ORF-Talk zu Neuwahlen: Gleichzeitig reden, bis der Kasperl kommt

ORF-Talk zu Neuwahlen: Gleichzeitig reden, bis der Kasperl kommt
Regierungsparteien und Opposition debattierten bei "Im Zentrum" nicht nur über Wording-Fragen.

* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends *

 

Die Diskussionssendung "Im Zentrum“ hatte es diesen Sonntag mit Wortspielen.

„Die Reste aus beiden Welten - wählen oder weitermachen?“ war der Titel und Moderatorin Claudia Reiterer zitierte die Opposition in indirekter Rede - wie das auch hier im TV-Tagebuch Usus ist: „Alle Oppositionsparteien fordern, dass das Volk neu wählen darf, wer sie regiert. Diese Regierung würde in die Krise führen, statt durch die Krisen.“

Reiterer wollte zunächst vom 28. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker eigentlich wissen, ob er wie Nummer 27, Laura Sachslehner, der Meinung sei, dass die Grünen als Koalitionspartner zur „Belastung des bürgerlichen Weges“ geworden seien.

Eine Frage des Wordings

Stocker wollte lieber mit ORF-Bashing beginnen und zeigte sich „etwas überrascht, dass der ORF ein Wording übernommen hat - nämlich die Regierung führt in die Krise, nicht durch die Krise - das eigentlich vom Kollegen Leichtfried stammt.“

Reiterer berichtigt: „Sie wissen schon, dass das ein Satz war, dass das die Opposition so meint. Und das ist ja so.“

Stocker: „So hab’ ich’s nicht verstanden, aber lassen wir’s einmal so stehen …“

Reiterer konnte das natürlich nicht so stehen lassen, wiederholte etwas später aus ihrer Moderationskarte den oben zitierten Satz und ergänzte: „Also im Konjunktiv, nur zur Sicherheit.“

Stocker lachte nur noch. Seine Botschaft im ersten Statement war eigentlich kurz zusammengefasst: Meinungsumfragen und Vertrauenserhebnungen seien (Achtung, Konjunktiv!) kein Grund, eine Neuwahl auszurufen. Entscheidend sei, dass die Regierung eine gemeinsame Basis für die Arbeit habe, und die sei gegeben.

SPÖ-Klubobfrau-Stellvertreter (so wurde er vorgestellt) Jörg Leichtfried zog wiederum ein anderes Kriterium für eine Neuwahl heran: Die Arbeit der Regierung sei vor allem in Zusammenhang mit der Teuerung nicht zufriedenstellend. Anders als das eingangs von Reiterer indirekt zitierte Wording. denn: „Das ist ein sehr gutes Wording“, meinte er. Naturgemäß, es handelt sich ja um sein eigenes Wording.

Nur nicken

Kein Wording verlangte Reiterer bei der Frage „Transparenz auf allen Ebenen“, ein Kopfnicken der Vertreter und Vertreterinnen der Oppositionsparteien würde ihr reichen. Das sorgte für Erheiterung.

Sie sah auch einen Widerspruch darin, dass alle Oppositionsparteien die ÖVP für "nicht regierungsfähig und/oder korrupt halten, aber gleichzeitig eine Koalition mit der ÖVP nach Neuwahlen nicht ausschließen“.

Leichtfried sah hier keinen Widerspruch, zuerst müsste es einmal überhaupt zu Neuwahlen kommen.

Die stv. FPÖ-Bundesobfrau Marlene Svazek versprach ein klares Wording, aber erst für „ganz am Schluss“.

Reiterer: „Aber warum nicht jetzt? Weil am Schluss frag’ ich was anderes.“

Wieder allgemeine Erheiterung.

Svazek, amüsiert: „Am Schluss meines Statements, nicht ganz am Schluss.“

Wir wollen hier diesen epochalen Cliffhanger nicht so lange hängen lassen. Also kurz gefasst sagte Svazek: „Mit dieser ÖVP nicht.“

Womit sich die FPÖ schwertut

Aber die lange Einleitung dazu verdient doch noch Erwähnung. Svazek foulte zunächst einmal Stocker: „Sie sind ein bisschen weniger unterhaltsam als ihre Vorgängerin, Frau Sachslehner, aber inhaltlich sind sie schon auch ein bisschen skurril unterwegs.“

Und das hatte jetzt Pfeffer: „Wenn Sie sagen, Sie werden keine Neuwahlen ausrufen aufgrund von Umfragewerten, dann finde ich das sehr lustig, weil die ÖVP ja immer wieder aufgrund von Umfragewerten politisch agiert hat.“

Svazek wollte damit auf die Sache mit dem Beinschab-Tool hinaus.

Dass die Opposition Neuwahlen wolle, habe nichts mit Umfragen zu tun, sondern eben mit der Regierungsperformance und ÖVP-Skandalen. „Dass Sie keine Neuwahlen wollen, weil Sie auf Umfragewerte schauen, das versteh’ ich auch. Weil für Sie kann’s nur schlechter werden“, sagte Svazek süffisant in Richtung der Regierungsparteien.

Soweit so gut, was die treffenden Punchlines betrifft. Aber jetzt wurde das Wording aus dem Munde einer FPÖ-Politikerin etwas halsbrecherisch.

Svazek: „Ich tu mir sehr schwer als Freiheitliche, mit einer ÖVP zu koalieren, die wie Freiheitliche redet, teilweise.“

Was soll daran für Freiheitliche "schwer" sein?

Schlimm sei zudem, dass die ÖVP „wie Grüne“ agiere.

Das ist schon eher verständlich.

Und jetzt kommt’s:

Sie tue sich schwer mit einer ÖVP, „die leider durch und durch charakterliche Defizite aufweist, gerade, was Skrupel und Demut angeht“.

Da muss man die jüngere Parteigeschichte der FPÖ jetzt aber schon zur Gänze ausblenden, um das unfallfrei sagen zu können.

Wobei Svazek später argumentierte, die Blauen hätten hier entsprechende Selbstreinigungsprozesse durchgeführt. Das Wort „Ausschluss“ bestehe aus den Worten „Aus“ und „Schluss“. Dies habe die ÖVP in Sachen Sebastian Kurz und Anhang verabsäumt.

Die Wien-Keule

Für die Neos saß Wien-Chef Christoph Wiederkehr im Studio. Er sieht die Vertrauensebene - nämlich jene in der Bevölkerung - als etwas Essenzielles, besonders in schwierigen Zeiten. „Eine Regierung, die nur mehr mit sich selber beschäftigt ist, die kann die Probleme nicht mehr lösen“, meinte er. Demokratiepolitisch sei es „sinnvoll, dass eine Partei, die über Jahrzehnte an der Macht war, auch einmal Demut lernt.“

Auch die Opposition leide an schlechten Vertrauenswerten, gab Wiederkehr zu, „aber die ÖVP war jene Partei, die alle mitreißt.“

Stocker versuchte ein müdes Lächeln. Er warf Wiederkehr dann Abgehobenheit vor, weil die Neos gerne bestimmen würden, was die ÖVP zu tun habe. Er glaube, „dass das eine Entscheidung des Wählers ist.“

„Ja eben“, warf Wiederkehr ein, „dann lassen wir die Wähler sprechen.“

Stocker holte die Wien-Keule heraus: „Kümmern Sie sich um die Wiener Regierung, da haben Sie genug zu tun.“ Er wiederholte türkise Transparenzvorwürfe in der Causa Wien Energie.

Bei diesem Klein-Klein soll nicht unerwähnt bleiben, dass Stocker Svazeks Suada mit einem wesentlich eleganteren Wording gekontert hatte: „Dass sich die FPÖ schwertut, das weiß ich schon. Am schwersten tut sie sich mit dem Regieren, weil das haben wir miterlebt. Und sehr schwer tut sie sich offensichtlich auch mit der Erinnerung, denn auf Ibiza war nicht die ÖVP, das waren schon Ihre Proponenten.“

Das was dort besprochen worden sei, habe dann aber die ÖVP umgesetzt, spottete Svazek.

Grüner Rundumschlag

Bemerkenswert war das Wording der stv. Grünen Klubobfrau Meri Disoski, denn es ist wesentlich weniger verbindlich als etwas jenes von Klubchefin Sigrid Maurer. Und es ist im Gegensatz zu Nina Tomasellis grünem Wording aus dem ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss wiederum absolut koalitionstreu. Das geht so weit, dass Disoski in Stockers Wien-Bashing einstimmt und sagt: „Der Bürgermeister hat still und heimlich im Hinterzimmer selber entschieden, 1,4 Milliarden von A nach B zu schieben.“

Leichtfried: „Sie wissen selber, dass das nicht stimmt.“

Was die Freiheitlichen betrifft, erwähnte Disoski den aktuellen blauen Finanzskandal in Graz.

Die Kunst des trotzdem Weiterredens

Disoskis Wording zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie es, wenn einmal in Gang gesetzt, niemals unterbricht. Da können Svazek, Wiederkehr, Leichtfried und auch Reiterer sich einmengen - Disoski zieht es durch und spricht und spricht. Leider ist dadurch Vieles nicht zu verstehen. In Sachen Transparenz seien die Neos in Wien jedenfalls „als Tiger losgesprungen und als Bettvorleger gelandet“, meinte sie.

Reiterer versuchte, die Debattenkultur wiederherzustellen: „Jetzt waren wir beim Informationsfreiheitsgesetz - und Sie sind jetzt wieder auf die Opposition losgegangen.“

Disoski sah das anders. „Frau Reiterer, ich bin nicht auf die Opposition losgegangen (Leichtfried: „Der Eindruck ist schon ein bissl entstanden“), wir haben hier eine Umfrage, die sagt, 60 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher ist Anti-Korruption wichtig, und hier haben wir drei Parteien, die sagen, ja, für uns auch, aber sie agieren anders.“

Während dieses Satzes sprach nicht nur Leichtfried, sondern auch Reiterer und wahrscheinlich auch sonst noch jemand. Es wurde zunehmend schwierig, die einzelnen Wordings auseinander zu klauben.

In puncto Informationsfreiheitsgesetz entstand wieder einmal der Eindruck: Alle sind dafür, es sei sogar „ready to go“ (Disoski), aber dennoch hakt es an allen Ecken und Enden, vor allem auf Landes- und Gemeindeebene.

Thema ORF-Chats

Am Ende setzte Reiterer auf Transparenz, was das eigene Haus betrifft, und thematisierte die Chats, die auch ORF-TV-Chefredakteur Matthias Schrom in Erklärungsnot brachten.

Als Diskussionsthema leitete sie daraus ab, ob und wie der ORF in Zukunft entpolitisiert werden solle.

Was die berüchtigten „Sideletter“ betrifft (die etwa einen grünen Vorsitz im Stiftungsrat vorsahen, Anm.), zog sich Stocker auf den Standpunkt zurück, dass es in allen Regierungen Absprachen gegeben habe, nicht explizit zum ORF, aber überall, „wo Vorschlagsrechte auszuüben sind, das ist so.“

Chats belasten Chefredakteure

Außerdem seien diese Chats mit Thomas Schmid geführt worden, „der hat sehr viele Chats geführt.“ Er würde auch gerne die Chats sehen, die mit anderen Parteien geführt worden seien.

Jedenfalls leite er aus den Chats keinen Änderungsbedarf beim Stiftungsrat ab.

Kollegin Disoski meinte, dass die Grünen dort, wo sie zuständig seien - sie nannte die Justiz - für Entpolitisierung sorgen würden, „natürlich gibt es andere Bereiche, wo es auch dringend notwendig wäre, entsprechende Handlungen zu setzen.“

Leichtfried sieht „nicht unbedingt eine Frage der Entpolitisierung“. Er stößt sich mehr daran, dass die ÖVP trotz eines Wahlergebnisses von 37 Prozent de facto eine Zwei-Drittel-Mehrheit im wichtigsten Aufsichtsgremium des ORF habe. Hier sollten „die demokratischen Verhältnisse besser und klarer abgebildet werden“, meinte Leichtfried, „das wäre vielleicht einmal ein erster Schritt“.

„Mehr SPÖ“ wäre ihm also recht, warf Stocker ein. Leichtfried sagte, er habe „mehr Repräsentanz der echten Wahlergebnisse“ gemeint.

Wiederkehr sieht das wieder als klassische Proporz-Politik, er will „weg vom parteipolitischen Stiftungsrat“. Die Chats hätten gezeigt, dass es „in manchen Bereichen zu wenig Korrektheit und Distanz zur Politik gibt“.

Als Landespolitiker sprachen sich Wiederkehr und Svazek dann noch gegen eine Anhörungsrecht der Landeshauptleute bei der Besetzung der ORF-Landesdirektoren aus.

Die „nächtlichen SMS“ mit dem ehemaligen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache seien „optisch unglücklich“, meinte Svazek, aber es sei „etwas heuchlerisch“, die Debatte nur darauf aufzuhängen, wenn man betrachte, „was sich sonst noch im ORF abspielt.“

Letzte Fragen vor dem Kasperl

Abschließend wollte Reiterer noch klären, ob Schmid jetzt ÖVP-Mitglied ist, weil er auch diese Frage bei seinem Aufritt im U-Ausschuss nicht beantwortet hatte.

„Ich kann’s jetzt nicht sagen, ich hab’ auch nicht nachgeschaut, ob er ÖVP-Mitglied ist“, sagte Stocker.

„Wir können’s auch nicht sagen“, sagte Leichtfried.

Die abschließende Überleitung Reiterers: „Nach uns sehen Sie den Dok.Film „Kultfigur Kasperl - König der Narren“. Nein es geht in keiner Weise um Politik …“

Da musste Stocker knurren. Die Anspielung mag etwas hart gewesen sein, aber mitunter hat sich die Politik ein solches Wording tüchtig erarbeitet.

 

TIPP: Die Sendung zum Nachschauen

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