MR-Film-Produzent Auspitz: „Österreich ist wieder konkurrenzfähig“
Den Hang zum Ungewöhnlichen lebt die Wiener MR Film derzeit gleich zweifach aus: Im Kino lässt sie mit der Action-Gangster-Komödie „Hades – Eine (fast) wahre Geschichte“ gerade ein Genre auferstehen, „das es in Österreich so fast nicht gibt“, sagt Produzent Oliver Auspitz. Mit Uli Brées „Biester“ gibt man wiederum dem soeben gestarteten Streamer ORF On einen Schub – und erfüllt dem Autor und sich selbst „den Traum einer Serie über junge weibliche Menschen, die auch von genau diesen jungen weiblichen Menschen geschaut wird. Das ist allerdings eine Herausforderung.“
Das beides gerade jetzt zu sehen ist, hat seinen Grund: das neue Fördermodell für den Filmstandort Österreich, um das heimische Produzenten mit Schwarz-Grün intensiv gerungen haben.
Rückholaktion
„Die neue Fördersituation ist die Grundlage dafür, dass wir über die genannten Produktionen überhaupt reden können“, betont Auspitz. Sie sei die Basis für mögliche Fortsetzungen und nächste Staffeln von z. B. „Biester“ oder auch der ORF-Co-Produktion mit der ARD-Mediathek, „Tage, die es nie gab“. „Mit den neuen Förderungen haben wir ,Vienna Blood’ an den Produktionsstandort Österreich und Wien zurückholen können.“ Zuvor wurde vor allem in Tschechien gedreht. Es mache das nicht nur in TV und Streaming, sondern auch im Kino, „wo wir verstärkt reingehen wollen“, viel Neues möglich, sagt der 48-Jährige.
Der erste Schritt für die MR Film zurück auf die große Leinwand ist „Hades“. „Was Andreas Kopriva inszeniert hat und der prominent besetzte Cast spielt, macht große Freude. Die Kritiken vorab waren gut. Jetzt hoffen wir aufs Publikum. In jeden Fall macht es Lust auf mehr auch im Kino-Bereich“, so Auspitz.
In Sachen Fernsehen ist die MR Film hierzulande ohnehin eine fixe Größe. Als Teil der neuen Gamma Film, deren Geschäftsführer Auspitz ebenfalls ist, gehört man zu Jan Mojtos Münchner Produktions- und Vertriebsgruppe, einem Big Player des internationalen Film- und TV-Geschäfts. Die Gamma soll von Wien aus vor allem den osteuropäischen Markt bearbeiten und vereinigt sämtliche Produktions- und Service-Produktionsfirmen der Gruppe, die in Österreich und dessen Umfeld – Italien eingeschlossen – aktiv sind. „Aber Österreich ist nun als Produktionsstandort konkurrenzfähig. Das hat den osteuropäischen Markt etwas verändert. Es hat zufolge, dass die Gamma Film sogar mehr in Österreich aktiv ist als in Osteuropa“, erklärt Auspitz.
Seine Bilanz: Die neuen Förderungen hätten im ersten Jahr vor allem die österreichische Co-Produktion nach außen hin gestärkt. „Natürlich kommen auch große internationale Service-Produktionen nach Österreich, was aufgrund der Ausgaben hier einiges für die heimische Wirtschaft und den Fremdenverkehr bedeutet“, sagt der Produzent. Es gehe sich beides nebeneinander ganz gut aus und „befruchtet natürlich auch unsere Arbeit“. Dass nun Film-Studios in Wien entstehen, „ist ohne Zweifel ein weiterer richtiger und wichtiger Schritt“.
Neue Projekte
Bei der MR Film arbeitet man derzeit an neuen Büchern für die internationale Serie „Vienna Blood“ mit Juergen Maurer, um die es Einstellungsgerüchte gab. „ Wir sind mit unseren internationalen Partnern zum Schluss gekommen, dass es da sehr wohl noch Potenzial gibt“, sagt Auspitz. Die Folgen der vierten Staffel seien im Rohschnitt sehr überzeugend gewesen. Das habe dem ganzen Projekt einen neuen Schub gegeben. Die Förderungen machten es zudem möglich, „dass wir eine Netflix-Serie in Entwicklung haben“. Details will und darf der MR Film-Produzent nicht nennen.
Es gibt Post für ServusTV
Auch fürs österreichische Privatfernsehen entwickelt man Neues: Für ServusTV ist eine Reihe, die aus 90-Minuten-Filmen bestehen wird, geplant. Der Arbeitstitel lautet „Christl von der Post“. Autor ist wie bei ,Biester“ Uli Brée. „Es wird eine Krimi-Reihe werden, in der eine junge Tirolerin Fälle lösen wird“, gibt Auspitz einen kleinen Einblick. Hauptdarstellerin soll Katharina Straßer sein. Gedreht wird jedenfalls 2024.
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Auch im regionalen Bereich ist man aktiv: hektar.com ist eine Multi-Channel-Plattform für die junge ländliche Bevölkerung. Neben der Gamma beteiligt ist u. a. Ex-Ministerin Elisabeth Köstinger. Auspitz: „Was vor 20 Jahren mit Koma-Saufen und dann mit ’Bauer sucht Frau’ abgehandelt wurde, nämlich der ländliche Raum und seine junge Bevölkerung, ist heute Start-up-Mentalität, Unternehmertum und coole Events.“ Auf Joyn ist man bereits zu sehen, vielleicht auch mal auf ORF On. Auspitz: „hektar hat Potenzial über Österreich hinaus.“
+++ INTERVIEW-LANGFASSUNG +++
Sind „Die Biester“ die Nachfolgerinnen der „Vorstadtweiber“? Der Autor ist gleich, die Produzenten auch. Ist die gleiche Seher-Klientel die Zielgruppe?
„Die Biester“ als Nachfolgerinnen der „Vorstadtweiber“ – in diese Richtung haben wir in der Entwicklung nie gedacht, von vornherein schon nicht. Was Uli Bree und auch uns als Produzenten fasziniert hat: Wir haben den Traum einer Serie über junge weibliche Menschen, die auch von genau diesen jungen weiblichen Menschen geschaut wird. Das ist eine Herausforderung und es gibt nur wenige Beispiele, bei denen das gelungen ist. Ich denke da an „Euphoria“ oder auch „Baby“.
Für eine Coming-Of-Age-Serie braucht es die Erfahrungswelt von jungen Menschen.
Der erste Reflex wäre zu sagen, dass so etwas von jungen Menschen geschrieben, vielleicht sogar produziert, aber jedenfalls auch gespielt werden muss, um erfolgreich sein zu können. Das glaube ich per se nicht. Viel wichtiger ist, dass die Mischung stimmt. Da passt dann auch ein Autor, der Lebenserfahrung hat und zudem offen ist, für das was, junge Menschen beschäftigt, sie an- und umtreibt. Das ist Uli Bree und er kennt das auch deshalb gut, weil er eine Tochter in den Mit-Zwanzigern hat, die sich in einer kreativen Welt umtut. All seine Erfahrungen und Wahrnehmungen dazu stecken in „Die Biester“. Der Titel ist gar nicht abwertend gemeint – das sind alles junge Frauen, die wissen, was sie wollen und auch, was sie nicht wollen. Das ist das eine. Das andere ist: Das Ganze ist sozusagen gewürzt mit dem Phänomen, dass uns in Österreich zunehmend die Mittelschicht abhanden kommt. Immer öfter treffen einander Menschen oder kennen einander Menschen, bei denen der eine nicht weiß, wie er die nächste Rate zahlen soll, während der andere auf Urlaub auf die Malediven fliegt oder das nächste neue Auto kauft. Diese junge Lebenswelt eingebettet in eine solche gesellschaftliche Entwicklung ist der Stoff, aus dem „Die Biester“ gemacht sind.
Ist das, wie so oft, eine Co-Produktion?
Nein, das ist eine ORF-Auftragsproduktion, wie das auch schon bei den „Vorstadtweibern“ der Fall war. Das ist ein großer Vertrauensbeweis für uns alle, dass der ORF hier sagt: Do it again.
„Die Biester“ ist auf ORF On gestartet und kommt ins lineare Fernsehen erst später. Da darf der ORF in seiner Entwicklung erst sehr spät nachziehen, was mittlerweile Standard für Mediennutzer ist. Was ändert das für euch Produzenten – ändert es überhaupt etwas. Ihr kennt Situation ja schon von internationalen Streamern oder auch Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland?
Es ist wirklich Zeit für den ORF geworden, dass er nun ORF On starten durfte. Er ist wohl der letzte Öffentlich-Rechtliche in Europa, dem eine solche Plattform gesetzlich untersagt war. Damit hat man auch den ORF-Nutzern Service vorenthalten. Dass nun die Plattform ORF On gestartet ist, ändert natürlich einiges in der Art, wie man Geschichten erzählt und welche man erzählt. Das bedeutet auch eine große Umstellung für die zuständigen Redakteure, die in ihrer Arbeit immer digital mit- oder sogar zuerst denken müssen. Für uns ist das nicht ganz neu, weil wir mit z. B. „Tage, die es nie gab“ bereits einen Mediatheken-Stoff bei der ARD haben oder auch mit „Vienna Blood“, was am BBC-Player stärker läuft, als in der linearen Ausstrahlung. Es zeigt das zunächst, dass sich das Nutzungsverhalten schon sehr radikal verändert hat. Eine vor allem aufs lineare Publikum ausgerichtete Serie kann nur noch ganz segmentiert eingesetzt werden. Das betrifft dann vor allem ein älteres Publikum, das bereit ist, sich jede Woche zur selben Zeit vor dem Fernseher einzufinden. Dafür braucht es den richtigen Stoff. Ein Beispiel dafür sind etwa die „Rosenheim Cops“. Aber für alle anderen muss man primär die Streaming-Plattform bedienen.
Dort herrschen andere Gesetze?
Das war der große Irrglaube zu Beginn, als man meinte, man spielt dort einfach das gleiche aus, wie fürs TV-Publikum. Das funktioniert so nicht. Plattformen bespielt man anders. Dort sind Tempo, Niveau, Stoffe anders. Und darauf müssen wir Produzenten schon in der Entwicklung fokussieren.
Sie sprachen zuvor „Vienna Blood“ an. Ist es so, wie es heißt, dass diese internationale Krimi-Serie mit Juergen Maurer ein Ende findet?
Wir haben tatsächlich überlegt, ob die Geschichte auserzählt ist. Wir sind mit unseren internationalen Partnern zum Schluss gekommen, dass es da sehr wohl noch Potenzial gibt. Das heißt, wir entwickeln derzeit die Drehbücher für eine fünfte Staffel. Die Folgen der vierten Staffel sind im Rohschnitt sehr überzeugend gewesen. Das hat dem ganzen Projekt einen neuen Schub gegeben. Die BBC ist weiter an Bord, PBS ebenfalls und Red Arrows auch – mit dem ORF sind wir in guten Gesprächen und das gilt auch fürs ZDF, also ich bin optimistisch. Es hat schlicht niemand Interesse, eine internationale Serie von dieser hohen Qualität, die beim Publikum gut angeschrieben ist, leichtfertig zu beenden.
Bei einer solchen Aufstellung, aber auch darüber hinaus: Wie wichtig ist für Produzenten die neue Förderlandschaft für die Film- und Serien-Produktion in Österreich? Es gab ja große Hoffnungen – werden die auch erfüllt?
Die neue Förder-Situation ist die Grundlage, warum wir über die genannten Produktionen überhaupt reden können. Das ist die Basis für mögliche Fortsetzungen und nächste Staffeln von z. B. „Die Biester“ oder auch „Tage, die es nie gab“. Mit den neuen Förderungen haben wir „Vienna Blood“ nach Österreich und nach Wien zurückholen können – zuvor haben wir ja vor allem in Tschechien gedreht. Die neuen Förderungen machen es möglich, dass wir eine Netflix-Serie in Entwicklung haben. Es macht aber auch im Kino viel Neues möglich, wo wir verstärkt reingehen wollen.
Im Kino gestartet ist soeben „Hades – Eine (fast) wahre Geschichte“, sehr schräg, sehr ungewöhnlich.
Es ist eine tatsächlich fast wahre Geschichte, die ein Genre bedient, das es in Österreich so fast nicht gibt, nämlich eine Action-Gangster-Komödie. "Hades" ist Anoushiravan Mohseni, der Musiker und Schauspieler ist und früher Martial-Arts-Kämpfer war. Er hat mit Horst-Günther Fiedler auch das Drehbuch geschrieben. Was Andreas Kopriva inszeniert hat und der prominent besetzte Cast spielt, macht große Freude. Die Kritiken waren vorab gut. Jetzt hoffen wir aufs Publikum. Aber in jeden Fall macht es Lust auf mehr auch im Kino-Bereich.
Es gab ein wenig die Befürchtung, dass Österreich zum Service-Produktionsland wird, wo internationale Player gastieren, ihr Ding tun und wieder abrauschen. Dabei könnte österreichische Kreativität vor und hinter der Kamera ins Hintertreffen geraten, weil auch die personellen Ressourcen nicht da sind. Was lehrt das erste Jahr dieses neuen Fördermodells?
Ehrlicherweise war ich mir auch nicht ganz sicher. Das erste Jahr hat aber gezeigt, dass es vor allen Dingen die österreichische Co-Produktion nach außen hin gestärkt hat. Natürlich kommen auch internationale Service-Produktion nach Österreich, was aufgrund der Ausgaben hier einiges für die heimische Wirtschaft und mitunter auch den nachfolgenden Fremdenverkehr bedeutet. Es geht sich das nebeneinander ganz gut aus und befruchtet natürlich auch unsere Arbeit. So wie das Gesetz steht und wirkt, ist das nicht nur kein Problem, sondern es hat vor allem viele positive Effekte – auch für den Staatshaushalt.
Sie sind ja auch Chef der Gamma Film, deren Aufgabe es ist, vor allem den osteuropäischen Raum zu bearbeiten.
Der osteuropäische Markt hat sich durch Österreichs neues Modell etwas verändert. Überlegt man sich, mit einer Produktion nach Ungarn oder Tschechien zu gehen zu deren recht attraktiven Steuer-Regeln und niedrigen Lohnkosten und man rechnet noch die Reise-Kosten dazu, dann ist man schon sehr nahe an den österreichischen Konditionen. Das hat zufolge, dass die Gamma Film sogar mehr in Österreich aktiv ist als in Osteuropa. Es gibt natürlich Spezial-Projekte wie „Rise of the Raven“, das jetzt in der Postproduktion ist, und in Ungarn einen hohen Stellenwert hat und dort verortet ist. Es gibt andere Produktionen, die in Tschechien umgesetzt werden – zum Teil sind das deutsche Produktionen, weil es dort kein adäquates Tax-Modell gibt. Aber Österreich ist nun als Produktionsort konkurrenzfähig. Die Gamma Film vereinigt im Grunde sämtliche Produktions- und Service-Produktionsfirmen, die in Österreich und dessen Umfeld – Italien eingeschlossen – aktiv sind. Mit der lemonpie Film sind wir im Service-Produktionsbereich aktiv. Es gibt erste internationale Anfragen für Produktion, die wir hier umsetzen könnten.
In Wien entsteht nun auch Film-Studio-Komplex.
Wenn es von der Preis-Leistungs-Situation mit jener in Tschechien etc. mithalten kann, wird er genutzt werden. Zwei Film-Studios sind ein guter Beginn, aber für internationale Produktionen noch zu wenig. Aber es ist ohne Zweifel ein weiterer richtiger und wichtiger Schritt, den Filmproduktionsstandort Österreich und die Filmwirtschaft in internationalen Maßstäben deutlich zu stärken.
Vom Großen ins Kleine: Ein Projekt ist der Gamma Film ist das regionale hektar.com. Wie passt das dazu?
Hektar.com ist eine Multi-Channel-Plattform für die ländliche junge Bevölkerung. Das skaliert sehr gut. Die Format-Bibliothek wächst. Es ist auch auf Joyn vertreten und wird vielleicht einmal auch auf ORF On zu sehen sein. Was wir in der Entwicklung sehen können: Dieser Bereich war bislang ein blinder Fleck. Was vor 20 Jahren mit Koma-Saufen und dann mit „Bauer sucht Frau“ abgehandelt wurde, nämlich der ländliche Raum und seine junge Bevölkerung, ist heute Unternehmertum, ist Startup-Mentalität, Direktvermarktung und coole Events. Und apropos klein: Das hat Potenzial über Österreich hinaus.
Wie sieht es im TV-Bereich abseits des ORF aus? Die wirtschaftlichen Umständen, sprich Werbeeinbruch, betreffen ja alle Medien-Unternehmen.
Umso mehr freue ich mich, dass die MR Film 2024 eine neue 90-Minuten-Reihe für ServusTV produzieren wird. Autor ist auch hier Uli Bree. Der Arbeitstitel der Reihe lautet „Christl von der Post“. Es wird eine Krimi-Reihe werden. Es geht um eine junge Tirolerin, die Fälle lösen wird. Kathi Straßer soll sie spielen.
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