschäftsführung wird am 11. August gekürt. Am 24. September stimmen 35 Stiftungsräte über weitere Direktoren und neun Landesdirektoren auf Vorschlag des künftigen ORF-Chefs ab.
Abgeholt
Laut einer Nebenabsprache zum Koalitionsvertrag darf die ÖVP den ORF-Generaldirektor sowie Direktoren für Finanzen und Technik vorschlagen, die SPÖ jene für Programm und Radio. Ob es so kommt, wird am Koalitionsklima und den Kandidaten liegen.
Den Startschuss geben wird aber ein weiterer „Future Day“ des Stiftungsrats. Lederer will „den öffentlich-rechtlichen Auftrag resilienter machen, damit der ORF auf zukünftige Herausforderungen reagieren kann.“ Eine Beschneidung von dessen Möglichkeiten lehnt er strikt ab: „Das käme in Zeiten von Deepfake und Digital-Oligarchen einer Preisgabe des Landes gleich.“
Erreichen will Lederer hingegen „substanzielle Änderungen im ORF-Gesetz“, die ein „Zusammenspiel mit weiteren österreichischen Marktteilnehmern erlauben.“ Neben Kooperationen im Werbebereich schwebt ihm programmlich eine „wirklich österreichische Plattform fürs Publikum“ vor – gemeinsam „mit ServusTV und weiteren heimischen Qualitätsmedien.“ Das wäre dann wohl der ORF-Abschied von der ProSieben-Plattform Joyn.
Der aktuellen Geschäftsführung unter Roland Weißmann attestiert Lederer „vieles auf der Habenseite“, etwa die Absicherung der Finanzierung und den Ethikkodex für Mitarbeiter. Doch er merkt lakonisch an: „Das Bessere ist bekanntlich der Tod des Guten.“ Dem Stiftungsrat wiederum sei es „gelungen, das Mindsetting im ORF erheblich zu verändern.“ Darauf, dass die Zeit bis zur Wahl „kein Interregnum“ wird, will er achten: „Es braucht weiter Vollgas.“
Lügner und Diktator
Die jüngste Stiftungsratssitzung war von Verbalattacken von FPÖ-Vertreter Peter Westenthaler geprägt, Worte wie „Lügner“ und „Diktator“ fielen. Das sei „respektlos“, sagt Lederer. Ein Gespräch mit ihm dazu werde er noch führen. Trotzdem könne man nicht in Bausch und Bogen verdammen, was dieser inhaltlich einbringe.
„Sicher keine Anlassgesetzgebung“ soll die 2026 geplante Reform der Geschäftsordnung bringen, betont Lederer. Es geht ihm um Effizienz: „Der Stiftungsrat ist gesetzlich einem Aufsichtsrat nachgebildet und nicht ein Mini-Parlament, er ist ein Arbeitsgremium und kein Debattierklub.“
Trotz laufender Beschwerden bei der Medienbehörde bezüglich der Rechtmäßigkeit der Gremienzusammensetzung sowie Klagsdrohungen Westenthalers gibt sich Lederer gelassen. Auf die Suche nach der nächsten Geschäftsführung habe das keinen negativen Einfluss, ist der rote Stiftungsrat überzeugt.
Stiftungsratschef Lederer will eine möglichst breiten Unterstützung im Gremium für die nächste ORF-Geschäftsführung anstoßen
Interview mit dem Vorsitzenden des ORF-Stiftungsrats und SPÖ-Vertreter Heinz Lederer im O-Ton:
Cooling-off-Phase, Westenthaler und der lange Weg zu einem ORF-Chef
Die letzte Stiftungsratssitzung hat ziemliche Aufregung verursacht durch die Verbalattacken von FPÖ-Stiftungsrat Peter Westenthaler gegen weitere Mitglieder. Formulierungen wie „Bist du noch ganz dicht“, „Diktator“, „Lügner“ etc. sind da dem Vernehmen nach gefallen. Sie wollten das Gespräch mit ihm suchen – hat das stattgefunden? Sind die roten Linien im ORF-Aufsichtsrat nun klar?
Man muss das in einem größeren Konnex sehen. Ich weiß, Oppositionsarbeit, wenn man es so sehen will, ist harte Arbeit - ich kenne das aus eigener, jahrelanger Erfahrung. Es ist ja nicht alles falsch oder schlecht, was Peter Westenthaler sagt und macht. Wir haben gemeinsam etwa wiederholt die OBS-Problematik thematisiert, bis Lösungsschritte gesetzt wurden. Ich kenne ihn schon lange und das Gespräch wird stattfinden, weil die Ausdrucksweise respektlos ist. Wie soll da noch Aufsichtsratsarbeit stattfinden? Trotzdem kann man nicht alles in Bausch und Bogen verdammen, was er inhaltlich einbringt.
Und wenn man etwas zurückblickt, es gab immer wieder harte Ansagen im Stiftungsrat oder aus dem Stiftungsrat heraus. Ich erinnere an FPÖ-Vertreter Norbert Steger, wie er als Vorsitzender die ORF-Journalisten attackiert hat und Armin Wolf persönlich. Oder der frühere ÖVP-Vertreter Thomas Zach, wenn er Alexander Wrabetz angegangen ist. Was aber stimmt, das ist schon eine sehr radikale Sprache und wenn man das in dem Gremium fortschreibt, wo soll das enden?
Der Stiftungsrat wird ja seine Geschäftsordnung ändern, modernisieren. Vielleich muss man, wie im Parlament auch, so etwas wie Ordnungsrufe einführen? So mancher Stiftungsrat hat sich zuletzt schon gefragt, wie dieser Stil zu einem Ehrenamt passt. Es sollen deshalb Stiftungsräte während Westenthalers Tiraden die Sitzung verlassen haben.
Wer mich kennt, weiß, dass ich sicher keine Anlassgesetzgebung - in diesem Fall eine Geschäftsordnungsänderung - mache. Es haben alle, auch Westentaler, die Idee einer Reform eingebracht. Dem stehe ich sehr offen gegenüber. Denn ich glaube auch, dass wir mehr Effizienz im Stiftungsrat brauchen.
Ich kann mir etwa vorstellen, dass man sich wie im Parlament auf Redezeitvorgaben einigt. Das heißt auch, dass man nicht jede Diskussion, die man im Finanz- und im Programmausschuss geführt hat, im Stiftungsratsplenum nochmals wiederholt. Jede und jeder kann in den Ausschüssen bereits die Meinung sagen. Jede und Jeder hat damit das volle Rederecht.
Aber ein Grundkonsens muss einfach sein: Der Stiftungsrat ist gesetzlich einem Aufsichtsrat nachgebildet mit Rechten und Pflichten und nicht ein Mini-Parlament, er ist ein Arbeitsgremium und kein Debattierklub. Wenn es um die Sache geht, um schwierige Entscheidungen, dann hat sicher jedes Stiftungsratsmitglied genügend Zeit.
Teil dieser Auseinandersetzung war auch die erneute Bestätigung der bisherigen Beschlüsse des Stiftungsrats inklusive ihrer Wahl als Vorsitzender. Westenthaler hat sie beim ersten Mal nach Verzögerungstaktik gewählt, jetzt nicht mehr. Er hat Klagen angekündigt bei Zivilgerichten. Wie steht es um die rechtskonforme Zusammensetzung des obersten ORF-Gremiums, wie um die Rechtssicherheit? Im Sommer 2026 soll die nächste ORF-Geschäftsführung bestellt werden.
Um Gertrude Aubauer und Beatrix Karl die Ehre zu geben, sie haben allein schon auf den Anschein eines Verstoßes gegen das ORF-Gesetz reagiert. Sie haben sich selbst aus dem Publikumsrat zurückgezogen und nie am Stiftungsrat teilgenommen, obwohl Aubauer später sogar vom Verwaltungsgericht zugestanden bekommen hat, dass der Pensionistenverband keine Teilorganisation der ÖVP ist.
Die Regierung hat rasch eine Neubesetzung des Publikumsrats vorgenommen, der sich neu konstituiert und Entsendungen in die Stiftungsrat vorgenommen hat. Spätestens da ist, wenn man so will, die Gesetzmäßigkeit eingehalten und in der Folge die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse gegeben. Wir haben uns bei diesem Vorgehen entsprechend mit Juristen abgestimmt.
Wir sind schon länger mit zwei Beschwerden - vom Presseclub Concordia und der Universitäten-Konferenz – bei der KommAustria konfrontiert. Als Unabhängige Medienbehörde wird sie entscheiden, wann immer es so weit ist. Wir leben in einem Rechtsstaat, also steht auch Westenthaler der Weg vor Gericht frei, wenn er eine andere Rechtsmeinung hat. Geschehen ist das meines Wissens bislang nicht.
Was heißt das für die Bestellung der ORF-Führung im Sommer 2026?
Es ändert aus meiner Sicht gar nichts. Auch das Klima im 35-köpfigen Stiftungsrat beeinflusst das nicht. Für alle gilt, wie man in den Wald ruft, so kommt es zurück. Die FPÖ-Fraktion hat, den steirischen Landes-Stiftungsrat Thomas Prantner mitgerechnet, drei Stimmen - wenn man das so rechnen will, denn jeder Stiftungsrat für sich ist unabhängig. Einen Einfluss auf die Suche nach der nächsten Geschäftsführung und einer möglichst breiten Unterstützung im Gremium, die ich anstoßen will, sehe ich nicht.
Das Bessere ist der Tod des Guten
Der ORF hat 2026 hat neben vielen Programm-Highlights auch die Kür der Geschäftsführung zu stemmen. Wie bewerten Sie die bisherige Arbeit der aktuellen Geschäftsführung unter Roland Weißmann? Die Quoten sind sehr gut, ORF1 ist wiederauferstanden. Wirtschaftlich ist man durch die schwache Werbekonjunktur und gesetzlich vorgegebene Sparpakete unter Druck.
Auf der Haben-Seite dieser Generaldirektion steht sicher, dass man sich mit der Politik über die Haushaltsabgabe verständigt hat. Damit ist eine Finanzierungsregelung gefunden, die dem ORF, hoffentlich über 2029 hinaus, Absicherung und Unabhängigkeit bringt.
Als Punkt auf der Haben Seite sehe ich auch, dass, auch unter meinem Zutun, gemeinsam mit Privatsendern und Zeitungen eine Medienstandort-Initiative gestartet und damit eine enge, nachhaltige, resiliente Partnerschaft eingegangen wurde. Ein Ergebnis dessen ist bereits ein gemeinsame Rechtsbüro, das in Hinblick auf Algorithmen, EU-Richtlinien etc. bereits voll die Arbeit aufgenommen hat.
Das ist ein wichtiges Zeichen auch in Hinblick auf das, was noch bevorsteht, etwa eine Must-Carry- und Must-Be-Found-Regelung auf EU-Ebene durchzusetzen. Das soll gewährleisten, dass österreichische Sender und Inhalte auf Plattformen und TV-Geräten einfach zu finden sind und damit das Land Österreich – von Film und Serien bis Kultur und Politik - sichtbar bleibt. Wichtig halte ich noch, dass die OBS-Umstellung in Hinblick auf mehr Kundenfreundlichkeit doch geklappt hat und ein strenger Ethikkodex für die Mitarbeiter implementiert wurde. Also es gibt schon vieles auf der Habenseite - aber das Bessere ist bekanntlich immer der Tod des Guten.
Wie sollen „Bessere“ den Weg zum ORF finden?
Der ORF ist ein sehr attraktiver Arbeitgeber, der im europäischen Vergleich sehr gut dasteht. Also, ich führe sehr ruhig und sehr unaufgeregt mit vielen, die sich interessieren, Gespräche, ob sie hier eine Funktion einnehmen könnten. Ich gehe davon aus, dass es nach den Ausschreibungen im Sommer, die von mir als Vorsitzenden entlang gesetzlicher Vorgaben zu veranlassen sind, viele Bewerbungen geben wird. - aus dem Haus, aus Österreich, auch aus anderen Ländern. Wir wollen die besten Köpfe für den ORF und damit fürs österreichische Publikum, das auch künftig ein attraktives Angebot haben soll. Am Ende des Tages, bei der Abstimmung, bin ich nur einer von 35 Stiftungsräten.
Was es bis jetzt nicht gibt, ist eine multimediale Aufstellung der Geschäftsführung. In den Ebenen darunter – bei Information, Sport, Wissenschaft etc. – ist das sehr wohl schon so. Hier wird gleichermaßen für TV, Radio, Online, digital gedacht und produziert. Ist eine solche multimediale Struktur der Führung nicht eine Grundvoraussetzung?
Ja, das wird so sein. Ich finde es in den Gesprächen, die ich führe, natürlich auch interessant, welche Strategien und Zukunftsperspektiven manche Kandidatinnen und Kandidaten sich für den ORF überlegen, wohin die Entwicklung bei welchen Geschäftsfeldern gehen soll und auch welche Aufstellung die Direktionen haben sollen.
Diese Aufstellung der Direktionen sollte doch wohl von der Geschäftsführerin bzw. dem Geschäftsführer kommen.
Dass es der Alleingeschäftsführung obliegt, ändert ja nichts daran, dass es einen Aufsichtsrat interessieren sollte, wie Entwicklungen in diesem Geschäft laufen. Und natürlich muss es einen sehr starken multimedialen Fokus in den Bewerbungen geben.
Abkühlphase für Bewerber aus anderen Medien-Unternehmen
Was sind für Sie noch wichtige Punkte der Ausschreibungen?
Ein zentraler Punkt ist u. a.: Ich möchte eine gewisse Cooling-Off-Phase für jene Kandidatinnen und Kandidaten, die direkt aus anderen Medien-Unternehmen in die Führung des ORF wechseln wollen.
Das ist ungewöhnlich, wozu das und was schwebt Ihnen da vor? 3 Monate? 6 Monate?
Ich berate mich da gerade mit Experten und Expertinnen sehr intensiv, auch in rechtlicher Hinsicht und bin noch zu keiner abschließenden Meinung gekommen.
Als entscheidend sehe ich an, dass es in der nächsten Führung des ORF einen neuen starken programmlichen Willen gibt. Das ist das, was das Publikum interessiert: Programm, Programm, Programm. Das ist für den ORF auch Weg weisend im immer breiter werden Konkurrenzkampf, etwa mit Plattformen und Tech-Giganten. Der ORF muss einen Level erreichen, auf dem er Formate, etwa im Entertainment-Bereich, entwickelt, die auch international verkaufbar sind.
Als wichtige Anforderung sehe ich deshalb auch eine hohe Technik- und Digitalaffinität und das Thema Mitarbeiterführung an. In den vergangenen Monaten sind da immer wieder Fälle vor Arbeitsgerichten etc. abgehandelt worden. Aber dieses Thema geht über die Zentrale am Küniglberg hinaus.
Ich denke jedenfalls, dass die Ausschreibungen sehr klare Anforderungsprofile liefern werden. Auch wenn ich schon viele Gespräche geführt habe, bin ich noch nicht damit fertig. Die kommenden ORF-Wahl ist eine Richtungsentscheidung – fürs Publikum und für das Unternehmen.
Klar scheint damit zu sein, dass die Ausschreibungen nicht einfach eine Fortschreibung sein werden. Was sind die Überlegungen bezüglich öffentlicher Hearings?
Es werden die Ausschreibungen sicher keine Fortschreibung sein.
Und was Hearings betrifft: Ich werde nach der Ausschreibung definitiv andere, neue Formate der Präsentation der Kandidatinnen und Kandidaten vorschlagen. Ich will schon da eine stärkere Publikumsnähe, so möchte ich etwa auch Einladungen in die Bundesländer aussprechen. Ich will aber auch eine stärkere Präsentation vor den Mitarbeitern als bisher. Ich werde zudem sowohl den Finanzausschuss des Stiftungsrats als auch den Programmausschuss um eigene Sitzungen ersuchen, damit man sich dort intensiv sowohl mit den ökonomischen wie auch mit den programmlichen Qualitäten der Kandidatenriege auseinandersetzen kann – und dann erst die Stimme abgibt.
Und was den damit verbundenen Zeitaufwand betrifft: Es gibt zum Glück inzwischen moderne effiziente Kommunikationstechnologien. Den Kandidaten für die General- oder eine Landesdirektion kann man, denke ich, fairerweise eine gewisse Präsentationsdichte zumuten.
Wer ORF-Chef werden will, soll die wichtigsten Mitspieler in einem Direktorium vorab nennen
Werden Sie verlangen, dass eine Kandidatin oder ein Kandidat für die Generaldirektion sein Team bereits bekannt gibt?
Ich gehe davon aus, dass, wer auch immer sich der Abstimmung stellt, die wichtigsten Player im Team bekannt gibt. Auch wenn im gesetzlich vorgegebenen Ablauf der Bestellungen zunächst der Alleingeschäftsführer dran, ist klar, es braucht bei so einem Unternehmen mit 1,1 Milliarden Umsatz und 4.000 Mitarbeitern ein Führungsteam, das, Plug and Play, sofort liefern kann. Es ist also ohne Zweifel wichtig zu wissen, wer die Vorstellungen der nächsten Alleingeschäftsführung mit umsetzen soll.
Rechnen Sie damit, dass sich jemand aus dem Stiftungsrat für eine z. B. Landesdirektion bewirbt? Gesetzlich ist das möglich, wenn man nicht bei der Kür der Generaldirektion mitgestimmt hat.
Das ORF-Gesetz schließt das nicht aus. Aber es muss jeder und jedem klar sein, dass es da auch um das Ansehen des Gremiums geht. Da erwarte ich als Vorsitzender frühzeitig Klarheit. Ein „Überraschungscoup“ hätte für mich einen gewissen Hautgout.
Was auf die nächste Geschäftsführung zukommt: Just im ORF-Wahljahr will die Politik den öffentlich-rechtlichen Auftrag diskutieren. Medienminister Andreas Babler hat dazu eine Enquete angekündigt, die Neos eine Bürgerbeteiligung. Den Auftakt macht der Stiftungsrat selbst mit seinem nächsten „Future Day“. Mich beschleicht bei all dem große Skepsis.
Der Stiftungsrat wird noch im ersten Quartal mit dem Future Day den Startschuss für eine wirklich engagierte Diskussion geben, um den öffentlich-rechtlichen Auftrag weiterzuentwickeln. Ziel muss es sein, ihn resilienter zu machen, damit der ORF auf zukünftige Herausforderungen reagieren kann. Ich sehe also überhaupt keinen Grund, wie bei der SRG oder der BBC seine Möglichkeiten einzuschränken. Das käme in Zeiten von Deepfake und Digital-Oligarchen einer Preisgabe des Landes gleich.
Aber das heißt nicht, dass der ORF ein Solitär ist, so wichtig er mir natürlich ist. Denn am Medienmarkt und für Österreich spielen auch die privaten Qualitätsmedien eine wichtige Rolle. Da geht es um faire Marktbedingungen gegenüber den Big-Techs - was auch auf EU-Ebene noch viel stärker ins Bewusstsein rücken muss. Das muss auch beim geplanten Konvent, der von der Regierung initiiert im Herbst 2026 stattfinden soll, klargestellt werden.
Mit welchen Überlegungen gehen Sie an das Thema heran?
Ich denke etwa an substanzielle Änderungen im ORF-Gesetz, die dem ORF ein Zusammenspiel mit weiteren österreichischen Marktteilnehmern erlauben: Warum nicht darüber nachdenken, ob wir in Österreich im Online-Bereich eine gemeinsame Vermarktungsform finden können. Das könnte einen Mehrwert schaffen, von dem auch die anderen heimischen Marktteilnehmer profitieren würden. Auch bei der Radio-Werbung kann man solche Überlegungen anstellen.
Das Ziel muss sein, gemeinsam, größer und resilienter gegen ausländischen Konkurrenten anzutreten, wobei Private mit asymmetrischen Ausschüttungen beteiligt sein können. Ich denke überhaupt, dass wir mit dem Konvent den Mut haben sollten, auch eine wirklich österreichische Plattform fürs Publikum anzugehen.
Lederer denkt über eine "tatsächlich" österreichische Streaming-Plattform fürs Publikum nach
Das würde im TV-Bereich eine Abkehr des ORF von Joyn bedeuten?
Ziel soll sein, dass wir eine von den Nutzern her gedachte Österreich-Plattform schaffen, die diesen Namen tatsächlich verdient. Ich denken dabei auch an österreichische Free-TV-Anbieter, etwa ServusTV, und weitere heimische Qualitätsmedien. So eine Plattform ließe sich in Hinblick auf ihren Anspruch wie auch ökonomisch sehr gut darstellen – und sie befördert zudem den journalistischen Wettbewerb. Das, meine ich, sollte jedenfalls ein Diskussionsstrang im kommenden Jahr in Bezug auf den gemeinsamen Medienstandort und den öffentlich-rechtlichen Auftrag sein.
Mitzudenken wäre auch noch die frühere ORF-Sendertochter Blue Marble, die mit mehr Spielraum im digitalen Bereich agieren können sollte. Es ist das also ein weiteres Feld. Wir werden als Stiftungsrat für diesen öffentlich-rechtlichen Schwerpunkt 2026 noch Botschafter auswählen, die sich für die Sache Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Auftrags einsetzen werden.
Und was hat das Publikum davon?
Ich glaube, dass man in diesem Zusammenhang den Menschen noch viel deutlicher machen kann, was ihr ORF-Beitrag im wahrsten Sinn des Wortes beiträgt. Da ist natürlich das Programm des ORF, es geht aber darüber hinaus, und betrifft nicht zuletzt auch unsere österreichische Identität.
Ist das nicht etwas hochgegriffen?
Gerade 2026 eignet sich dafür hervorragend, weil sich hier Programm und Identität verbinden: Es gibt mit den Olympischen Spielen, dem Eurovision Song Contest und der Fußball-Weltmeisterschaft herausragende Ereignisse, die der Öffentlich-Rechtliche dem Publikum dank des ORF-Beitrags ins Haus liefern kann. Also dorthin, wo die Menschen mitfiebern, weil eben viele nicht live vor Ort dabei sein können.
Und das gilt erst recht für jene, die aus sozialen Gründen nicht die Haushaltsabgabe zahlen müssen – auch sie können an diesen Gemeinschaftserlebnissen teilhaben. Das halte ich für wirklich wichtig. Das betrifft Menschen in 400.000 Haushalten.
Was macht Sie so sicher, dass es am Ende nicht wieder eine Diskussion über die blaue orf.at-Seite wird und Wörter in Landesnachrichten gezählt werden?
Weil heute jedem klar ist, wohin das Werbegeld abfließt und wir alle das nur im Land halten können, wenn es ein entsprechendes Denken und gemeinsame Angebote gibt. Aber natürlich muss jeweils der journalistische Wettlauf um die besten Geschichten erhalten bleiben.
Änderungen im Mindset des ORF durch den Stiftungsrat
Wenn Sie, jetzt als Stiftungsratschef, zurückblicken auf dieses Jahr 2025, was waren für Sie wesentliche Punkte?
Ich meine, dass es gelungen ist, das Mindsetting im ORF erheblich zu verändern. Das mache ich daran fest, dass die OBS nun deutlich kundenfreundlicher ist und sich auch im ORF eine neue Fehlerkultur entwickelt hat. Man steht dazu, auch öffentlich, und man diskutiert das nicht vom hohen Ross herab – auch in der Information.
Aber ich meine auch, dass das Mindsetting unter einer neuen Generaldirektion sich noch stärker Richtung „Customer first“, also der Kunde als die Nummer 1, weiterentwickeln muss. Deshalb ist auch wichtig, dass die nächste ORF-Führung die programmliche Ader noch stärker zeigt.
Nicht zuletzt auch ORF-intern relevant ist der Ethikcodex, etwas, dass schon gemeinsam mit ÖVP-Stiftungsrat Thomas Zach angegangen und mit seinem Nachfolger Gregor Schütze weiterentwickelt worden ist. Das ist eine wichtige strukturelle Änderung, und auch eine Mindset-Änderung. Sie schließt, wie im Stiftungsrat verabschiedet, durch eine freiwillige Abgabe von „ORF-Stars“ solidarisches Handeln nach innen mit ein. Zur Mindset-Änderung gehört auch, dass die Zeit bis zur Neubestellung des ORF-Führung intern nicht als Interregnum gesehen werden darf. Darauf werde ich achten. Der ORF hat nichts zu verschenken, es braucht weiter Vollgas. Ich bin da aber frohen Mutes.
Der ORF wird sich bis 2029, weil es bis dahin keine Erhöhung des Beitrags gibt, zusammengerechnet nochmals eine halbe Milliarde irgendwo und irgendwie rausschneiden müssen. Das ist nicht Nichts und wird das Publikum merken.
Umso mehr ist Mut über das gesamte programmliche Spektrum hinweg notwendig. Das erwarte ich von einer neuen Geschäftsführung – das kann auch die alte sein -, das wird sich ja noch weisen. Deshalb muss die Devise sein, das Programm noch viel mehr von der Kundenseite zu denken.
In wirtschaftlichen harten Zeiten braucht es etwa mehr Hinwendung zu Wirtschaftsthemen und das nicht nur fokussiert auf einzelne Sendungen. Es braucht Flexibilität in der Programmierung – ein gutes Beispiel war das Finale der U17-WM, ein Millionenerfolg. Neue Wege auch im Entertainment-Bereich und in der Info, das wünsche ich mir.
Apropos Info: Auch in Hinblick auf die anstehenden Diskussionen über den öffentlich-rechtlichen Auftrag kann dieser Wunsch zwischen Reformgeist und Parteispielchen pendeln, insbesondere wenn es um die ORF-Information geht.
Wir sind ja auf einem guten Wege. Wir haben inzwischen „Das Gespräch“, den „ZIB Talk“ und auch die Daytime wird reformiert. Ich denke aber, es wäre noch mehr möglich. Ich meine damit, den öffentlich-rechtlichen Auftrag in der Information breiter und moderner anlegen, aber nicht ohne die journalistische Qualität, die unabdingbar ist, zu vernachlässigen. Auch den Mut für Konfrontationen und die Teilhabe des Publikums nicht scheuen. Der Weg ist begonnen, jetzt braucht es hier noch mehr und schnellere Schritte.
Danke für das Gespräch.
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