ORF-Radiochefin: "FM4 wird kein kommerzielles Privatradio"
Kürzlich ist der jüngste Sender der ORF-Radioflotte 26 Jahre alt geworden. Coronabedingt wurde dieses Jahr, ohne Gedränge, ausschließlich via Radio und online gefeiert. Dass einige Bands dafür Video-Sessions produzierten, soll eine von mehreren neuen, zukunftsweisenden Möglichkeiten sein, wenn es nach FM4-Senderchefin und ORF-Radiodirektorin Monika Eigensperger geht. Der Sender steht jedenfalls unter Reformdruck. Im Zuge der neuen ORF-Strategie "ORF 2025" soll die Positionierung des Senders überprüft werden.
Im Jahr 2025 wird FM4 dreißig Jahre alt. Menschen fühlen sich in diesem Alter oft zum ersten Mal richtig alt. Wie wird FM4 dann aussehen?
Monika Eigensperger: FM4 fühlt sich nicht alt, weil beständig neue junge Mitarbeiter/innen nachkommen, die mit neuen Zugängen viel zum Programm beitragen. FM4 ist ja nicht stillgestanden in den letzten Jahren, sondern hat sich kontinuierlich entwickelt und das wird auch in Zukunft notwendig sein. Denn natürlich verändern sich Hörgewohnheiten und die Art und Weise, wie man die Community erreicht. Untersuchungen zeigen, dass wir insbesondere junge, weltoffene, aktive, engagierte Menschen ansprechen, auch digitale Individualisten genannt. Gerade diese Menschen sind schwierig zu erreichen.
Wie soll das gelingen?Ziel ist es, eine 360-Grad-Medienplattform zu sein, wo wir auf unterschiedlichen Ausspielwegen durchaus auch unterschiedliche Zielgruppen noch besser ansprechen und erreichen können.
In den sozialen Medien sind wir trotz gesetzlicher Beschränkungen erfolgreich unterwegs. Es ist uns wichtig, dort auch gut recherchierte, fundiert aufbereitete und korrekte Informationen anzubieten – denn junge Menschen beziehen ihre Informationen oft aus Social Media. Wenn es ein neues ORF-Gesetz erlauben würde, etwa mit Online only oder Online first, unser Publikum noch mehr zu beteiligen, dann hätten wir zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten. Das gilt auch für Podcasts. Da haben wir einige neue gestartet und weitere in der Pipeline. Und wir wünschen uns, dass die Podcasts nicht nach 30 Tagen offline genommen werden müssen, denn das ist einfach nicht nutzerorientiert. Oder dass man Podcast-Angebote machen kann, die inhaltlich zwar von FM4 gemacht werden, aber nicht unbedingt als Radiosendung ausgestrahlt werden müssen. Denn ein Podcast ist ein anderes Medium mit anderen formalen Ansprüchen.
Selbst die jüngsten Hörer, die von Beginn an dabei waren, sind im Jahr 2025 bereits Mitte vierzig. Wie ist es um das nachgewachsene Publikum bestellt? Ist da noch Luft nach oben?
FM4 erreicht mit einem anspruchsvollen Radioprogramm immerhin wöchentlich rund eine Million Menschen. Mit unseren Online-Aktivitäten erreichen wir innerhalb der ORF-Angebote die jüngste Zielgruppe – im Altersdurchschnitt. Aber nur nach dem Alter zu clustern, halte ich nicht für sinnvoll. Es gibt durchaus auch 40-jährige weltoffene, neugierige, an neuen kulturellen Strömungen interessierte Menschen, die sich bei FM4 zuhause fühlen. Die beispielsweise genauso interessiert sind an den "Soundpark"-Sendungen wie unsere vielen jungen Hörer und Hörerinnen. Unser Anspruch ist weiterhin: Die Welt ist divers und das FM4-Team von einer großen Diversität geprägt, mehr als die Hälfte hat einen Migrationshintergrund. Die bringen natürlich andere Blickwinkel ein. Das trifft sich mit den Menschen, denen das ebenfalls wichtig ist. Das trifft sich weiters mit gebildeten Menschen, die in ihrer Achtsamkeit und ihrem Respekt im Umgang miteinander Diskriminierung in jeglicher Form ablehnen und wollen, dass eine Gesellschaft Brücken baut und nicht, was man auch sehr stark erlebt, Menschen gegeneinander ausspielt. Auch wenn junge Menschen älter werden, verlieren sie diese Ziele nicht aus den Augen. Wir freuen uns über diese Hörerinnen und Hörer und dass wir Heimat für diese Menschen geworden sind.
Im Dezember wurde eine neue ORF-Strategie für die Radios beschlossen. Bisher sind nur die Eckpunkte kommuniziert. Können Sie einen Einblick geben in die Pläne?
Bei dieser mittelfristigen Strategie geht es um die starke Betonung der Digitalisierung und der immer wichtiger werdenden neuen Ausspielwege. Da die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unserer Radios mehrmedial arbeiten – für Online, sie schreiben Texte, produzieren Videos –, haben sie auch immer im Hinterkopf: Wo erreicht dieser Inhalt am besten das Publikum im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten? Dieses Denken ist tief verankert in den Redaktionen. Daher gibt es auch keine Scheu vor neuen Ausspielwegen. Und der Weg wird zweifellos in diese Richtung gehen müssen, da die Angebotsvielfalt schon enorm ist und weiter zunehmen wird. Und viele Audioprodukte sind ja durchaus – mit Adaptionen, mit ausführlicheren Möglichkeiten – für Podcasts geeignet. Das ist sicher ein Weg, den wir konsequent fortsetzen werden. Wo wir, wenn der ORF Player gesetzlich ermöglicht wird, eine leicht anwendbare Plattform in Richtung spezialisierte Angebote wiederfinden.
Wie soll sich die Usability ändern?
Derzeit haben unsere Hörer und Hörerinnen die Möglichkeit, versäumte Sendungen sieben Tage on demand nachzuhören. Das setzt aber eine genaue Programmkenntnis voraus. Ein anderer Weg ist: Wir bieten allen – sowohl denen, die unsere Programme genau kennen, als auch anderen, die uns nicht so regelmäßig hören – Inhalte in großer Reichhaltigkeit an, in einer Bündelung, die der digitalen Welt entspricht und leicht auffindbar ist. In dieser Hinsicht ist es natürlich besonders schade, wenn viele Inhalte wieder offline müssen, obwohl sie nichts an Aktualität eingebüßt haben, und die Menschen sie noch immer hören wollen. Solche Dinge fließen in alle unsere Überlegungen ein; auch bei der zukünftigen Entwicklung von Produkten, wo es nicht mehr nur um die lineare Ausstrahlung geht, sondern darum, dass die Dinge, die von Interesse sind, auch dem Hörer – wenn ich bei dieser Bezeichnung bleibe – begegnen. In diese Richtung werden wir die Dinge weiterentwickeln.
Der Player soll schon diesen Sommer kommen, aber es gibt noch kein neues ORF-Gesetz. Könnte es sein, dass man auch ohne diese Neuerungen startet oder könnte in den nächsten Wochen Bewegung in die Dinge kommen?
Der ORF als öffentlich-rechtliches Medienhaus hält sich selbstverständlich an den gesetzlichen Rahmen. Die Vision des Players beinhaltet auch Materien, die eine Gesetzesadaption benötigen würden. Dies ist dann eine Entscheidung der Politik. Wir sind vorbereitet. Es ist klar, dass sich der ORF selbst überlegt, wie er sich in Zukunft aufstellen möchte und genau das ist Inhalt des Strategiepapiers des Generaldirektors. Und diese Überlegungen hat er bereits kundgetan und öffentlich gemacht.
Kurz nach dem Beschluss der neuen ORF-Strategie erklärte Generaldirektor Alexander Wrabetz, man müsse die Positionierung von FM4 überdenken. Das hat, nachdem es in den letzten Jahren immer wieder Spekulationen um den Sender gab, für weitere Verunsicherung gesorgt, bei treuen Hörern und vielleicht auch bei Mitarbeitern. Können Sie diese Verunsicherung nehmen?
Ich kann sagen: Es ist nicht daran gedacht, FM4 in einen kommerziellen Privatradiosender umzuwandeln. Es geht darum, dass FM4 zukunftsfit ist und für die künftigen Hör- und Nutzergewohnheiten der jüngeren Menschen noch optimaler aufgestellt wird. Es wird davon abhängen, welche Möglichkeiten wir gesetzlich haben werden und welche vorhandenen Möglichkeiten wir noch besser nützen können. Zweiteres kann man rasch umsetzen und bei Ersterem kann man schon jetzt kreative Ideen und Konzepte entwickeln und darauf warten, dass es dann auch möglich ist. Und das natürlich in enger Abstimmung mit der generellen Weiterentwicklung des ORF.
Im Zuge der Präsentation wurden die Marktanteile des Jugendsenders FM4 bei der Hörerschaft unter 50 (vier Prozent) mit jenen des doch älter positionierten Ö1 verglichen. Was sagen Sie dazu?
Es gab immer schon eine interessante Überschneidung von etwa einem Achtel der Hörer, die FM4 und Ö1 hören. Das sind oft Menschen, die ein ausgeprägtes Informationsbedürfnis haben ("Mittagsjournal"), aber in ihrer kulturellen Sozialisation bei FM4 zuhause sind. Wir wissen, dass FM4 im studentischen Milieu sehr stark ist, aber Ö1 auch. Dieser Austausch ist durchaus befruchtend. Im Sinne von Durchlässigkeit und Flexibilität bereiten unsere Mitarbeiter ihre Recherchen auch für die Ö1-Zielgruppe auf und vice versa. Der durchschnittliche Ö1-Hörer ist aber schon deutlich älter als der durchschnittliche FM4-Hörer. Aber ein Durchschnitt ist nicht aussagekräftig, wenn man feststellen möchte, ob man auch ältere oder jüngere Hörer hat. Und auch in der Ansprache unterscheiden sich die beiden Sender schon deutlich. Ö1-Hörer sind aber auch eine sehr aufgeschlossene Hörergruppe, die eintauchen will in Themen, die ihnen nicht so bekannt sind, aber über die sie auch Bescheid wissen wollen.
Wenn man hauptsächlich ein studentisches Milieu bedient, arbeitet man dann nicht an einer Zielgruppe vorbei, die vielleicht gerade seriöse Infos zum Beispiel über Corona-Mythen brauchen würde?
Alle ORF-Radios informieren seriös über Corona und erreichen damit auch sehr viele Menschen, der Marktanteil im Radiotest 2020_2 lag bei 75 Prozent. Wir wissen zum Beispiel aus der On-Demand-Auswertung, dass die Ö1-Journale besonders hohen Zuspruch haben. Dieses erhöhte Informationsbedürfnis decken die Hörer und Hörerinnen also nicht nur über das lineare Radiohören ab. Auch „Frag die Science Busters“ hat auf FM4 extrem gut funktioniert: Wissenschaft, humanistische Werte unterhaltsam aufbereitet. Schwierig ist es bei Menschen, die gar keine Medien mehr konsumieren, das betrifft alle Medienmacher gleichermaßen. Hier kann man versuchen, dass man in den sozialen Medien, wo teilweise wirklich desinformiert wird, mit Fakten dagegenhält.
Was ist konkret geplant?
Man weiß aus Untersuchungen, dass insbesondere Jugendliche unter dieser Corona-Situation sehr leiden. Zwei Drittel geben an, dass sie eine geringere Lebensqualität haben und ein beeinträchtigtes Wohlbefinden. Deshalb setzen wir zu diesem Thema ab 22. Februar eine Schwerpunktwoche auf Social Media, Online und selbstverständlich im Radio. Wir wollen informieren, direkter Ansprechpartner sein, einen Platz bieten zum Austausch. Im Netz gibt es viele Lebensberater mit leicht esoterischem Touch, die sich Jugendlichen anbieten. Hier wollen wir den Blick schärfen. Getreu unserem Slogan „You’re at home, Baby“, wollen wir jenen, die letztendlich viel mehr unter dieser Isolation und Einsamkeit leiden, eine Heimat bieten und einen Ausblick mit positiven Beispielen: Wie man besser durch diese Zeit kommt, mit allen Einschränkungen trotzdem Kontakte pflegen kann. Man sieht anhand der Schulschließungen, dass der Wegfall des Austauschs mit Gleichaltrigen besonders ins Gewicht fällt. Hier wollen wir mithelfen, dass sich Menschen mehr verstanden und aufgehoben fühlen.
In der Kritik steht zuweilen der relativ gesehen hohe finanzielle Aufwand von FM4 (siehe Analyse). Kann man sich hier immer nur auf den Public Value zurückziehen?
Wenn man Inhalte produziert, dann braucht man Menschen, die einen Beitrag gestalten, und das kostet Geld. Wenn man englischsprachige Nachrichten produziert, wie es im Gesetz steht, dann man braucht man eine – im Übrigen sehr kleine – englische Nachrichtenredaktion. Der öffentlich-rechtliche Auftrag inkludiert vieles – Information, Kultur, das Ansprechen gesellschaftspolitischer Themen, Unterhaltung, die Förderung österreichischer Künstler. Diesen Auftrag erfüllen alle unsere Radios. FM4 erfüllt ihn, wie gesetzlich festgelegt, überwiegend zweisprachig. Dies entspricht auch den Lebensrealitäten der Jugendlichen. Wenn man ihrer Diversität eine Stimme geben will, dann braucht man entsprechende Plattformen, wo sie sichtbar gemacht werden, wenn man sie ernst nimmt. Im europäischen Vergleich – EBU – liegen die ORF-Radios, was Reichweite und Marktanteil in verschiedenen Altersschichten betrifft, immer an der Spitze. Wir liegen in allen Kategorien auf Platz 1, und nur in einer ganz knapp auf dem zweiten Platz. Also ganz falsch aufgestellt ist unsere Radioflotte jetzt nicht, sonst gäbe es nicht diese Werte.
Aus Sicht der ORF-Radiomacher bietet die Gesamtlage wenig Grund, sich Sorgen zu machen: Die ORF-Radios dominieren auch Jahrzehnte nach dem Start der Privatradios in Österreich (1995 Antenne Steiermark, Radio Melody sowie 1998 weitere) den analogen Markt. Außer unter den Jungen: Bei den 12- bis 49-Jährigen gab es bisher die größten Verschiebungen. FM4 als Jugendradio rückt vor diesem Hintergrund auch wegen der vergleichbar hohen Kosten (14 Millionen kostet Ö3, zehn Millionen FM4) in den Fokus der ORF-Führung. Ö3 bleibt in seiner Ausrichtung ein klarer linearer Sender. Ö1 und FM4 hingegen fokussieren laut internen Analysen mit hohem Aufwand an Technik und Personal auf eine sich ähnelnde, kleine, „anspruchsvolle“, aber medienöffentlich gewichtige Zielgruppe. Sie böten damit das Ausgangspotenzial einer breiten Audio-Content-Plattform, die der ORF anpeilen könnte, sofern der Gesetzgeber mitspielt.
Handlungsbedarf ist jedenfalls evident: Die angepeilte Zielgruppe hat in fast allen Belangen bei neuen digitalen Konkurrenten wie Spotify ein attraktives und viel genutztes Angebot. Das gilt für Musik ebenso wie für Wortanteile.
Jede Operation an FM4 ist jedenfalls höchst heikel: Kein Sender weist eine ähnlich hohe Identifikation unter seinen Hörerinnen und Hörern auf. Außerdem muss der ORF, dessen Aufsichtsgremium derzeit von der ÖVP dominiert wird, danach trachten, keine Ideologiedebatte um FM4 vom Zaun zu brechen. Ein konservativeres Jugendradio wäre wohl die falsche Antwort.
Philipp Wilhelmer und Christoph Silber
Man hat den Eindruck, dass der Druck auf FM4 aus verschiedenen Richtungen doch stärker geworden ist. Es gibt auch konservative Stimmen, die sich eine inhaltliche Neupositionierung wünschen.
Ich sehe als Aufgabe für ein öffentlich-rechtliches Medium, einen fundamentalen Beitag zu leisten, um das Miteinander zu fördern. Und da geht es auch darum, dass sich Minderheiten aufgehoben fühlen sollen, die sonst keine Stimme haben, das sollte man nicht vergessen. Das ist ein wesentlicher Beitrag, den man nicht aus den Augen verlieren sollte, insbesondere als öffentlich-rechtliches Medium. Wenn man alles marktwirtschaftlich betrachten will, könnte man sagen, die täglichen 250.000 Hörer sind zu wenig. Wären wir in einem Land wie Deutschland, wären das 2,5 Millionen. Pluralität im Medienbereich halte ich für wichtig. Sicher könnten, wenn es weniger Medien gibt, die Menschen auch auf deutsche Medien zugreifen, aber deren Blick auf Österreich ist halt nicht sehr intensiv. Ich halte es auch für notwendig, in der Medienlandschaft auch spitzere Inhalte zu haben. Gerade bei den Jüngeren, gut gebildeten Menschen, und die erreicht FM4, ist es so, dass sie politisch sehr korrekt sind, und wenn eine Kleinigkeit passiert, entschuldigen sie sich schon auf Instagram und Facebook. Wenn man sich die jüngsten Abschiebungen ansieht: Es ist kein Zufall, dass junge Menschen auf die Straße gehen und für ihre Mitschüler protestieren. Sie beschäftigen sich auch intensiv mit der Klimafrage, mit der Zukunft des Planeten. Kennen wir das nicht alle aus der Jugendzeit? Junge Menschen wollen die Welt besser machen, vielleicht nicht alle, aber viele.
Ist auch vorstellbar, dass der Wortanteil im linearen Bereich sinken könnte und mehr im digitalen Bereich verfügbar ist? Ist vielleicht auch in der Ziehung, FM4 überhaupt nur noch digital auszuspielen, weil das der Lebenswelt Jugendlicher einfach mehr entspricht, sie dort abgeholt werden?
FM4 hat pro Woche mehr als eine Million Hörer. Dass man in Österreich mit einem Podcast regelmäßig so viele Menschen erreicht, wäre mir nicht bekannt. Die Frage, was auf welchem Ausspielkanal sinnvoll ist, ist jedoch eine Frage, die man sich stellen muss. Und es ist sicher keine Währung, die auf alle Ewigkeiten einbetoniert ist, sondern eine Sache der Beobachtung und des Ausprobierens. Was die Inhalte betrifft, die den Markenkern von FM4 berühren: Diese sind in allen Ausspielwegen gleich wichtig. Es wäre jetzt kontraproduktiv, das Gegenteil zu machen und keiner weiß mehr, wofür man steht. TikTok zum Beispiel wird von einer ganz jungen Zielgruppe genutzt. Wenn ich dort etwas mache, muss es besonders lustig, aufregend, spannend, innovativ sein, um die Menschen dort anzusprechen. Das ist nicht etwas, das man 1:1 im Radio machen kann, weil es eben ein anderes Kommunikationsmittel ist. Das Schöne an den sozialen Medien ist: Es ist ein Rückkanal. Natürlich kann man im Radio auch Leute ins Programm nehmen, die etwas zu sagen haben. Aber nicht alle, weil man sich sonst zu Tode quasselt und das will sich keiner anhören. Auch schon vor Corona war das Kommunikationsbedürfnis hoch. Interaktion halte ich dabei für etwas Entscheidendes. Das wird nicht an Bedeutung verlieren. Niemand beim Radio denkt mehr so: Ich sende und du empfängst. Wir befinden uns in einem ständigen Austausch. Auch in einer sehr diversen, differenzierten Gesellschaft. Das kann uns alle reicher machen. Wenn man den Blickwinkel ändert, bekommt man eine Erkenntnis, die einen auch persönlich weiterbringt.
Hat die Coronakrise einen Digitalisierungsschub gebracht?
Obwohl unsere Redakteure schon davor digital gearbeitet haben, hat es einen zusätzlichen Digitalisierungsschub gegeben, etwa bei der Ausstattung. Viele haben sich ein richtiges Heimstudio zusammengebastelt. Und in der schwierigen Situation Initiativen entwickelt. Aber die Sehnsucht, dass man sich – nach einer gewissen redaktionellen Trennung –, tatsächlich wieder sieht, sich austauschen und auch miteinander Schmäh führen kann, die ist natürlich riesengroß.
Stichwort „You're at home, Baby“: Haben Sie festgestellt, dass es seit dem Jahr 2020 einen geänderten Radiokonsum gibt? Ein Trend ist natürlich der Boom an Informationsinhalten. Gibt es aber auch ein Comeback des Küchenradios?
Viele Menschen hören über die App, über den Computer, Home Soundsysteme, Alexa und Co. Das müsste man in Umfragen auswerten. Was ich über den Stream sagen kann: Da waren mehr Leute dran als sonst. Wie sich das im Radiotest auswirkt, kann ich noch nicht sagen.
FM4 und Ö1 sind mit ihrem höheren Wortanteil wahrscheinlich besser geeignet dafür, einen Schwerpunkt auf Podcasts und andere On-Demand-Inhalte zu legen. Aber ist auch Ö3 Teil dieser Strategie?
Ja, auch Ö3 widmet sich diesem Thema, einzelne Mitarbeiter produzieren schon solche Inhalte, auch experimentell. Ö1 hat so viele groß produzierte Themensendungen, die von vornherein schon total Podcast-geeignet sind und mit überschaubarem Aufwand dafür verwendet werden können. Der Wortanteil bei Ö1 beträgt rund 50 Prozent. Vorige Woche sind fünf neue Podcasts dazugekommen. Wir lernen dazu. Die Frage ist aber: Wie misst man eigentlich einen Podcast? Noch gibt es keine einheitliche Währung für dieses Genre. Radiomachen wird weiter kreativ sein, mit interessanten Möglichkeiten. Man wird sehen, was funktioniert und was nicht.
Wie zufrieden waren Sie mit dem Online-FM4-Geburtstagsfest? War es nur ein aus der Not geborenes Ersatzprogramm oder hat es auch Erkenntnisse geliefert?
Das ist sehr gut angekommen, es gab unheimlich viel Feedback. Unser Stream hatte ein Drittel mehr Reichweite auf der Onlineseite an diesem Freitag – die Videos werden nach wie vor stark nachgefragt. Wir haben versucht das Beste daraus zu machen, dass wir nicht Off-Air feiern konnten. Da Veranstaltungen im letzten Jahr kaum möglich waren, ist es uns wichtig, den Musikern, die keine Liveauftrittsmöglichkeiten haben, und der Clubszene, die darniederliegt, verstärkt eine Heimat zu geben. Wir wollen der Fülle der Neuerscheinungen noch mehr Platz geben mit unterschiedlichsten Initiativen. So haben wir den bei FM4 ohnehin hohen Anteil österreichischer Musik im vergangenen Jahr auf rund 45 Prozent gesteigert. Viele Bands haben eigene Videos für das Geburtstagsfest produziert, mit exklusiven Inhalten. Viele haben betont, wie wichtig FM4 für sie ist, gerade auch in dieser für sie schwierigen Zeit.
Die Gratulationsvideos, ein sehr exklusiver Content, sind die – anders, als andere Inhalte – länger als sieben Tage online?
Ja. Die Unterstützung österreichischer Musik fällt unter den Paragraphen 4f, diese Videos dürfen länger online sein.
FM4 ist jetzt mehr als ein Jahr am Küniglberg zuhause, aber musste dann gleich unter schwierigen Umständen arbeiten. Wie war das atmosphärisch und sind Sie mit dem Umzug im Plan?
Am Küniglberg, der Heimat aller Sender und des neu geschaffenen Newsroom wird, entsteht ein Medienhaus, das den Anspruch hat, gemeinsames Arbeiten an Inhalten und eine engere Zusammenarbeit zu ermöglichen. Wir sind im Plan, was das Gesamtprojekt betrifft, vorbehaltlich, dass man so weiterarbeiten kann wie geplant und nichts Unkalkulierbares, Schlimmeres passiert. Der Umzug von FM4 hat gut funktioniert und die Mitarbeiter haben ihr neues Arbeitsumfeld gut aufgenommen, weil es auch technologisch ein Schritt nach vorne war. Wir drehen zum Beispiel jetzt auch Videos mit Künstlern direkt vor Ort. Die FM4-Mitarbeiter/innen haben diesen Ort zu ihrem Ort gemacht. Die Corona-Ausnahmesituation mit getrennten Teams und verringerter Anwesenheit dauert jetzt schon länger als der Normalbetrieb, der seit dem Umzug stattgefunden hat. Umso großartiger finde ich, dass die Mannschaft innerhalb von ein paar Tagen den Hebel umgelegt hat und sich auch mit dieser Situation zurechtgefunden und neu aufgestellt hat. Jede Einzelne und jeder Einzelne hat einen wichtigen Beitrag geleistet und alle haben an einem Strang gezogen.
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